Verliebter Mülleimer auf Odysse im Weltraum
Die treue Seele in einer wüsten Welt: Das Robotermärchen «Wall-E» zeigt Animationskunst zum Hinknien und einen Güsel-Grüsel zum Küssen.

Der Held ist hässlich, dumm und stumm. Oder doch nicht? Mit den Augen der Liebe betrachtet, sieht bekanntlich alles anders aus, und wem bei dem rostigen Roboter Wall-E nicht das Herz aufgeht, der hat keins. Der kleine Kerl ist die jüngste Grosstat von Pixar: Das 1986 gegründete kalifornische Animationsfilm-Studio («Ratatouille») toppt mit seiner neunten Produktion «Wall-E» sich selbst – künstlerisch, technisch und finanziell. Dieser schwer konsumkritische Sciencefiction-Film mit herzerweichenden Qualitäten und Animationskunst zum Hinknien hat mittlerweile 280 Millionen Dollar und zahllose zerknüllte Taschentücher eingespielt. Und Hand aufs Herz: «Wall-E» ist hinreissend!
Menschheit hat sich davongemacht
Der rollende Mülleimer mit den runden Fernglasaugen, auf die wir anspringen wie aufs lorenzsche Kindchenschema, räumt die Welt auf – oder das, was von ihr übrig ist, nachdem die Menschheit sich auf einem Raumschiff aus dem Staub, aus dem Dreck davongemacht hat. Rund eine halbe Kinostunde lang ist der verbeulte, schmutzig gelbe, gottverlassene Wall-E (kurz für «Waste Allocation Load Lifter Earth-class») wortlos unterwegs zwischen Müllbergen, im toxischen Abfall, in der fantastisch verfaulenden urbanen Landschaft.
Doch wir bleiben dran. Trotz allem. Denn Wall-Es Job ist zwar öd, sein Gehäuse hart und grob, sein Innenleben aber reich und weich wie ein Babyfüsschen: 700 Jahre Einsamkeit haben den Güsel-Grüsel in ein gefühlsbegabtes Geschöpf verwandelt – beziehungsweise die Könner von Pixar, allen voran Produzent Jim Morris und Produktionsdesigner Ralph Eggleston. Der Bewegungsradius des Winzlings mag beschränkt sein; doch wenn sich seine Augen kummervoll gen Himmel heben, reicht das bis an unsere Tränendrüse heran. Sprechen kann die wandelnde Müllpresse auch nicht recht; doch wenn der Sounddesigner Ben Burtt («Star Wars») aus seinen rekordverdächtigen 2400 «Wall-E»-Sound-Dateien dieses typische Teddybär-Brummen heraussucht, will jeder sofort kuscheln. Der mutierte Müllroboter hat ausserdem einen kindlichen Sinn fürs Schöne entwickelt und sammelt alles vom rubikschen Zauberwürfel bis zum Plastikdino aus dem Trickfilm «Toy Story» (eins von etlichen Pixar-Selbstzitaten).
Sein Freund ist eine Kakerlake
Am schönsten jedoch ist es, Gefühle zu teilen, und darum hat Wall-E auch einen Freund: eine Kakerlake! Sie heisst Hal wie das digitale Superhirn, das in Kubricks «2001 – A Space Odyssey» die Menschen für überflüssig erklärte. Überhaupt scherzt sich das hundertminütige Animationswunderwerk mit viel Sinn für Ironie durch die Filmgeschichte. So sitzen Wall-E und Hal oft nach des Tages Mühsal in ihrem alten Container und ziehen sich die 60er-Jahre-Verfilmung des Musicals «Hello, Dolly» rein. Und immer wenn Michael Crawford sein «It only takes a moment» schnulzt, schmilzt Wall-E dahin und sehnt sich nach der grossen, der wahren Liebe. Klar, dass er sie bekommt.
Im apokalyptischen Streifen von Regisseur und Ko-Autor Andrew Stanton («Finding Nemo») steckt nämlich eine leidenschaftliche Liebesgeschichte wie aus dem 19. Jahrhundert. Eines Tages wird eine sexy Raumsonde names Eve auf die Erde gespuckt. Weiss, glatt, elegant elliptisch geschwungen und ausgerüstet mit zwei Ärmchen, die schneller schiessen, als man schauen kann, fliegt sie übers wüste Land. Wall-E ist sofort Feuer und Flamme, die Dame mit den eisblauen Augen und dem geheimen Auftrag taut dagegen erst nach einer «Hello, Dolly»-Session so richtig auf. Wall-E schenkt ihr das Lieblingsstück aus seiner Sammlung: ein undefinierbares, zartes Pflänzchen. Doch damit hat Eve bekommen, wofür sie geschickt worden war, und ein Raumschiff pflückt die Dame samt Grünzeug vom grauen Planeten.
Jetzt geht die «Space Odyssey» erst los: Das verliebte Müllmännchen hängt sich ans Raumschiff. Landung auf der Raumstation Axiom, die einem Luxusdampfer nachempfunden ist. Da vegetiert die Gattung Mensch, fett geworden, mit atrophierten Muskeln. Jeder fährt in einem motorbetriebenen Einkaufswägelchen herum, einen Bildschirm vor der Nase, einen Trinkhalm im Mund. Und wenn es nach der Firma Buy `N Large ginge, die schon auf der Erde hinter dem Konsumterror stand, dann würde sich daran auch nichts ändern. Die Nachricht vom quasi-biblischen Ölzweig, besser gesagt: vom wiedererwachten Leben auf dem Heimatplaneten, passt daher gar nicht ins Geschäftskonzept; und der «böse» Bordcomputer Auto (noch einmal Kubrick!) versucht alles, um das Pflänzchen zu vernichten – und Eve und Wall-E gleich mit. Happy End auf der Erde samt politischem Peter-Gabriel-Song. Gut gemachtes Gutmenschentum.
Nostalgisch in die Zukunft
Die Konstellation und die Dramaturgie sind klassisch, die Mittel sind es auch: Verfolgungsjagden und Kämpfe, der Wettlauf mit der Zeit und die Undurchsichtigkeit der Allianzen, Momente der Entspannung, gefolgt von neuen Schrecken. Hier hätte Stanton ohne Verlust straffen können; und sollen. Aber man muss es dem Team – über 500 Leute haben an «Wall-E» mitgearbeitet – zugestehen: Mögen der Plot und die Psychologie auch weniger komplex, weniger klug sein als beim Pixar-Vorgänger «Ratatouille», die Bilder haben es in sich.
«Wir haben uns in die Sci-Fi-Filme der 60er- und 70er-Jahre verbissen», erklärt der Kameramann den Look des Films. Zudem studierten die Animationskünstler die Zukunftsvisionen der Nasa-Wissenschaftler aus den 60ern und experimentierten mit den alten Panavision-Kameras, mit denen seinerzeit gedreht wurde: Die optischen Verzerrungen, die farblichen Abweichungen von damals kamen gerade recht, um das allzu sterile, allzu perfekte Computerbild aufzurauhen. In den Fehlern sahen sie die Patina des Authentischen. «Alles sollte echter, wahrhaftiger und filmischer wirken», sagt Jim Morris.
Und das tut es. Aus dem politisch korrekten Drehbuch (Stanton und Jim Reardon) wurde ein Film, der nicht bloss funktioniert, sondern lebt. Wie Wall-E.
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