Unter den Standards
Der Sexskandal von Westminster fordert ein erstes Opfer, weitere dürften bald schon folgen. Wie jeder politische Skandal bringt auch dieser neben Verlierern Profiteure hervor.

Der Skandal um tatsächliche und mutmassliche Fälle von sexueller Belästigung in und um das britische Parlament hat bereits am Mittwochabend mit Michael Fallon ein erstes prominentes Opfer gefordert. Sein Verhalten in der Vergangenheit liege «unter den Standards, die wir von unseren Truppen erwarten, die ich die Ehre hatte, zu repräsentieren», begründete Fallon, 65, ebenso förmlich wie umständlich seinen Rücktritt als Verteidigungsminister.
Mit Gavin Williamson, 41, benannte Premierministerin Theresa May gestern einen Nachfolger. Wie der Tory-nahe Daily Telegraph berichtete, soll Williamsons Ernennung unter konservativen Abgeordneten für einigen Unmut gesorgt haben. Diese hatten offenbar damit gerechnet, dass einer von Fallons Staatssekretären aufrücken würde. Stattdessen ernannte May mit Williamson den bisherigen Chef-Einpeitscher der konservativen Unterhaus-Fraktion. Dies gilt deswegen als politisch anrüchig, weil Williamson als einer der Ersten Fallons Rücktritt gefordert hatte.
Ein Mann aus einer anderen Zeit
Die Demission des bisherigen Ministers lässt nach wie vor einige Fragen offen. Bekannt ist bisher, dass Fallon vor 15 Jahren einer Journalistin so lange seine Hand aufs Bein gelegt hatte, bis diese ihn unmissverständlich aufforderte, dies sein zu lassen; 2010 soll er eine andere Reporterin in einer Bar als «Schlampe» («slut») bezeichnet haben.
Fallon gehört in Westminster zu den dienstältesten Politikern; bereits seit Margaret Thatchers Zeiten diente er seiner Partei und mehreren Regierungen in unterschiedlichen Funktionen. Dies deutet darauf hin, dass weitere, womöglich noch gravierendere Fehltritte Fallons bekanntwerden könnten, denn zu seinen Anfangszeiten in Westminster herrschten dort noch wesentlich rauere Umgangsformen. In einem BBC-Interview nach seinem Rücktritt deutete Fallon dies selbst an: «Die Kultur hat sich verändert, und was vor zehn oder fünfzehn Jahren akzeptabel gewesen sein mag, ist heute ganz klar nicht mehr akzeptabel», sagte er darin.
Als weiterer möglicher Kandidat für einen Rücktritt wird bereits seit einigen Tagen Damian Green gehandelt, Mays Kabinettsminister und dem Vernehmen nach der engste Vertraute der Premierministerin in der Regierung. Green soll Anfang 2015 einer Journalistin Avancen gemacht haben, von denen diese nun in der Times berichtete. Demnach soll der Politiker mit ihr eine Diskussion über Affären im Parlament begonnen und erwähnt haben, seine Frau sei in dieser Hinsicht «sehr verständnisvoll».
Green weist die Vorwürfe zurück, dennoch wird in Westminster damit gerechnet, dass er bald gehen muss. Die Stimmung im Teezimmer sei furchtbar, zitiert die Times konservative Abgeordnete, vergleichbar nur mit dem Herbst 2009, als ein Ausgabenskandal das Parlament erschütterte. Der allgemeine Unmut über Politiker aller Parteien, der sich damals Bahn brach, hat nach Ansicht vieler Beobachter ein halbes Jahr später zur Abwahl der damaligen Labour-Regierung unter Premierminister Gordon Brown beigetragen. Nun, so fürchten manche Tories, könnte es abermals die Regierungspartei sein, die am schlimmsten davonkommt.
Sieger und Verlierer
Wie jeder politische Skandal bringt natürlich auch dieser neben Verlierern Profiteure hervor beziehungsweise solche, die zu profitieren versuchen: Neben Williamson könnte dazu auch Ruth Davidson zählen, die Chefin der schottischen Tories. Sie ist seit der Parlamentswahl vom Juni ohnehin im Aufwind, nun schlägt sie, was den Sexskandal betrifft, geradezu triumphale Töne an: Ein Damm sei in Westminster gebrochen, verkündete sie, nun sei es endlich vorbei mit der männlich dominierten Kultur. Aus den Reihen der Grünen wiederum, die aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts zwar lange nicht so stark sind wie ihre Schwesterparteien auf dem Kontinent, aber ebenso gern einen hohen moralischen Ton anschlagen, kommt allen Ernstes die Forderung nach obligatorischem Flirt-Unterricht für Abgeordnete.
Premierministerin May hat für Montag ein «Notfalltreffen» mit den Chefs der anderen Parteien einberufen, bei dem es um die Schaffung einer unabhängigen Untersuchungsinstanz gehen soll. Mays Wortwahl hinterlässt insofern einen schalen Beigeschmack, als sie von den Vorwürfen gegen ihre Parteikollegen bereits seit geraumer Zeit wusste; der «Notfall» entstand für sie offenbar erst durch deren Bekanntwerden. Lisa Nandy, eine Labour-Abgeordnete, will May, die damals noch Innenministerin war, bereits 2014 auf entsprechende Gerüchte hingewiesen haben. Dass diese nicht weiter untersucht wurden, erklärt sich Nandy damit, dass das Wissen über Fehltritte von Abgeordneten den Einpeitschern aller Fraktionen ein wirksames Mittel in die Hand gebe, ihre Leute zu disziplinieren, sprich: zu erpressen.
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