Deutsch-amerikanische BeziehungenVertrauen aufbauen im Schnelldurchgang
Drei Tage waren geplant, Corona hat daraus zehn Stunden gemacht: Beim Antrittsbesuch der deutschen Aussenministerin in den USA ging es vor allem um die Ukraine-Krise und den Schutz der Demokratie.

Am Ende hat es noch für knappe zehn Stunden in Washington gereicht. 90 Minuten Krisendiplomatie mit US-Aussenminister Anthony Blinken zum russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine, eine Dreiviertelstunde Pressekonferenz, ein Mittagessen mit der Russland Expertin Fiona Hill und – das war der deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock wichtig – ein Gespräch mit der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi.
Es ist der Vorabend des 6. Januar, Jahrestag der Erstürmung des Kapitols durch einen Mob, der glaubte, im Sinne und Auftrag des damaligen US-Präsidenten Donald Trump zu handeln. «Wir sehen die Flaggen auf Halbmast gesetzt», sagt Baerbock auf der National Mall mit der weissen Kuppel im Rücken. Die Frage, wie «wir als liberale Demokratien gemeinsam dafür eintreten, dass Demokratien stark sind und geschützt werden vor Angriffen von innen und aussen», habe das Gesprächen mit Pelosi bestimmt.
Eine der Lehren aus den Attacken auf das US-Parlament sei, «dass Demokratie nicht vom Himmel fällt». Demokratie brauche starke Demokratinnen und Demokraten, ein stetes Eintreten für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sowie ein Bekenntnis zu und eine Förderung von staatlichen Institutionen – was sich durchaus auch im europäischen Kontext als Ansage verstehen lässt, etwa Richtung Ungarn oder Polen.
Abrüstung und Rüstungskontrolle im Fokus
Ihren Antrittsbesuch in den USA allerdings hatte sich die Ministerin tatsächlich ganz anders vorgestellt: Gute drei Tage sollte er dauern, mit Stationen in New York bei den Vereinten Nationen: ein Treffen mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres, mit dem sie ihrem Bekenntnis zum Multilateralismus hätte Nachdruck verleihen können. Auch an der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags wollte sie teilnehmen – das wäre ebenfalls ein Signal gewesen.
Die Politikerin will Abrüstung und Rüstungskontrolle als Themen setzen, sie war deswegen noch im alten Jahr zu einem Treffen der Stockholm-Initiative für nukleare Abrüstung in die schwedische Hauptstadt gereist. Vor den Vereinten Nationen hätte sie für ihre Position werben können, dass sich Deutschlands Unterstützung für den Atomwaffensperrvertrag sehr gut mit dem Bestreben verträgt, die Vertragsstaatenkonferenz des weitergehenden Atomwaffenverbotsvertrags als Beobachter zu begleiten – was die engsten Verbündeten, die Atommächte USA und Frankreich, deutlich anders sehen.

All diese Pläne wurden durch die rapide steigenden Zahlen neuer Corona-Infektionen mit der hochansteckenden Omikron-Variante zunichtegemacht, die sich in den kommenden Wochen und Monaten auch die internationale Politik wieder vielfach in virtuelle Formate zwingen wird – so viel lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen. Dabei ist gerade in der Ukraine-Krise das persönliche Gespräch unersetzlich, wie Baerbock nach ihrem Treffen mit Blinken betont.
Zum einen sind die Themen so heikel, dass man sie auch über sichere Leitungen nur im Notfall besprechen will. Der Westen muss sich bis ins Detail abstimmen, welche politischen Schritten und vor allem welche Wirtschaftssanktionen er ergreift, sollte Russlands Präsident Wladimir Putin sich nicht auf den Dialog einlassen, der nun in vier verschiedenen Konstellationen in den nächsten Tagen geführt werden soll: bilateral zwischen Washington und Moskau, in vorbereitenden Gesprächen für ein Normandie-Format mit Frankreich, Deutschland, Russland und der Ukraine und in Sitzungen des Nato-Russland-Rates sowie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Klar ist für Berlin: Russland kann nicht einseitig hinter die völkerrechtlichen Verpflichtungen zurückgehen, die es selber eingegangen ist. Dazu zählen etwa die KSZE-Schlussakte von Helsinki und die Charta von Paris, die allen Staaten das Recht zuerkennen, ihre Verteidigung nach ihren Vorstellungen zu organisieren und auch frei ihre Bündnisse zu wählen.
Wann ist die Schwelle militärischer Aggression erreicht?
Abstimmen muss man sich über den Atlantik hinweg auch in der Frage, wann die Schwelle einer militärischen Aggression erreicht wäre, bei der die Sanktionen in Kraft gesetzt werden. Ein Einmarsch russischer Truppen erfüllt das Kriterium zweifellos. Auch wenn Putin Gas als Druckmittel einsetzen würde, käme die deutsche Regierung kaum mehr umhin, in der EU auf Strafmassnahmen hinzuwirken – zu einer entsprechenden Vereinbarung, die US-Präsident Joe Biden noch mit Kanzlerin Angela Merkel ausgehandelt hatte, bekennt sich Baerbock erneut.
Doch Putin hat in den vergangenen Jahren die hybride Kriegsführung verfeinert. Wenn nun wieder russische Söldner in den von Moskau kontrollierten Separatisten-Republiken im Donbass und der Region Luhansk auftauchen, wie reagieren Nato, EU, die USA? Zwar hat Biden die «schweren Konsequenzen» in Gesprächen mit dem Kremlchef zumindest grob umrissen – über die Details lässt man Putin aber im Unklaren. Zur Strategie der Abschreckung gehört auch, dass er sich die Reaktionen und die Schwelle dafür nicht bis ins Letzte ausrechnen können soll.
Baerbock verweist auf ein Austauschjahr, das sie in Florida verbracht hat, «wo das Wetter ein bisschen besser gewesen ist als im verschneiten Washington». Sie gehört zur «Generation Erasmus», die für sich selbst erlebt hat, dass Völkerverständigung vor allem auch von persönlichen Kontakten lebt, von Freundschaften, geteilten Erlebnissen und Geschichten. Und die sich persönlich betroffen fühlte durch die Erstürmung des Kapitols. «Wir haben vor einem Jahr als Deutsche, als Europäer, glaube ich, alle in tiefer, tiefer Freundschaft und erschüttert nach Washington geschaut», sagt die Ministerin, bevor sie wieder ins Auto zum Flughafen steigt – mit dem Vorsatz, bald wiederzukommen, um entfallene Gespräche nachzuholen.
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