«Vielleicht ist das ein Witz, aber das dachten wir bei Trump auch»
US-Musiker Kid Rock kandidiert als Senator von Michigan. Die Republikaner halten das Raubein für wählbar – die Demokraten sind alarmiert.
Die Liste der Skandale rund um den amerikanischen Musiker Kid Rock ist lang: Besonders bekannt ist seine wenige Monate währende Ehe mit Pamela Anderson und die Schlammschlacht im Scheidungsprozess mit ebendieser «Baywatch»-Ikone. Das war 2006. In den Neunzigerjahren war der damalige Hip-Hopper, Rapper und Rocker schon mehrmals wegen Trunkenheit verhaftet worden.
Zwischen 2005 und 2007 musste er dreimal wegen Schlägereien vor Gericht, er verprügelte einmal einen DJ in einem Stripclub, einmal Schlagzeuger Tommy Lee, den Ex-Mann seiner Ex-Frau Pamela Anderson, und er war in einen Faustkampf in einem typisch amerikanischen Familienrestaurant involviert. Tierschutzaktivisten ist er ein Dorn im Auge, weil er 2015 auf einem Jagdausflug einen Panther erlegt hatte. In Interviews äussert er sich zudem regelmässig abschätzig über Frauen und Homosexuelle.
Eine solche Vergangenheit ist normalerweise Gift für eine politische Karriere. Und doch kandidiert Kid Rock in seinem Heimatstaat Michigan als Senator. Was kein Witz ist, wie er auf Twitter bekräftigt.
Zuerst wurde die Bewerbung des Musikers trotzdem belächelt, doch mittlerweile glaubt selbst die republikanische Partei an einen Senator Kid Rock. Denn spätestens seit Donald Trump ist klar, dass selbst die gröbsten Skandale und Ausrutscher kein politischer Genickbruch sein müssen und dass ein Raubein in der grossen Masse der weissen Amerikaner sogar besonders beliebt ist. Ein Typ, der sagt, was er denkt, und der keine Rücksicht auf politische Korrektheit nimmt.
Er hat schon Donald Trump und Mitt Romney unterstützt
Kid Rock hat seinen Musikstil mittlerweile gewechselt und sich dem uramerikanischen Country zugewandt. Zu Werbezwecken schiesst er schon mal mit einer Shotgun auf einen durch die Luft katapultierten Grill «Made in China». Denn kaufen soll man seinen «American Badass Grill», 100 Prozent in den USA hergestellt.
Video – Kid Rock schiesst auf einen chinesischen Grill.
Der Star reitet damit auf der Erfolgswelle von Donald Trump, dessen «Make America Great Again»-Kampagne er letztes Jahr offiziell unterstützt hatte. Schon dem Republikaner Mitt Romney, der 2012 gegen Barack Obama antrat, hatte Kid Rock den Rücken gestärkt. Kid Rock lieferte dem damals unterlegenen Präsidentschaftskandidaten den Song für seinen Wahlkampf, «Born Free».
Nun will es der Sänger also selbst wissen. Gleichzeitig hat er ein neues Album veröffentlicht, er geht bald auf Tournee, und auch auf seiner Website www.kidrockforsenate.com führt der Onlineshop auf eine Seite des Musikproduzenten Warner Bros, wo es neben Wahlkampfartikeln auch gewöhnliche Kid-Rock-Shirts und andere Artikel zu kaufen gibt. Das wäre ein Anzeichen dafür, dass der Musiker die Aufmerksamkeit seiner Senatoren-Kandidatur vor allem für die Vermarktung seiner Musik und sich selbst nutzen möchte.
Für Wahlberater ist er der unbestrittene Favorit der Republikaner
Ausserdem, so das US-Politmagazin «Politico», müsste er für die notwendigen Wahlkampfauftritte wohl auf seine Konzerte verzichten – die Wahl ist im August 2018, mitten in der wichtigen Tourneezeit im Sommer. Die Hürden für die Kandidatur seien zudem hoch, da unzählige Dokumente eingereicht und Fristen eingehalten werden müssen.
Doch der Countrymusiker darf dabei auf die Unterstützung der republikanischen Partei setzen, denn diese stuft seine Chancen mittlerweile als durchaus realistisch ein. Zumindest, wenn er bis nächsten August nicht gerade mit einem kleinen Jungen im Bett erwischt werde oder eine Frau verprügle, sagte der republikanische Wahlberater Dennis Lennox gegenüber «Politico». Er hält ihn sogar für den unbestrittenen Favoriten der Grand Old Party.
Die Demokraten finden es nicht lustig
Kid Rock zeigt sich auf seiner Wahlkampfseite durchaus selbstbewusst und wendet sich dort an seine politischen Gegner: «Are you scared?» heisst es dort – hast du Angst?

Der Spruch richtet sich bestimmt auch an die amtierende Senatorin von Michigan, Debbie Stabenow, eine Demokratin. Sie gewann die Wahl 2006 und 2012 mit jeweils grossem Vorsprung. Sie ist im Staat beliebt, und ihre Arbeit wird geschätzt. Sie zu schlagen, wird schwierig, vielleicht sogar unmöglich. Aber genau das, schreibt «Politico», ist ein schlagendes Argument für Kid Rock. Jeder «normale» Republikaner würde gegen Stabenow genauso untergehen wie die vorherigen zwei Kandidaten 2006 und 2012. Die Republikaner haben also nichts zu verlieren, und vielleicht wäre Kid Rock genau die Art von Antipolitiker, welcher der etablierten Senatorin das Leben schwer machen könnte.
Die Demokraten finden die Kandidatur von Kid Rock deshalb alles andere als lustig. Die Senatoren Chuck Schumer und Elizabeth Warren nehmen die Herausforderung ernst, wie sie im britischen «Independent» sagen. «Vielleicht ist das alles ein Witz, aber das dachten wir auch, als Donald Trump seine Präsidentschaftskampagne ankündigte», sagt Warren.
Der Sänger attackiert die amtierende Senatorin bereits hart
Der tätowierte Sänger will denn seinen Wahlkampf auch nicht grundlegend neu erfinden, sondern orientiert sich an Donald Trump. Er geht dabei gleich in die Offensive: Stabenow ist für ihn eine Marionette der Demokraten, aus Washington ferngesteuert, ohne Kontakt zu den einfachen Leuten wie er selbst einer ist, so seine Botschaft auf Twitter und seiner Website.

Michigan wählt neuerdings wieder Republikaner
Es gibt durchaus Anzeichen, dass Michigan gewillt ist, einen Rebellen zu wählen. Der Staat gab seine Stimme im November 2016 dem Antipolitiker Donald Trump. Mit 47,5 Prozent der Stimmen setzte er sich zwar nur hauchdünn gegen Hillary Clinton (47,3 Prozent) durch, er gewann aber in 77 der 83 Bezirke, wobei Clinton nur in den Grossstädten wie Detroit eine Mehrheit erringen konnte. Auch bei den Vorwahlen siegte Trump in Michigan bereits klar gegen seine internen Konkurrenten, während bei den Demokraten nicht Clinton, sondern ihr Kontrahent und Anti-Establishment-Kämpfer Bernie Sanders bevorzugt wurde.
Michigan gilt als Swing-State, also ein Bundesstaat, der mal republikanische, mal demokratische Präsidentschaftskandidaten wählt. Zuletzt kamen aber sechsmal die Demokraten zum Zug: Bill Clinton 1992 und 1996, Al Gore 2000, John Kerry 2004 und Barack Obama 2008 sowie 2012. Erst 2016 kippte der Staat eher überraschend zurück zur Grand Old Party, wählte allen Skandalen zum Trotz den Reality-TV-Star Trump und setzte so ein Zeichen, das Kid Rock nun für sich nutzen möchte.
Der Wind hat offensichtlich gedreht in Michigan, welches einen Bevölkerungsschwund verkraften muss und dessen Autoindustrie längst nicht mehr blüht. Die weisse Arbeiterklasse und die Landbevölkerung gehören zu den Verlierern der letzten Jahrzehnte. Sie haben Trump gewählt und würden wohl auch den prügelnden, ballernden und unflätigen Countrystar Kid Rock wählen, meint «Politico».
Kid Rock spendet in seiner Heimat viel Geld
Dazu brauche der Musiker nicht einmal eine Standardkampagne, etliche Wahlkampfauftritte oder Reden. Denn Kid Rock hat sich in seiner Heimat auch abseits der Skandale schon einen Namen gemacht. Mit seinem «American Badass»-Grill, aber auch, weil er seiner Heimat stets treu geblieben ist. Er zog nie weg, verkauft ein lokal gebrautes Bier, gibt Konzerte für die US-Truppen, spendet grosse Summen an Veteranen, aber auch an Museen und Kulturinstitutionen in Detroit. Er half mit einer Million Dollar, als die Stadt vor vier Jahr den Bankrott erklärte. Im Gegensatz zu anderen Stars der Stadt, wie beispielsweise Eminem, gilt er als volksnah, man trifft ihn in der Bar oder am Baseballspiel der Detroit Tigers.
Kid Rock oder Bobby Ritchie, wie er eigentlich heisst, ist aber nicht nur bei der weissen Landbevölkerung beliebt, sondern auch von Afroamerikanern akzeptiert. In den 80er-Jahren legte Bobby Ritchie als DJ in den Detroiter Clubs Platten auf, das Publikum sah den weissen Jungen rocken, «that white kid rock», wie sie sagten. Der Name blieb bis heute, genau so wie sein Wohnwagen-Siedlungs-Image. Und dies, obwohl Ritchie in einer reichen Grossfamilie aufwuchs, in einem Haus mit 18 Zimmern und einer Garage mit fünf Autos. Er hat drei Geschwister, sein Vater war in der Motor City Detroit ein hohes Tier bei den Autofirmen. Seine Geschichte ist nicht die des Aufsteigers, sondern des reichen Sprösslings, der es zu noch mehr Reichtum geschafft hat. Auch das ist alles bereits irgendwie bekannt, Donald Trump lässt grüssen.
Im Umgang mit seinen vielen Leichen im Keller könnte sich Kid Rock deshalb am von ihm hochgelobten Präsidenten orientieren: ignorieren, abwerten, ablenken. Ob das Rezept mit dem Kandidaten abseits der Norm noch mal funktioniert, weiss aber niemand. Auf Berichte von Medien, wonach seine Kandidatur nur ein Vermarktungsgag sein soll, reagierte er schon einmal ganz in Trump-Manier: Andere Politiker würden während des Wahlkampfs Bücher schreiben und verkaufen, er werde während seiner Kampagne Musik herausbringen. Das sei kein Scherz, sondern eine Strategie, blafft er die Medien auf seiner Website an und unterstreicht das mit den Hashtags #Fake-News und #kidrockforsenate.
Kid Rock will ein einfacheres Leben für die hart arbeitenden Steuerzahler
Eine Stärke von Kid Rock ist auf jeden Fall, meint «Politico», dass der Musiker mal rappt, mal rockt und dann wieder familienfreundliche Countrysongs krächzt. Er bietet für alle etwas an, wobei die Frage bleibt, was seine Botschaft als Kandidat tatsächlich wäre. Eine Vorschau erhält man auf seiner Website: «In rock we trust», «Pimp of the nation» oder «Party to the people» leuchtet dort blau und rot auf. Und auch eine ernsthafte politische Botschaft ist mit dabei.
Gesetze, Steuern, Krankenkasse und der ganze Kram, welchen die Regierung austüftelt, müssten für den sich abrackernden Steuerzahler einfacher zu verstehen sein, sagt Kid Rock damit. Er wirbt für ein einfacheres Leben, ohne die komplexen Formulare und Entscheidungen. Man habe noch nie einen Politiker wie ihn gesehen, sagt er.
Niemand sollte über ihn lachen, resümiert «Politico», denn ein Senator Kid Rock sei etwa so undenkbar wie ein Präsident Donald Trump. Für «The New Yorker» ist die Kandidatur des «alkoholverherrlichenden Sängers», der Donald Trumps Werte teile, gar eine besorgniserregende Normalität im aktuellen politischen Umfeld der USA.
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