Interview zum Ukraine-Krieg«Um den Krieg zu beenden, müsste der Putinismus beendet werden»
Der renommierte Historiker Orlando Figes über Russlands Angriffskrieg, gelungene Propaganda und darüber, warum es nicht reicht, Putin zu entmachten.

Es gibt seit dem 24. Februar ein riesiges Interesse an Wladimir Putin und russischer Zeitgeschichte. Welche Phänomene, welche Mythen ziehen sich hindurch, die er heute zu nutzen weiss?
Putin will den nationalen Stolz auf die Geschichte schon lange wiederherstellen. Dazu gehörte eben nicht nur der Sieg über die Nazis im Zweiten Weltkrieg, in den Augen der Russen vielleicht ihr grösster Sieg, sondern er fokussiert sich auf jene Zeiten, in denen Russland überfallen wurde und einen starken Leader brauchte, um es zu einen. Dafür nutzt er etwa auch die mittelalterliche Geschichte von Fürst Alexander Newski, über den wir in Wahrheit wenig wissen. Die Russen aber kennen Newski durch Sergei Eisensteins Film aus dem Jahr 1938, nicht zufällig sehen die Feinde darin aus wie Nazis. Eisenstein lässt Newski dastehen wie einen grossen Staatsmann, genau so also, wie Putin jetzt gesehen werden will – als einer, der Frieden im Osten macht und aufsteht gegen den Westen. Putin instrumentalisiert nicht nur Geschichte, er militarisiert sie auch, um zu zeigen, dass Russland nicht selbst attackiert, sondern attackiert wird und einen starken Leader, einen starken Staat braucht, um den Westen zurückzuschlagen.