
Felix Hollenstein ist nach dem vorerst knapp verpassten Final entweder:
a) enttäuscht b) verzweifelt c) verärgert d) schockiert e) alles zusammen
Zwei Minuten waren am Samstag noch zu spielen, die Flyers führten 1:0 und hatten ein Powerplay, und ich konnte Hollenstein fast hören, wie er zu Jim Vandermeer sagte: «Denk dran: Achte zuerst auf die Defensive und darauf, dass du mit deinem Schuss durchkommst!» Doch dann schoss Vandermeer sich und dem ganzen Team in den Fuss. Als ob er den schottischen Dichter Robert Burns bestätigen wollte, der schrieb: «Der beste Plan, ob Maus, ob Mann, geht oftmals ganz daneben.»
Ein fast perfektes Spiel wurde mit einer Szene zum Debakel. Vandermeer schoss Andrei Bykow an, musste ihn umreissen, als er mit dem Puck davonzustürmen drohte – und so konnte Gottéron in den letzten 45 Sekunden noch mit 6 gegen 4 Feldspieler den Ausgleich anstreben. Julien Sprunger traf vier Sekunden vor der Sirene, und Marc-Antoine Pouliot verwertete in der Overtime einen Abpraller. Das scheinbar unzerstörbare Defensivkonzept der Flyers war innert Sekunden in sich zusammengestürzt wie ein Kartenhaus.
Ich erlebte im Final 2004 mit dem SCB eine ähnliche Situation. Wir führten im letzten Spiel kurz vor Schluss 3:2, als mein Captain und defensiver Leader Martin Steinegger einem Luganese vor den Augen des Referees einen Crosscheck gegen den Kopf versetzte. Was hatte er sich dabei nur gedacht? Wir hatten schon eine Hand am Meisterpokal gehabt, als Mike Maneluk 30 Sekunden vor Schluss ausglich. Wir waren am Boden zerstört. Man konnte es fast hören, wie auf der Bank die Luft aus den Körpern unserer Spieler entwich. Und Marco Bührer konnte seinen Kopf kaum mehr von seiner Brust heben.
Das Playoff tut weh
Was kann ein Coach in einer solchen Situation tun? Erstaunlich wenig. Es gibt kein Allheilmittel auf dem Weg zum Meistertitel. Wenn es das gäbe, wäre das Ganze nicht mehr so faszinierend. Widrigkeiten sind in Tat und Wahrheit die Bausteine für grosse Teams. Ein Trainer kann noch so oft warnen und Motivationsreden schwingen. Erst wenn ein Team schwierige Situationen erfahren hat, lernt es, sie zu meistern. Aber eine junge Mannschaft kann schnell in Panik verfallen oder ihr Selbstvertrauen verlieren, wenn ihr eine Episode widerfährt wie die eingangs beschriebenen.
Die Spieler schauen sich vielleicht in der Kabine um auf der Suche nach einem Schuldigen. Doch der Coach ist nicht der, an den sie sich nun klammern können. Chicago-Captain Jonathan Toews sagte etwas Interessantes: «Widrigkeiten sind ein Segen. Man muss sie annehmen, sie umarmen und fest an sich drücken.» Was er damit meint? Jeder Hockeyspieler weiss, dass das Playoff wehtut. Und wenn man die Herausforderung, die ihm innewohnt, nicht geniesst, wird man mental auslaugen und es nicht schaffen, seinen Job zu Ende zu bringen.
Die Flyers müssen nun ihren dritten Schlag in diesem Playoff verkraften. Der erste war, als sie gegen Davos 0:2 zurücklagen und Martin Gerber in Spiel?3 Gregory Sciaroni gegen den Kopf schlug, ausgeschlossen und gesperrt wurde. Sie nahmen dies zum Anlass, ihre Intensität zu erhöhen und die nächsten sechs Spiele zu gewinnen. Auch als sie in Spiel?3 des Halbfinals von Gottéron 7:1 demontiert wurden, perlte dies an ihnen ab wie Wasser vom Rücken einer Ente. Doch die Niederlage vom Samstag dürfte am schwersten zu verdauen sein. Sie liessen einen sicher geglaubten Sieg noch entwischen, weil sie versagten.
Hollenstein sah schockiert aus hinter der Bank in Freiburg, aber er liess es nicht an seinen Spielern aus, wie dies manchmal ZSC-Coach Marc Crawford tut. Hollenstein hat gegenüber seinem Zürcher Berufskollegen den Vorteil, dass sein Team schon mehr erreicht hat, als gemeinhin erwartet worden war. Die Erwartungen und Emotionen zu managen ist wahrscheinlich die grösste Herausforderung für einen Coach. Hollenstein muss ruhig bleiben, den Fokus auf die Gegenwart legen und das Vergangene hinter sich lassen. Seine Körpersprache sollte Vertrauen ausstrahlen, er sollte gelassen, aber entschlossen wirken und so seine Spieler beruhigen. Was er sagt, ist nicht wichtig. Wie er es sagt, ist entscheidend.
Es geht heute um die Existenz
Man wird nicht zu einem grossartigen Team, indem man Meister wird. Man muss zuerst ein solches sein. Für Kloten geht es heute um die Existenz im Playoff. Wenn die Flyers den Platz im Final buchen sollten, würde sie dies als Mannschaft weiter wachsen lassen. Eines meiner bevorzugten Zitate der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross dreht sich um den Effekt von Widerständen. Sie schrieb: «Könnte man die Canyons vor den Stürmen schützen, man würde nie die Schönheit ihrer zerklüfteten Felswände sehen.»
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Umarme die Widrigkeiten!
Wenn die Flyers auch diesen Schlag wegstecken, ist ihnen der Titel zuzutrauen.