Ungarns politisches Raubtier
Dank einer Reihe von Versprechen wurde Viktor Orban vor fünf Jahren zu Ungarns Premier gewählt. Danach entwickelte er sich zum Despoten. Morgen könnte er seine dritte Amtszeit einläuten.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ist ein ähnliches Politikphänomen wie George W. Bush und Silvio Berlusconi: So wie der einstige US-Präsident und Italiens langjähriger Regierungschef wäre auch er wohl kein zweites Mal in Amt und Würden gelangt, hätten ausländische Beobachter über seine Zukunft abstimmen dürfen. Doch Orbans rechtskonservative Fidesz-Partei wirbt nur in Ungarn um Stimmen - und mit der Parlamentswahl am Sonntag wird der autoritäre Regierungschef höchstwahrscheinlich seine dritte Amtszeit einläuten.
Der Oxford-Jurist gründete 1988 zusammen mit einer Handvoll oppositioneller Studenten die Protestorganisation Fidesz. Als entschiedener Antikommunist forderte er damals kurz vor der Öffnung des «Eisernen Vorhangs» freie Wahlen und den Abzug der sowjetischen Armee aus Ungarn. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion trimmte er seine radikal-liberale Partei auf einen rechtskonservativen Kurs, was ihm zunehmende Unterstützung aus der Mittelschicht einbrachte und so den Weg an die Macht ebnete.
Versprechen lösen sich in Luft auf
Als Orban 1998 zum ersten Mal das Amt des Regierungschefs übernahm, war er gerade erst 35 Jahre alt. Auf seine erste Legislaturperiode folgten acht Jahre linker Regierung - eine Zeit, in der Ungarn mit Krediten des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Europäischen Union vor der Pleite bewahrt werden musste. Orbans Rückkehr an die Macht 2010 war für ihn ein persönlicher Triumph.
Mit seinen populistischen Wahlversprechen hatte er den Nerv vieler Bürger getroffen. Orban verkündete, er werde die ungarische Wirtschaft «wieder auf Vordermann bringen», im Gesundheitssystem Ordnung schaffen und die öffentliche Sicherheit gewährleisten. Ausserdem versprach er Steuersenkungen und eine Million neue Arbeitsplätze innerhalb von zehn Jahren.
Doch seine vollmundigen Versprechen lösten sich rasch in Luft auf. Ungarn geriet in eine tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise, die nationale Währung Forint stürzte ab, Preise und Zinsen stiegen. Plötzlich blies dem brillanten Redner auch im eigenen Land ein schärferer Wind entgegen. Und Orban reagierte.
Gerippe eines Rechtsstaates
Um seine politischen Gegner auszuschalten, hebelte Orban die Trennung von Legislative, Exekutive und Justiz aus. Er setzte treue Gefolgsleute an die Spitze wichtiger Behörden und Gremien, alle Medien wurden faktisch einer staatlichen Zensur unterworfen.
Übrig blieb das Gerippe eines Rechtsstaats, der noch 2004 feierlich der EU beigetreten war. Die Europäische Kommission beklagt zwar die «Schande» von Budapest und ärgert sich über Orbans Kuschelkurs gegenüber Russland, tritt bislang aber zu nachsichtig auf, als dass sich der 50-Jährige zu entscheidenden Zugeständnissen gezwungen sähe.
Der ungarische Politologe Laszlo Lengyel sieht in Orban ein «politisches Raubtier», das weder Niederlagen noch Widerspruch duldet. Den Beweis dafür lieferte der ehemalige Dissident bei seinem Antrittsbesuch im EU-Parlament vor drei Jahren. Einige Abgeordnete klebten sich demonstrativ Pflaster auf den Mund - Orban reagierte aggressiv und verbat sich jede Einmischung in die Innenpolitik: Ungarn sei ein demokratischer Rechtsstaat, und wer dies in Frage stelle, «beleidigt das ungarische Volk».
Orbans Tricks
Im eigenen Land gibt sich der frühere Fussball-Halbprofi und Vater von fünf Kindern volksnah, wettert gegen Globalisierung und die wachsende Macht Asiens oder verspricht das «Ende der Banken-Ära». Unter ihm könne Ungarn bis 2018 «das am stärksten industrialisierte Land Europas» werden, tönte er vor kurzem. Die vermeintlich blendenden Wirtschaftsdaten, mit denen er sich gerne schmückt, verdankt Orban allerdings auch fragwürdigen Tricks.
So kam die niedrigste Inflationsrate seit vier Jahrzehnten nur zustande, indem Energieversorgern ein 20-prozentiger Abschlag auf Gas- und Strompreise diktiert wurde. Und die gesunkene Arbeitslosenquote ist auch dem Umstand geschuldet, dass 200'000 Menschen in unterbezahlte Knochenjobs genötigt wurden. 60 Prozent der vergangenes Jahr geschaffenen Jobs entfallen auf Geringstverdiener - die nun für 160 Euro im Monat als Strassenreiniger oder Feldarbeiter schuften.
AFP/kpn
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