Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und FragenWie sich Putin die Wahrheit über den Krieg zurechtbiegt
Bei seinem Besuch in Mariupol inszenierte sich der russische Präsident als fürsorglicher Herrscher. Die veröffentlichten Videos liessen aber entscheidende Details aus.
Von Michelle Muff

Russlands Präsident Wladimir Putin ist am Samstag zum ersten Mal seit Beginn der Invasion in die Ukraine in eines der besetzten Gebiete gereist. In den Videos, die die russischen Staatsmedien von dem Ausflug in die Hafenstadt veröffentlicht haben, zeigt sich Putin in verschiedenen Szenen: In einem neu erbauten Wohnviertel auf einem Kinderspielplatz studiert er Pläne zum Wiederaufbau, beim Begutachten der neu renovierten Philharmonie nimmt er im leeren Konzertsaal Platz, und beim Besuch in der Innenstadt besichtigt Putin interessiert ein Denkmal aus dem Zweiten Weltkrieg, das für die sowjetischen Truppen errichtet wurde.
Was diese Ausschnitte gemeinsam haben: Mariupol wirkt auf den Aufnahmen wie eine moderne und intakte Stadt. In einer Szene fährt Putin selber mit dem Auto durch die Strassen der Hafenstadt. Es ist Nacht, in der von der Rückbank aus gefilmten Szene sind in der Dunkelheit keine Häuser erkennbar. Der Vizepremierminister Marat Khusnullin, der auf dem Beifahrersitz mitfährt, schwärmt aber über den Fortschritt der Bau- und Restaurierungsarbeiten in der Stadt und den Vororten. «Wir arbeiten hier rund um die Uhr», sagt Khusnullin.
Ein anderer Filmausschnitt zeigt Putin, wie er laut russischen Medienberichten «spontan» auf einige Bewohner Mariupols stösst, die ihm mit Ehrfurcht begegnen: «Danke, dass Sie gekommen sind», sagt ein Mann. «Es ist ein kleines Stück vom Paradies, das wir jetzt haben», behauptet eine junge Frau – und Putin verspricht ihr, es zu erweitern.
Kein Wort über die toten Zivilisten
In den Videoaufnahmen wird Putin gekonnt als fürsorglicher Herrscher inszeniert, der sich um die Bürger seines Landes kümmert: Harmonie, Aufschwung und Zufriedenheit sollen die Aufnahmen propagieren. Was die Videos verschweigen: dass Mariupol nach wie vor eine zerstörte Stadt ist. Auf Bildern vom März 2023 sind komplett vernichtete Wohnblocks zu sehen, deren Trümmer erahnen lassen, wie heftig die Kämpfe in der Hafenstadt ausgetragen wurden. Der norwegische Journalist Morten Risberg, der Mariupol im vergangenen Dezember besuchte, sagte, er habe «gross angelegte Wiederaufbau- und Restaurierungsarbeiten» inmitten von «Zerstörung, wohin man blickt» gesehen.

Auch erwähnte Putin während seines Besuchs mit keinem Wort die zahlreichen Zivilisten, die den Gefechten in Mariupol zum Opfer fielen. So etwa im Theater in der Innenstadt, in dem sich Hunderte Bewohnerinnen und Bewohner vor den russischen Angriffen versteckt haben sollen, als es im März 2022 von einer russischen Fliegerbombe zerstört wurde. Oder die Geburtsklinik, die ebenfalls im März unter russischen Beschuss geriet und deren Bilder von verletzten Schwangeren um die Welt gingen.

Die ukrainischen Behörden gingen von rund 20'000 getöteten Einwohnern in Mariupol aus. Eine Analyse von AP im Dezember 2022 kam jedoch zum Schluss, dass bis Ende 2022 geschätzte 10'000 weitere Gräber ausgehoben wurden. Diese Zahlen könnten einen Hinweis auf die Opfer der Belagerung geben, die wohl noch immer aus den Ruinen der Stadt geborgen werden.
Doppelgänger und Sicherheitspersonal in Zivil?
Auf Twitter entbrannte nach der Veröffentlichung der Aufnahmen eine Diskussion darüber, wie viele der gezeigten Ausschnitte inszeniert sind. So kursiert derzeit ein weiteres Video, das dieselbe Szene mit Putin zeigt, der zu Anwohnern in Mariupol spricht. Im Hintergrund dieses Videos ist aber plötzlich ein Schrei zu hören: «Das ist nicht wahr! Das ist alles nur Show!» Das Video teilte auch Anton Geraschtschenko, ein Berater des Innenministers der Ukraine. «Eine der russischen Nachrichtenagenturen hat diesen Moment herausgeschnitten, eine andere nicht», kommentierte er.
Geraschtschenko spekuliert in einem Post, der verschiedene Fotoaufnahmen von Putin zeigt, dass der Kremlführer gar nie in Mariupol gewesen sei – und stattdessen einen Doppelgänger in das besetzte Gebiet geschickt habe. Auch Stephen Hall, Dozent für russische und postsowjetische Politik an der Universität von Bath in Grossbritannien, zweifelte an der Authentizität der Aufnahmen: «Ich behalte mir immer noch ein Urteil vor. Aber Putin hat viele Doppelgänger, und die ‹dankbaren› Bewohner waren wahrscheinlich Sicherheitspersonal in Zivil.»
Der Besuch in Mariupol fand statt, zwei Tage nachdem bekannt wurde, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Putin erlassen hat. Der Ausflug in das besetzte Gebiet dürfte also auch als symbolische Antwort verstanden werden. Gemäss dem in Washington ansässigen Institut für Kriegsstudien (ISW) hat der Kreml Putins ersten Besuch in der besetzten Ukraine als spontanen Ausflug dargestellt, «um Putin als unbesiegbaren Kriegsführer darzustellen, der die Zone der Feindseligkeiten ohne Bedenken besuchen kann».
Roman Trokhymets kämpft als Soldat für die Ukraine in Bachmut – und teilt seine Eindrücke vom Krieg mit Zehntausenden Menschen auf Social Media.
Von Michelle Muff

«Ich sitze hier in einem kalten Graben mitten im Winter. Es fühlt sich an wie in einem dummen Traum, wie eine verrückte Idee, die sich jemand für einen Film ausgedacht hat», sagt der junge ukrainische Soldat in die Kamera seines Handys. Plötzlich hört man in unmittelbarer Nähe eine Explosion, kurz darauf fallen mehrere Salven von Schüssen. Er geht im Graben in Deckung, schaut über die Schulter, räuspert sich und fährt inmitten des Kugelgewitters fort: «Ich versuche zu realisieren, wie das alles passierte. Jetzt bin ich hier, in dieser verdammten Hölle. Das ist jetzt meine Realität.»
Aufgenommen und auf Instagram gepostet hat das Video, das knapp 2400 Likes erhielt, Roman Trokhymets. Der junge Ukrainer ist seit dem Überfall der russischen Streitkräfte in die Ukraine als Soldat für sein Heimatland im Einsatz. Auf seinen Social-Media-Channels postet er regelmässig Videos von seinem Alltag an der Front, schreibt Beiträge und teilt seine Gedanken zu seinen Erlebnissen im Krieg.
Es fühle sich an, als wäre es erst gestern gewesen, dass er herumgelaufen sei in einem Anzug, Akrobatik gemacht und studiert habe, schreibt er etwa in einem Post vom 5. Februar. «Und in einem Moment bin ich eingeschlafen und bin seither nicht mehr aufgewacht.» Vielen Soldaten, die mit ihm kämpften, gehe es gleich, so Trokhymets: «Man könnte denken, wir hätten uns langsam daran gewöhnen müssen, aber nein: Es wirkt auf uns immer noch wie kompletter Schwachsinn, dieser ganze Krieg.» Trotzdem kämpften sie weiter für die Unabhängigkeit der Ukraine.
Die Nächte seien das Schlimmste
Bis zum Kriegsausbruch inszenierte sich Trokhymets, der früher als Makler arbeitete und Psychologie studierte, in seinen Instagram-Beiträgen als stilvollen, sportlichen jungen Mann, der viel reiste und seine Freizeit gerne im Anzug auf den Terrassen von Hochhäusern in Kiew verbrachte. Die Posts, die er nach dem 24. Februar 2022 veröffentlicht hat, stehen in einem krassen Gegensatz zu den luxuriösen Bildern aus Friedenszeiten: Statt auf Motorrädern fährt er nun im Panzer, die Barabende mit Freunden sind Kämpfen an der Front gewichen, statt Tauchferien zu machen, hebt er Gräben aus, versorgt verletzte Kollegen und muss die kalten ukrainischen Nächte überstehen.
Die Nächte seien sowieso das Schlimmste für ihn im Krieg, sagt er in einem Video, das er Ende Januar gepostet hat. «Vor allem die Nächte mit Regen. Du hörst nichts ausser den Regentropfen und dem Knacken der Äste», so Trokhymets. Er sei meist sehr nahe bei feindlichen Stellungen positioniert: «Und so weiss ich nie, ob das Knacken und Prasseln im Wald der Feind ist, der sich anschleicht, oder nur der Regen, der Wind und die herunterfallenden Äste.» Manchmal wundere er sich, woher er die innere Stärke habe, diesen Druck auszuhalten und «bis zum Morgen zu überleben».
Zuletzt war Trokhymets in Bachmut stationiert, wo die Ukraine bei brutalen Gefechten viele erfahrene Kräfte verloren hat. Wie er in einem Interview mit CNN erzählt, habe er dort neben seiner Tätigkeit als Kommandant manchmal als Scharfschütze, manchmal für die Panzerabwehr gearbeitet. Und wenn es Nahkämpfe gegeben habe, sei er auch schon als regulärer Infanterist in die Gefechte geschickt worden: «Dort sind es manchmal nur fünf Meter Distanz zwischen mir und dem Feind.» Es sei die Hölle auf Erden.
Wie es sich anfühle, jemandem so nah zu sein, ihm in die Augen zu blicken und zu wissen, dass man ihn umbringen müsse, fragte die Moderatorin. «Du denkst in diesen Momenten nicht, du machst nur», antwortete Trokhymets. «Wenn du schneller bist als der Feind, bist du derjenige, der überlebt. Man denkt nicht darüber nach, dass die Person, die man gleich umbringen wird, leben möchte oder eine Familie hat.» Wenn man den Feind im Nahkampf besiege, sei man eine weitere Kreatur losgeworden, die versuche, Zivilisten umzubringen, sie zu vergewaltigen oder ihnen das Land wegzunehmen, so Trokhymets: «Das ist alles.»
Spendenaufrufe für die Soldaten
Inzwischen verfolgen auf Instagram knapp 20’600 Personen die Erlebnisse von Trokhymets an der Front, auf Tiktok sind es gar 44’000, auf Twitter kommen nochmals 26’000 dazu. Unter den Followern befinden sich viele Ukrainer und Ukrainerinnen, aber auch Personen aus der ganzen Welt. Sie scheinen die Ehrlichkeit der Beiträge zu schätzen. So kommentierte eine Ukrainerin auf Instagram: «Ich frage mich ständig, was die Gedanken der Jungs an der Front sind, die gerade durch die Hölle gehen. Und was du sagst, ist so wichtig zu wissen und zu hören.»
Die Aufmerksamkeit, die Trokhymets durch seine Posts erhält, hat er auch schon für seine Interessen genutzt: Bereits mehrmals hat er zu Spenden aufgerufen für Güter, die ihm an der Front fehlten. Es wurde Geld gesammelt für warme Klamotten, Nachtsichtgeräte und sogar ein neues Auto. Und zu Beginn des Krieges postete er in einer Instagram-Story Informationen darüber, wie man der Armee beitreten kann. Von seiner Aktivität auf Social Media kann die ukrainische Armee also durchaus profitieren.
Der Grund, wieso der Ukrainer sich dazu entschieden hat, seine Erlebnisse auf Videos festzuhalten und auf Social Media zu teilen, ist laut ihm aber simpel – und hat nichts mit Profit zu tun: «Oft wird man im Krieg stärker durch seine eigenen Gedanken angegriffen als durch den wirklichen Feind. Deshalb halten es so viele Menschen emotional nicht aus.» Er habe die Lösung in seinem Videotagebuch gefunden: «Das macht es leichter, mit diesen Gedanken umzugehen. Und es verhindert, dass ich in Negativität und Depressionen verfalle.»
Männer aus ehemaligen Sowjetrepubliken werden zur Arbeit in die besetzte Ukraine gelockt.
Von Enver Robelli

Der russische Krieg gegen die Ukraine ist ein schmutziges Geschäft. Für diesen Krieg braucht Russland Soldaten, Söldner, ehemalige Gefangene, Schwerverbrecher und Abenteurer, die durch Schützengräben laufen, in denen Schlamm und Wasser steht. Die Männer werden oft in ärmlichen Gebieten rekrutiert, mit höheren Löhnen gelockt. Die Regionen mit der höchsten Zahl an Todesfällen sind Dagestan, Burjatien und Baschkortostan, wo Angehörige ethnischer Minderheiten leben.
Um den Krieg gegen die Ukraine zu führen, benötigt Russland nicht nur Soldaten, sondern auch Leichensammler. Viele von ihnen sollen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien stammen. Dass seit dem 24. Februar 2022 mehrere Tausend vor allem junge Russen ihr Leben in den besetzten Gebieten der Ukraine gelassen haben, besteht wenig Zweifel. Laut einem Bericht von Radio Free Europe (RFE) schicken die Behörden Russlands zunehmend Arbeitsmigranten aus Staaten wie Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan in die Ukraine, um auf den Schlachtfeldern die Leichen russischer Soldaten einzusammeln.
Ein Kirgise sagte demnach, er habe einen Arbeitsvertrag mit einer russischen Firma unterzeichnet, um für umgerechnet etwa 120 Franken pro Tag die toten Kämpfer in Zinksärge zu legen und ihre Heimkehr in Kühllastern in die Wege zu leiten. Der Krieg ist auch ein trauriges Geschäft. Der Mann erzählt weiter, er sei in Kontakt mit Landsleuten, die in der Ukraine tätig seien. Sie würden manchmal unter Beschuss geraten, es stürben Menschen. «Sie verrichten diese Art von Arbeit, weil sie sich in einer verzweifelten Lage befinden. Einige haben Schulden.»
Hunderte Migranten aus Zentralasien
Die Regierung in Kiew betrachtet die Leichensammler als Komplizen der russischen Besatzer. Auch die Regierungen zentralasiatischer Staaten haben ihre Bürger vor einem Einsatz in der Ukraine gewarnt. Nach RFE-Angaben handelt es sich um Hunderte Migranten aus Zentralasien, die auch auf dem Bau arbeiten – zum Beispiel in kriegszerstörten Städten wie Mariupol. Oder in Spitälern, Kantinen und Fabriken in den besetzten Gebieten der Ostukraine. Die Migranten sollen über 2000 Franken im Monat verdienen, ein Vielfaches von dem, was sie in ihren Herkunftsländern bekommen. Die Stellenangebote werden auf Websites, Telegram-Kanälen und Social-Media-Plattformen ausgeschrieben.
Berichtet wird auch von enttäuschten Männern, die ihre Löhne nicht erhielten und in ihre Heimat zurückkehren wollten. Ein Arbeiter aus Kirgistan sagte gegenüber Radio Free Europe, russische Grenzbeamte hätten ihm die Einreise verweigert. Er sei im Mai 2022 zusammen mit etwa 400 Männern in Mariupol angekommen. Kurz zuvor war die ukrainische Küstenstadt von russischen Truppen besetzt worden. In Russland arbeiten Millionen Migranten aus den ehemaligen sowjetischen Republiken.
Auch Frauen sollen auf den Schlachtfeldern landen
Die ins Exil geflüchtete Aktivistin Olga Romanowa vermutet, dass neuerdings auch Frauen, die in russischen Gefängnissen stecken, auf den Schlachtfeldern in der Ukraine landen. Dort betätigen sie sich als Sanitäterinnen und – laut der russischen Propaganda – auch als Sniperinnen. Romanowa leitet die Organisation Russland hinter Gittern, die sich für die Rechte der Häftlinge einsetzt. Sie äusserte sich gegenüber dem unabhängigen russischen Recherche-Netzwerk iStories. Ähnliche Angaben wie sie verbreitet auch der ukrainische Generalstab.
Unbestritten ist, dass die Söldnerfirma Wagner von Jewgeni Prigoschin Strafgefangene aus Russland in die Ukraine verlegt hat. Dort kämpfen sie gegen ukrainische Truppen. Wagner hat nach eigenen Angaben im vergangenen Monat die Rekrutierung von Häftlingen eingestellt. Gleichzeitig soll das russische Verteidigungsministerium eine eigene Rekrutierungskampagne in Gefängnissen gestartet haben. Geplant ist auch eine Anhebung der Wehrpflicht von 27 auf 30 Jahre, um keine weitere Mobilisierung auszurufen. Das Mindestalter für die Wehrpflicht soll bei 21 Jahren liegen (bisher bei 18).
Was bezweckt die russische Führung damit? Sicherheitsexperten des Institute for the Study of War (ISW) in Washington ziehen den folgenden Schluss: «Der Kreml versucht möglicherweise, eine neue Generation von Russen vor den demografischen und sozialen Auswirkungen der Zermürbungskämpfe in der Ukraine zu schützen, indem er diese Auswirkungen auf eine bestimmte Generation von Russen beschränkt.» Moskau gehe wohl davon aus, dass der Krieg in der Ukraine noch etwa drei Jahre dauern werde. Auf absehbare Zeit braucht Russland also sowohl Soldaten als auch Leichensammler.
Marinka – die Stadt, die dem Erdboden gleichgemacht wurde
Seit Kriegsbeginn toben in der ukrainischen Stadt Marinka im Gebiet Donezk schwere Kämpfe. Neue Drohnenaufnahmen zeigen nun das Ausmass der Zerstörung.
Von Michelle Muff

Zerbombte Wohnblocks, verkohlte Bäume, zerstörte Strassen: Neue Drohnenbilder aus Marinka lassen erahnen, wie heftig die Kämpfe an der Front in der ukrainischen Stadt in der Provinz Donezk ausgetragen wurden. Die Stadt, in der einst 10’000 Menschen lebten, wurde fast vollständig in Schutt und Asche gelegt. Das bestätigt Marinkas Polizeichef Artjom Schus: In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP beschreibt er Marinka als «vollständig zerstört».
Die gesamte Stadt sei – abgesehen von den Soldaten – evakuiert worden, «weil es für die Zivilbevölkerung keine Möglichkeit mehr gibt, dort zu leben». Trotzdem sind bei den Kämpfen zwischen der russischen Armee, den ukrainischen Streitkräften und prorussischen Separatisten laut Schus Dutzende Stadtbewohner getötet und viele verletzt worden.
Bereits 2014 kam es zu Kämpfen
Marinka, das 130 Kilometer südlich von der derzeit heftig umkämpften Stadt Bachmut liegt, ist seit 2014 Schauplatz von Gefechten: Damals besetzten prorussische Separatisten die Stadt, zwei Monate später konnte die Ukraine die Kontrolle über das Gebiet zurückgewinnen. Im Juni 2015 kam es erneut zu heftigen Kämpfen, als Separatisten eine Offensive auf die Siedlung starteten. Nach einem Tag endeten die Kampfhandlungen, und die Ukraine behielt die Kontrolle über das Gebiet.
In den Folgejahren lag Marinka an der Frontlinie eines Stellungskriegs zwischen den Separatisten und den ukrainischen Streitkräften, die um die Kontrolle über das Gebiet kämpften. Die andauernden Gefechte forderten zahlreiche Tote auf beiden Seiten, darunter auch Zivilisten.
Im März 2022, drei Wochen nach der russischen Invasion in die Ukraine, erreichten die russischen Truppen auch Marinka. Während die Streitkräfte zu Beginn vor allem punktuelle Angriffe entlang der Kontaktlinie durchgeführt hatten, intensivierte die russische Armee einige Wochen später die Angriffe. Mitte April meldete das in den USA ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW), dass die russischen Streitkräfte eine neue Phase grossangelegter Offensiven in der Ostukraine starteten und mit schwerer Artillerieunterstützung auch Marinka attackierten.
Trotz der Zerstörung dauern die Gefechte an
Seither dauern in Marinka und dem umliegenden Gebiet die Kämpfe an. Gemäss dem ISW haben die russischen Streitkräfte in den letzten Wochen zunehmend versucht, die ukrainische Armee durch Angriffe im Norden und Süden der Siedlung zum Verlassen von Marinka zu zwingen. Während der ukrainische Generalstab am Donnerstag von erfolglosen Offensiven sprach, meldeten russische Militärblogger in den vergangenen Tagen, dass russische Truppen innerhalb von Marinka vorgerückt seien.
Das ISW verweist dabei auf einen Telegram-Post des russischen Militärbloggers Boris Roschin vom vergangenen Samstag, der die Kämpfe in und um Marinka beschreiben soll. In dem Beitrag schreibt Roschin: «Soldaten des 1. Armeekorps der Streitkräfte Russlands schlagen den Feind täglich Haus für Haus nieder, fügen ihm schwere Verluste zu und befreien ihre Heimat.» In dem besiedelten Gebiet gebe es keine Zivilisten mehr, so Roschin: «Und es ist für unsere Kämpfer viel einfacher, Häuser mit Panzern und Artillerie zu beschiessen, als bei Infanterieangriffen das Leben der Leute zu riskieren.»
Polizeichef Artjom Schus glaubt, dass die russischen Streitkräfte absichtlich auch die letzten Ruinen in Marinka zerstören und die noch stehenden Mauern sprengen, um «jede Deckung zu zerstören, unabhängig davon, ob es sich um einen zivilen Schutzraum oder eine militärische Einrichtung handelt». Er fügt hinzu: «Sie vernichten alles, weil sie mit ihrer Taktik unsere Truppen nicht besiegen können und nun auf die Zerstörung von allem Lebendigen zurückgreifen.»
Von Simon Widmer
Ein Video in den sozialen Netzwerken zeigt, wie ein unbewaffneter ukrainischer Soldat hingerichtet wird. Für die Ukrainer ist der Mann eine Ikone des Widerstands.

In den letzten Sekunden seines Lebens zieht der Mann an einer Zigarette. Er trägt eine ukrainische Uniform mit aufgenähtem Wappen. In einem Waldstück steht er seinen Angreifern gegenüber. Eine Waffe hat er nicht. Ohne erkennbare Gefühlsregung sagt er: «Slawa Ukraini» (Ruhm der Ukraine).
Plötzlich ist eine Maschinengewehrsalve zu hören. Der erste Schuss trifft den Mann am Kopf, weitere durchbohren seinen Körper. Umgehend bricht er zusammen und stirbt. Auch als er schon tot am Boden liegt, prasseln weitere Schüsse auf ihn ein. Der Todesschütze oder die Todesschützen sind nicht zu sehen.
Diese Szene ist in einem 12-Sekunden-Video festgehalten, das am Montag im Internet veröffentlicht wurde. Weil es äusserst brutal ist, wird es hier nicht verlinkt. Nach Angaben der Regierung in Kiew zeigt es die Exekution eines ukrainischen Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft.
Diese Redaktion konnte diese Angaben nicht unabhängig verifizieren. Russische Militärs und die Söldnertruppe Wagner haben aber immer wieder Videos ins Netz gestellt, in denen sie Kriegsgefangene vorführen und Kriegsverbrechen filmen.
Weit über die Ukraine hinaus ging das Video viral. Die ukrainische Bevölkerung feiert den Mann als Nationalhelden. In sozialen Netzwerken starteten Ukrainer rasch eine Kampagne mit der Aussage des Soldaten, «Slawa Ukraini», und der Entgegnung «Herojam slawa» (Ruhm den Helden).
Der Ruf «Slawa Ukraini» ist zum Symbol des ukrainischen Widerstands in diesem Krieg geworden. Er ist im Ausland teilweise umstritten, weil er in den 30er- und 40er-Jahren auch von nationalistischen Gruppierungen verwendet wurde. Sein Ursprung liegt aber weiter zurück. Ohnehin verbinden die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer den Ruf nicht mit den damaligen Nationalisten.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ging in einer seiner Videoansprachen auf das Schicksal des Soldaten ein und versprach, man werde die Täter finden. Der ukrainische Aussenminister Dmitro Kuleba forderte eine Untersuchung des Vorfalls durch den Internationalen Strafgerichtshof. Von russischer Seite gibt es bislang noch keinen Kommentar.
Am Dienstagmittag veröffentlichte eine ukrainische Brigade eine Stellungnahme zur Identität des gefallenen Soldaten. Demnach handle es sich «nach vorläufigen Angaben» um einen Mann namens Timofej Schadura. Er sei seit dem 3. Februar in der Nähe der schwer umkämpften ostukrainischen Stadt Bachmut vermisst worden. Gemäss der ukrainischen Brigade kann die Identität des Soldaten erst bestätigt werden, wenn die im russisch besetzten Donezker Gebiet vermutete Leiche gefunden und übergeben wird.

Der ukrainische Journalist Juri Butussow bezweifelte die Darstellung. Es handle sich bei dem Mann aus dem Video um einen 42 Jahre alten Scharfschützen aus dem Gebiet Tschernihiw.
Timofej Schaduras Schwester Olja erklärte gegenüber der BBC, dass sie aufgrund der widersprüchlichen Berichte über die Identität noch kein Geld für die Angehörigen sammle. Über ihren Bruder sagt sie gegenüber der BBC: «Er wäre sicherlich in der Lage, den Russen so die Stirn zu bieten.»
Das Bild des Mannes mit der Zigarette könnte sich in die Bild- und Videoaufnahmen einreihen, die die öffentliche Wahrnehmung des Kriegs prägen. So wie die Geflüchteten unterhalb der zerstörten Brücke in Irpin, die schwangere Frau, die nach dem Bombardement eines Spitals in Mariupol wegtransportiert wird oder das zerbombte Wohnhaus in Dnipro.
Ebenfalls viral verbreitet hat sich zuletzt eine Zeichnung des getöteten Soldaten vor der ukrainischen Landeskarte. Geteilt hat sie auch der deutsche Militärexperte Carlo Masala. Er sagt: «Es geht mir nicht um Heldenverehrung. Aber hier bekommen Kriegsverbrechen ein Gesicht. Und dafür steht dieser Mann.»
Von Enver Robelli
«Eine gefährliche Desinformation der Ukraine». Mit diesen Worten dementierte der serbische Verteidigungsminister Nebojsa Stefanovic Meldungen, wonach serbische Söldner in den Reihen der prorussischen Truppen in der Ostukraine kämpften. Das war vor etwa einem Jahr, als Russland die Ukraine überfiel. Mittlerweile ist Stefanovic nicht mehr im Amt, weil er hinter den Kulissen offenbar gegen den allmächtigen Staatschef Aleksandar Vucic intrigiert hat. Die Rede ist von über 1500 abgehörten Telefonaten des Präsidenten.

Diese Woche bestätigte die serbische Justiz, dass in der Nähe der Kleinstadt Ruma im Nordwesten des Landes ein Haus durchsucht worden sei. Es gehört den Eltern von Dejan Beric, dem wohl berüchtigsten serbischen Söldner im Dienste Russlands. Gegen den Sniper, der 48 Jahre alt sein soll, läuft ein Verfahren wegen Beteiligung an der russischen Aggression gegen die Ukraine. Die Polizeiaktion erfolgte, nachdem Beric Mitte Dezember auf seinem Youtube-Kanal ein Video gepostet hatte mit Informationen, wie sich serbische Freiwillige den russischen Streitkräften in der Ukraine anschliessen können.
Auf Youtube folgen dem serbischen Scharfschützen 100'000 User, auf Telegram über 70'000. Dort inszeniert sich Beric als furchtlosen und sagenumwobenen Kämpfer, der angeblich jedes Duell gewinnt. Einst prahlte er auch damit, dass er Amerikaner umgebracht habe. Gleichzeitig zeigt er ein Herz für Kinder und Hunde. Auf einer anderen Aufnahme, die ebenfalls von Beric veröffentlicht wurde, berichten mutmasslich serbische Staatsbürger von ihren Kämpfen für die russische Armee. Das Video soll in einem Trainingscamp entstanden sein. «Kommt nach Moskau, hier erwarte ich euch oder jemand vom Geheimdienst», sagt Beric.

In Serbien war der vom Handwerker zum Sniper aufgestiegene Beric lange ein Medienstar. Er gab bereitwillig Interviews, schwadronierte von der serbisch-russischen Bruderschaft, lästerte über den kulturlosen Westen und berichtete von seinen «Heldentaten» während der Schlacht um Slowjansk 2014. Später trat er als «Kriegsberichterstatter» und «Journalist» in Erscheinung – zum Beispiel an einer Pressekonferenz der Sprecherin des russischen Aussenministeriums Maria Sacharowa.
Serbien hat sich bisher geweigert, eine genaue Zahl der serbischen Söldner und Freiwilligen zu nennen, die in der Ostukraine die russischen Besatzer unterstützen. Die ukrainische Botschaft in Belgrad teilte bereits 2019 mit, dass sich nach der Eroberung der Krim mindestens 300 serbische Staatsbürger an dem Krieg gegen die Ukraine beteiligten. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Laut Belgrader Behörden wurden bisher über 30 Urteile gegen Serben gefällt, die gemeinsame Sache mit den Russen machten. Meist wurden sie milde bestraft. So wurde zum Beispiel kürzlich ein Verurteilter auf freien Fuss gesetzt, nachdem seine einjährige Haftstrafe in eine Bewährungsstrafe umgewandelt worden war.
Der Scharfschütze Dejan Beric wird auf absehbare Zeit kaum in sein Heimatland zurückkehren. Ihm drohen gemäss serbischem Gesetz bis zu fünf Jahre Haft. In nationalistischen Kreisen in Serbien gilt Beric nach wie vor als Held. Er soll in den 90er-Jahren an serbischen Eroberungszügen in Bosnien und Kosovo teilgenommen haben. Auf prorussischen Demonstrationen in der serbischen Hauptstadt tragen grossserbische Fanatiker Flaggen mit seinem Konterfei.
Kürzlich zeigte der serbische Ableger des russischen Fake-News-Senders Russia Today ein Video der Söldnertruppe Wagner. Zu sehen waren angeblich serbische Freiwillige, die für den Kampf gegen die Ukraine trainieren. Das ging selbst dem zwischen Russland und dem Westen lavierenden Präsidenten Vucic zu weit. Wagners Aufruf zur Rekrutierung von serbischen Männern sei «unfair», meinte Vucic. Die Befehlshaber der paramilitärischen Truppe Russlands wüssten genau, dass solche Appelle gegen serbische Gesetze verstossen. Der Staatschef erinnerte daran, dass Belgrad im Unterschied zu den westlichen Staaten und den meisten Nachbarländern keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat.
«Warum tun Sie das Serbien an? Unser Land leidet darunter, dass wir weder Tschaikowski noch Dostojewski oder Tolstoi verboten haben», wandte sich Vucic in theatralischem Unterton an die Wagner-Truppe. Natürlich hat kein EU-Staat russische Klassiker verbannt, das weiss auch Vucic. Aber er war mal Propagandaminister des Gewaltherrschers Slobodan Milosevic – und fällt oft in den alten Propaganda-Modus zurück.
von Simon Widmer
Ein in der Schweiz wohnhafter User vertwittert falsche Zahlen gefallener Soldaten zum Ukraine-Krieg. Populär wird der Tweet ausgerechnet wegen einer Antwort des Twitter-CEO.

Als Chef des Kommunikationsdienstes Twitter sollte sich Elon Musk politisch eigentlich zurückhalten. Noch problematischer ist es, wenn der Unternehmer Falschinformationen verbreitet. Doch genau das geschah kürzlich.
Musk reagierte auf einen Tweet des in der Schweiz wohnhaften Users «Russian Market», der irreführende Zahlen zum Ukraine-Krieg vertwittert hatte. Folgendes schrieb der Finanzmarktblogger in seinem Tweet:
«Türkische Zeitung enthüllt die schrecklichen Dimensionen der Verluste der ukrainischen Armee:
Ukraine: 157.000 tote Soldaten.
234 Tote - NATO-Militärausbilder (USA und Grossbritannien)
2.458 Tote - NATO-Soldaten (Deutschland, Polen, Litauen, etc.)»
«Ein tragischer Verlust an Menschenleben», schrieb Musk darauf in einer Antwort.
Quelle der Statistik ist eine unbekannte türkische Nachrichtenseite. Dass die zitierten Zahlen falsch sein müssen, ist offensichtlich. Die Nato-Mitgliedsländer liefern Kampfpanzer, Waffen und leisten der Ukraine logistische Unterstützung. Von Anfang an haben die Nato-Länder aber ausgeschlossen, Soldaten in die Ukraine zu entsenden.
Zwar gibt es Berichte, gemäss denen britische Ausbilder in die Ukraine gereist sind. Über etwaige Todesfälle ist aber nichts bekannt.
Der Tweet bedient das Kreml-Narrativ, dass sich Russland nicht in einem Krieg gegen die Ukraine, sondern gegen den Westen befinde.
Musks Antwort wurde bis Mittwochvormittag über 17 Millionen Mal aufgerufen. Tendenz: stark steigend. Auch der Original-Tweet von «Russian Market» erlangte dank der Intervention des Twitter-CEO unerwartete Popularität: Er wurde bislang 13 Millionen Mal angeklickt.
Der türkische Journalist Ilhan Tanir schrieb, er habe noch nie von der Nachrichtenseite gehört, auf die sich Musk verlassen habe, und wies darauf hin, dass es für die zitierten Zahlen weder eine Quelle noch eine Zuordnung gebe, ausser dass die Zahlen angeblich vom israelischen Geheimdienst Mossad stammten.
«Selbst meine Tante wäre vorsichtiger», schrieb Tanir. «Was machst du, Elon Musk? Peinlich.»
Schon früher hat Musk auf Twitter russische Propaganda verbreitet. Im Oktober schlug er einen Friedensplan vor, der einen Teil der Forderungen des russischen Präsidenten Wladimir Putins erfüllt: Unter anderem solle sich Kiew zur militärischen Neutralität verpflichten und die Krim formal als Teil Russlands anerkennen.
Für seinen Kreml-freundlichen Vorschlag gab es damals Lob vom früheren russischen Präsidenten Dimitri Medwedew, der nicht genug gegen den Westen hetzen kann und regelmässig mit Atombomben droht.
Wieso genau sich Musk auf die Seite des Kreml geschlagen hat, ist schwierig zu sagen. Früher war der Unternehmer in der Ukraine ein Held. Nachdem er nach Kriegsbeginn eine Reihe seiner Starlink-Internet-Terminals in das Land hatte transportieren lassen, lobte ihn der ukrainische Präsident Selenski. Die Terminals sind noch aktiv, doch mit seinen Tweets hat sich Musk in Kiew unbeliebt gemacht.
Der Finanzblogger «Russian Market» reagierte nicht auf eine Anfrage dieser Redaktion. Elon Musk hat – nach schwerer Kritik diverser Nutzerinnen und Nutzer – seinen Fehler wohl eingesehen. Er bat «Community Notes», einen auf Crowdsourcing basierenden Dienst, die Zahlen der Todesopfer zu korrigieren.
Zita Affentranger
Wenn der russische Präsident Wladimir Putin einen schmutzigen oder verlustreichen Job zu vergeben hat, wendet er sich an die Wagner-Söldner seines alten Freundes Jewgeni Prigoschin. Und das ist ganz offensichtlich eine Methode, die auch seinem weissrussischen Adlaten Alexander Lukaschenko gefällt. Deshalb werden in Weissrussland offenbar bereits seit Monaten Angehörige eines privaten Sicherheitsdienstes von Spezialeinheiten des weissrussischen Militärs trainiert. Zudem habe auch Putin «eine sehr grosse Summe» in den privaten Sicherheitsdienst GardService investiert, um daraus ein «weissrussisches Analog zu Wagner» zu machen, sagt der weissrussische Militär Waleri Sachaschtschik dem polnischen Fernsehsender Belsat, der sich an Zuschauer in Weissrussland richtet.
«Ich weiss, dass Offiziere der fünften Brigade der Spezialeinheiten in der Region Minsk auf ihrer Basis Mitarbeiter des GardService ausbilden», so Sachaschtschik, der bis 2022 Kommandant einer Luftlandebrigade der Spezialeinheiten in Brest war. Dabei sei die Zahl dieser Sicherheitsleute in letzter Zeit massiv gewachsen. Sachaschtschik rechnet mit mehr als 1000 Männern, die von Spezialeinheiten trainiert werden. Sie sollen in Sabotage- und Aufklärungsgruppen eingesetzt werden und auch in den Reihen der russischen Wagner-Truppe dienen. Prigoschins Leute sollen letzten Sommer sogar selber Trainings mit den Weissrussen durchgeführt haben.

Sachaschtschik ist ein glaubwürdiger Zeuge, der über gute Verbindungen in die weissrussischen Streitkräfte verfügt. Der Kommandant stellte sich nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen 2020 in Weissrussland gegen Lukaschenko und auf die Seite der Opposition, die von Switlana Tichanowskaja angeführt wird. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine bezog der Kommandant klar Position gegen den Angriff und vor allem gegen eine mögliche Verwicklung Weissrusslands in den Krieg.
Er habe noch nie in seinem Leben ein Video gedreht, habe immer nur treu seinem Vaterland gedient, sagte Sachaschtschik in der Aufnahme vom Februar 2022. Doch nach dem russischen Angriff im Nachbarland rief er seine Landsleute und seine Militärkollegen in dramatischen Worten dazu auf, Weissrussland aus diesem Krieg herauszuhalten.
Nach Veröffentlichung des Videos wurde Sachaschtschik von der Armee kaltgestellt, er arbeitet heute als Beauftragter für Verteidigung und nationale Sicherheit im Team der Exilregierung unter Tichanowskaja.
Das von Sachaschtschik erwähnte private Sicherheitsunternehmen GardService trat in Weissrussland erstmals im Juni 2020 in Erscheinung. Dies belegen Regierungsdokumente, welche die Rechercheplattform Molfar veröffentlicht hat. Präsident Lukaschenko erliess damals ein Dekret, das es den Mitarbeitern von GardService erlaubte, «in der für paramilitärische Wachen gesetzlich vorgeschriebenen Weise» Waffen zu tragen, zu lagern und einzusetzen. Ein Jahr später veröffentlichte das Justizministerium eine Liste mit Waffen, über die GuardService verfügt. Die Liste umfasst Pistolen, Maschinengewehre und Scharfschützengewehre.

In den Sicherheitsdienst soll ein ehemaliger Leiter der Präsidialverwaltung Lukaschenkos verwickelt sein. Beobachter vermuten, dass die private Truppe ursprünglich gegründet wurde, um Lukaschenko Schützenhilfe zu leisten, wenn er wegen Protesten in ernste innenpolitische Schwierigkeiten gerät. Bei GardService wurde offensichtlich genau darauf geachtet, dass nur absolut loyale Personen rekrutiert wurden. Laut Sachaschtschik werden ihnen fürstliche Löhne bezahlt.
Doch inzwischen hat sich das Profil von GardService verändert und die Söldner könnten an der Seite Russlands im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden. Bisher weigert sich Lukaschenko, weissrussische Soldaten gegen das Nachbarland in den Kampf zu schicken. Sollte Russland − wie von der Ukraine befürchtet − diesen Monat eine neue Offensive auch Richtung Kiew starten, würde das Minsk aber unter massiven Zugzwang setzen. Immer wieder kursieren Gerüchte über eine weissrussische Mobilmachung. Sachaschtschik ist überzeugt, dass ein Kriegseintritt Weissrusslands nur noch eine Frage der Zeit ist, es fänden bereits entsprechende Manöver statt.

Doch eine Mobilisierung könnte Lukaschenko gefährlich werden und neue massive Proteste in Weissrussland auslösen. Deshalb käme ihm eine eigene Wagner-Truppe gerade recht: Sie könnte er anstelle von Wehrpflichtigen in die Ukraine schicken, um den schmutzigen oder verlustreichen Job im russischen Angriffskrieg zu übernehmen. Damit könnte sich Lukaschenko gegenüber Putin zumindest vorerst aus der Affäre ziehen.
Die russische Studentin Olesia Kriwzowa wurde von Kommilitonen denunziert und sitzt im Hausarrest. Gleichzeitig schleift Moskau die letzten Reste der Zivilgesellschaft.
von Enver Robelli
Seit Ende Dezember trägt Olesia Kriwzowa eine Fussfessel. Die junge Frau stammt aus Archangelsk im Uralgebiet, sie steht unter Hausarrest und darf eigentlich mit der Aussenwelt nicht kommunizieren. Ihr Anwalt erklärte gegenüber dem US-Sender CNN, Kriwzowa riskiere eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren, weil sie angeblich die russische Armee diskreditiert habe. Und weitere sieben Jahre, weil sie von der Justiz als «Terror-Propagandistin» verunglimpft werde. Ihre Mutter sagt: «Sie hat einen grossen Sinn für Gerechtigkeit, das macht ihr das Leben schwer.»

Wer in Russland heutzutage einen Sinn für Gerechtigkeit hat, lebt gefährlich. Wer den Aggressionskrieg Wladimir Putins gegen die Ukraine kritisiert, wird von der Staatsmacht hart angefasst. Der 19-jährigen Studentin ist ein Instagram-Post zum Verhängnis geworden. Darin zeigte sie Bilder von getöteten ukrainischen Zivilisten und verbreitete Empfehlungen der Kiewer Behörden, wie sich russische Soldaten ergeben sollten.
Danach diskutierten Teilnehmer einer Chatgruppe über den Überfall Russlands auf die Ukraine. Plötzlich tauchten Screenshots von Kriwzowas Instagram-Storys auf, und ein Teilnehmer sagte: «Das ist illegal. Vielleicht sollte ein Verfahren eingeleitet werden?» Die Reaktion der Behörden erfolgte umgehend. Die Wohnung von Kriwzowa wurde von den Sicherheitskräften gestürmt und durchsucht, anschliessend landete sie kurz im Gefängnis.
Ein «Gruss der Söldnertruppe Wagner»
Ein Beamter soll sie mit einem Vorschlaghammer bedroht haben. Das sei ein «Gruss der Söldnertruppe Wagner» gewesen, hiess es aus Sicherheitskreisen. Die Mörderbande liess im vergangenen Jahr einen desertierten Söldner öffentlichkeitswirksam mit dem Vorschlaghammer brutal ermorden. Seither macht das Werkzeug dem Kampfzeichen «Z» Konkurrenz als Symbol der Staatspropaganda für die Eroberung der Ukraine.
Sergei Mironow, der Vorsitzende der Partei «Gerechtes Russland», posierte kürzlich mit einem Vorschlaghammer – angeblich ein Geschenk von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin. «Ein sehr nützliches Instrument», meinte Mironow, der einen neuen Slogan seiner Partei verkündete: «Wir ersetzen Hammer und Sichel durch Vorschlaghammer und Sense.»

Olesia Kriwzowa wurde inzwischen auf eine Terrorliste gesetzt – zusammen mit dem sogenannten Islamischen Staat, al-Qaida und den Taliban. Dennoch lässt sie sich nicht mundtot machen. Gegenüber dem russischsprachigen und von den USA finanzierten Fernsehsender «Current Times» sagte sie: «In meinem Kopf schwirren die schlimmsten Szenarien.» Sie rechne mit einer Inhaftierung und versuche, sich mit dieser Möglichkeit zu arrangieren.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden nach Angaben der Menschenrechtsgruppe OVD-Info etwa 21'000 Menschen zeitweise festgenommen, davon sind 8500 Frauen. «Der Protest hat jetzt ein klar weibliches Gesicht», schrieb OVD-Info im Herbst.
Moskau löst Bürgerrechtsbewegungen auf
Inzwischen schleift Moskau die letzten Reste der Zivilgesellschaft. Ende Januar wurde die Helsinki-Gruppe aufgelöst, Russlands älteste Menschenrechtsorganisation. Als Grund für die Massnahme wurden «Rechtsverstösse» genannt: Die Helsinki-Gruppe habe ausserhalb von Moskau agiert und damit ihren regionalen Status verletzt. Dem Kreml dürfte es aber nicht gefallen haben, dass die Aktivisten sich gegen den Krieg in der Ukraine aussprechen und die Rechte von Kriegsdienstverweigerern und Wehrpflichtigen verteidigen.
Die Bürgerrechtsbewegung war 1976 von Dissidenten gegründet worden, nachdem die damalige Sowjetunion die Schlussakte von Helsinki unterzeichnet und sich zur Achtung grundlegender Menschenrechte verpflichtet hatte. Diese Rechte wollte die Gruppe schützen, geriet aber schnell ins Visier der Behörden und musste 1982 ihre Arbeit einstellen. Erst 1989 wurde sie wieder tätig – dank der Perestrojka-Reformen von Michail Gorbatschow.
Opfer der Behördenwillkür wurde im Januar auch das Moskauer Sacharow-Zentrum. Die Stadtverwaltung habe alle Mietverträge mit ihm gekündigt, teilte das nach dem sowjetischen Physiker und Friedensnobelpreisträger Andrei Sacharow benannte Zentrum mit. Begründet wurde der Rauswurf mit neuen Gesetzen, die eine Unterstützung von Organisationen verbieten, wenn sie als «ausländische Agenten» eingestuft wurden. Als solcher gilt das Zentrum seit 2014. Die Stadtverwaltung hatte die Liegenschaft unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
«Eine Insel der Freiheit ist nicht möglich im heutigen Russland», hiess es in einer Stellungnahme des Sacharow-Zentrums. Das Land wende sich ab von Humanismus, Wahrheit und Gerechtigkeit. In Russland regiere jetzt ein unkontrollierter Machtapparat, der die Gesellschaft mit Angst, Hass und einem verlogenen Gefühl der Überlegenheit steuere. Bereits vor dem Überfall auf die Ukraine hatte der Kreml Ende 2021 die Auflösung der bedeutendsten Menschenrechtsorganisation des Landes, Memorial International, beschlossen. Memorial dokumentierte vor allem die Gräueltaten unter Sowjetdiktator Josef Stalin. Der kritische Blick auf die Vergangenheit passte dem Regime nicht.
Von Enver Robelli

Das neue Jahr hat für die russische Luftfahrt schlecht begonnen. Seit Anfang Januar wurden mindestens sieben Zwischenfälle gemeldet, berichten Moskauer Medien. Mal ist es ein defektes Toilettensystem, mal konnte das Fahrwerk nicht eingefahren werden, mal gab es unerklärliche Verspätungen.
Gemäss Angaben der Zeitung «Kommersant» mussten im vergangenen Jahr neun russische Fluggesellschaften ihren Betrieb einstellen. Im November meldete die US-Denkfabrik Rand Corporation, dass in den vorangegangenen zwei Monaten mindestens sechs russische Zivil- und Militärflugzeuge abstürzten – alle im russisch kontrollierten Luftraum. Zwei davon seien zivile Maschinen gewesen, vier militärische.
Es fehlt an Ersatzteilen
Die Zwischenfälle sind teilweise eine Folge der Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängt hat, als Moskau am 24. Februar 2022 das Nachbarland Ukraine überfiel. Die USA und fast alle europäischen Staaten haben ihren Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt. Airbus und Boeing liefern keine Ersatzteile mehr nach Russland. Die Zusammenarbeit westlicher Fluggesellschaften mit russischen Airlines wurde eingestellt.
Die russische Nachrichtenagentur RBK zitierte im vergangenen Herbst aus einem Brief eines hochrangigen Beamten der Region Primorje am Pazifik. Er forderte neue Passagierflugzeuge von der Zentralregierung in Moskau, weil man mit derzeitigen Maschinen «nach diesem Jahr» (gemeint war das Jahr 2022) nicht mehr fliegen könne. Eine Reparatur der in Kanada produzierten Triebwerke sei nicht möglich wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland.

Um den Niedergang der Zivilluftfahrt zu stoppen und die Flotten instand zu halten, haben die russischen Behörden im Dezember die Demontage von Flugzeugen erlaubt: Laut Radio Free Europe hat die Fluggesellschaft Aeroflot 25 Maschinen für Ersatzteile ausgeschlachtet. Ein staatliches Triebwerkbauer soll zudem empfohlen haben, verschmutzte Kraftstofffilter in Flugzeugen des Typs Superjet 100 mit Bremsflüssigkeit zu reinigen, weil kein Ersatz möglich sei. Die erste Neuentwicklung einer russischen Passagiermaschine seit dem Ende der Sowjetunion enthält viele westliche Komponenten.
Zuletzt hiess es, russische Fluggesellschaften würden die ausgemusterte Tupolew Tu-214 wieder einsetzen. Das Modell hat kaum westliche Bauteile. Im Linienverkehr fliegt der Jet derzeit offenbar nur noch in Nordkorea. Um die Abhängigkeit vom Westen zu reduzieren, will die staatliche Industrie- und Rüstungsholding Rostec in den nächsten Jahren rund 70 Tupolew Tu-214 produzieren. Aeroflot hatte kurz nach dem Angriff auf die Ukraine 40 Exemplare bestellt.
Nach Angaben von Cirium, eines weltweit führenden Anbieters von Luftfahrt-Datenanalysen, sind von den insgesamt 980 Passagierflugzeugen mit russischer Flagge 777 Maschinen geleast, viele davon wurden im Westen produziert.
«Grösster Flugzeugdiebstahl»
Diese Flugzeuge, die Leasinggesellschaften wie Aer Cap, Avolon und Air Lease gehören, hat Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine umregistriert, wie der faktische Diebstahl beschrieben wird. «Ich befürchte, dass wir Zeugen des grössten Flugzeugdiebstahls in der Geschichte der kommerziellen Zivilluftfahrt werden», sagte Ende März 2022 Wolodimir Bilotkach, Professor für Luftverkehrsmanagement am Singapore Institute of Technology, gegenüber Reuters. Es wird damit gerechnet, dass ein grosser Teil der mehr als 500 Maschinen für immer verloren ist. Ihr Marktwert wird von Experten auf bis zu zehn Milliarden Dollar geschätzt.
Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (Icao) mit Sitz in Montreal warnte im vergangenen Sommer ihre 193 Mitgliedsstaaten, dass Moskau die Sicherheitsvorschriften nicht einhalte. Anfang Oktober verlor Russland sogar seinen Sitz im Verwaltungsrat der UNO-Organisation.
Von Simon Widmer
Die Bilder sehen aus, als hätte jemand das Wohnhaus weggekehrt. Mindestens 46 Menschen wurden getötet, als eine russische Rakete einen Wohnblock in der ukrainischen Grossstadt Dnipro zerstört hatten. Die Explosion des Sprengkopfes riss eine riesige Lücke in das Gebäude. Die Behauptung des Kreml, Russlands Armee würde nur militärische Ziele angreifen, hat sich einmal mehr als glatte Lüge herausgestellt.
Die ukrainische Digitalkünstlerin Mariia Loniuk wollte die Verwüstung aufarbeiten. Ihr Bild des verwüsteten Wohnhauses hat in der Ukraine viele Menschen bewegt und ging auf sozialen Medien viral. Im Interview spricht die 29-Jährige über ihre Kunst und den Krieg gegen die Ukraine.

Mariia Loniuk, worin sehen Sie Ihre Aufgabe während des Kriegs gegen die Ukraine?
Ich möchte den Menschen etwas über das Leben der ukrainischen Bevölkerung erzählen. Das aktuelle Kriegsgeschehen kann man in den Nachrichten nachlesen. Aber mit meinen Bildern möchte ich gerade den Menschen im Ausland zeigen, wie sich die Menschen hier fühlen, welche Emotionen sie durchleben.
Sie zeichnen auch sehr sensible Themen, etwa Vergewaltigung von Minderjährigen. Ist es für Sie wichtig, auch die schlimmsten Aspekte des Krieges darzustellen?
Ja, denn meine Bilder helfen mir auch selber, schreckliche Ereignisse zu verarbeiten. Als ich erfuhr, dass russische Soldaten Mädchen vergewaltigt hatten, fühlte ich Trauer, aber auch Angst. Als der Krieg ausbrach, lebte ich noch mit meiner Familie in Kiew, nicht weit weg von der Frontlinie. Ich fürchtete, dass so etwas auch mir passieren könnte. Denn der Krieg ist kein Spiel, in dem Regeln gelten. Es gibt keine Regeln mehr. Ich habe diese Bilder gezeichnet, um mit Menschen zu sprechen, die fühlen wie ich, die auch Angst haben.

Im Juli wurde auch Ihre Stadt Winnizja von Bomben getroffen. Darüber haben Sie nicht gezeichnet. Wieso?
Der Raketeneinschlag war nur vier Kilometer von meiner Wohnung entfernt. Ich hatte Angst um meinen Freund, von dem ich glaubte, er sei in dieser Gegend. Ich konnte damals nicht darüber zeichnen, weil ich eine Pause benötigte. Es fällt mir schwer, ohne Unterbruch tragische Geschehnisse zu verarbeiten.
Bevor Putins Truppen im vergangenen Jahr die Ukraine überfielen, zeichneten Sie noch Fantasy-Bilder.
Als die Invasion begann, war das eine Chance für mich, mit meinen Bildern etwas für die Ukraine zu tun. Ich höre oft, Kunst und Politik hätten nichts miteinander zu tun, aber das stimmt nicht. Denn in der Kunst geht es immer um den Künstler oder die Künstlerin. Und jetzt bin ich eine Künstlerin in einem Land, in dem Krieg herrscht. Also muss ich das verarbeiten. Ich will meine Bilder nicht von der Realität trennen, die in diesem Land herrscht.
Vor allem Ihr Bild über den Angriff auf die Stadt Dnipro wurde in der Ukraine populär. Weshalb?
Meine Bilder sind vor allem dann beliebt, wenn ich rasch auf die Aktualität reagieren kann. Die Leute sehen sich die Nachrichten an und sind geschockt. Wenn ich schnell mit einem Bild reagiere, kann ich den Menschen helfen, ihren Schock zu verarbeiten. Sie merken vielleicht, dass sie ähnliche Gefühle haben wie ich.
Sie haben auch ein Bild der iranischen Massenproteste gezeichnet. Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen dem ukrainischen Widerstand gegen Putin und der iranischen Opposition gegen die Mullahs?
Wenn die iranischen Frauen über Freiheit sprechen, berührt mich das sehr. Das sind alles Heldinnen. Wahrscheinlich, weil die Menschen im Iran wie auch in der Ukraine unter so schwierigen Bedingungen leben. In einem Land, wo alles gut läuft, kann man sich vielleicht nicht vorstellen, was es bedeutet, für die Freiheit zu kämpfen. Aber im Iran und in der Ukraine sind die Menschen bereit, für die Freiheit zu sterben. Es ist die einzige Möglichkeit, um unseren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen.
Russische Soldaten haben Kulturstätten zerstört und historische Kunstwerke gestohlen. Weshalb?
Die Kultur ist ein Teil unserer Identität, der Art, wie wir fühlen. Russland will das alles auslöschen, um die Menschen zu unterdrücken.
Wie meinen Sie das?
Es ist für Putins Regime sehr schwierig, Menschen Befehle zu erteilen, die sich nicht als Russen fühlen. Viel einfacher ist es, Menschen zu knechten, die nicht mehr wissen, wer sie überhaupt sind. Nehmen Sie das Weissrussische, das heute marginalisiert ist. Das ist ein Resultat davon, dass in der Sowjetunion systematisch die ukrainische, weissrussische und kasachische Kultur zerstört wurden. Ich selber habe ja noch Glück: Russische Soldaten können physische Kunstwerke kaputt machen. Aber meine Bilder kann niemand zerstören.

Gibt es während des Krieges noch so etwas wie ein normales Leben?
Ich denke nicht in jedem Moment meines Lebens an den Krieg, aber der Krieg ist für alle ein Teil des Lebens geworden. Man geht spazieren, hört Explosionen und kehrt wieder um und geht nach Hause. Man hat vielleicht eine gewisse Zeit lang Angst, aber dann muss es weitergehen.
In der Schweiz wird gerade diskutiert, dass die Regierung Oligarchengelder konfiszieren soll, um damit den Wiederaufbau der Ukraine mitzufinanzieren. Was denken Sie darüber?
Russland bezeichnet diesen Krieg auch deshalb als «militärische Spezialoperation», damit sie keine Reparationen zahlen müssen. Wir müssen uns also die Frage stellen, wie wir das Geld für den Wiederaufbau erhalten können. Die Oligarchen, die ihr Geld in der Schweiz parkiert haben, haben enge Verbindungen zum Putin-Regime. Für mich ist es logisch, dass sie zahlen müssen. Die Verantwortung für den Krieg liegt nicht nur beim Putin-Regime allein, sondern auch bei der Bevölkerung.
Nicht alle unterstützen den Krieg.
Viele unterstützen den Krieg. Und noch mehr verhalten sich so, als ob sie der Krieg nichts anginge. Für mich tragen auch sie Verantwortung.

Im Westen gibt es zunehmend Menschen, die kriegsmüde sind, sie wollen sich nicht täglich mit Gräueltaten beschäftigen. Können Sie das nachvollziehen?
Natürlich verstehe ich das. Die Menschen wollen ihr eigenes Leben leben. Wenn man die ganze Zeit negative Nachrichten liest, fühlt man sich selber schnell deprimiert und machtlos. Das ist ja bei vielen Menschen hier nicht anders. Wenn man morgens die Nachrichten über den Krieg liest, kann man schon Angst bekommen. Viele versuchen, sich mit anderem zu beschäftigen, zumindest eine Zeit lang.
Die Schweiz ist ein neutrales Land, das der Ukraine nie Waffen liefern wird. Was können die Menschen hier tun, um die Ukraine zu unterstützen?
Jede kleine Geste hilft uns. Wenn ich in den sozialen Medien sehe, dass Leute aus dem Ausland schreiben: «Wir unterstützen euch» oder «Wir fühlen mit euch», gibt uns das Kraft. Es hilft uns, psychisch gesund zu bleiben. Denn hier haben wir wirklich Angst, dass die Menschen im Ausland den Krieg vergessen.
Von Zita Affentranger
Seit Wochen beschiesst Russland ukrainische Städte mit Raketen und Drohnen. Immer wieder gibt es Dutzende Tote. Schuld daran will Russland meistens nicht sein, aber offenbar kann man sich in Moskau durchaus vorstellen, was solch hinterhältiger Beschuss aus der Ferne für eine Stadt bedeuten könnte. Nämlich eine Katastrophe. Die letzten Tage sind in Moskau auf verschiedenen Dächern Luftabwehrsysteme gesichtet worden. Zuerst auf dem Gebäude des Verteidigungsministeriums, dann auch auf Bildungseinrichtungen.
Panzir heisst das Raketensystem, das da auf dem Dach des Verteidigungsministeriums steht, was auf Deutsch Harnisch heisst. Panzir ist nicht zu verwechseln mit einem Panzer, obwohl genau einen solchen manche Nutzer auf Telegram auf die Moskauer Dächer fotomontiert haben, um sich über den Kreml lustig zu machen. Panzir-Systeme können gegen Flugzeuge, Helikopter und Raketen eingesetzt werden. Man kann damit aber auch kleinere Objekte abschiessen wie etwa Drohnen. Laut russischen Medienberichten wurden zur Ergänzung des Panzir rund um die Stadt auch moderne S-400-Raketenabwehrsysteme in Stellung gebracht.
Präsident Wladimir Putin soll derweil einen persönlichen Panzir-Schirm bekommen haben. Eine Abwehrbatterie soll wenige Kilometer von seiner Landresidenz in Nowo-Ogarjowo in der Region Moskau gesichtet worden sein.
Die Geschütze dürften gegen mögliche ukrainische Drohnenangriffe aufgestellt worden sein. Die Angriffe auf russische Militäreinrichtungen, Hunderte Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, waren zuletzt nur noch gut 200 Kilometer von Moskau entfernt. Ein Beschuss der russischen Hauptstadt kann damit nicht mehr ausgeschlossen werden, manche Beobachter halten eine Attacke nur noch für eine Frage der Zeit.
Offiziell bestätigen wollte die Installationen der Raketenabwehr weder die Stadt noch das Militär. Abgeordnete der Staatsduma behaupteten sogar, es handle sich bei den Bildern nur um Fotomontagen. Auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wollte keinen Kommentar abgeben und schob die Verantwortung auf das Militär: «Die sind verantwortlich für die Sicherheit im Land und in der Hauptstadt. Fragen Sie also besser das Verteidigungsministerium.» Die Militärs schwiegen zunächst. Am Wochenende hiess es dann lapidar, 150 Soldaten hätten in der Region Moskau an Luftabwehrübungen teilgenommen. Diese seien erfolgreich verlaufen.
Auf jeden Fall brachte die Aktion dem Militär, aber auch dem Präsidenten auf Telegram viele bissige Kommentar ein: «In drei Tagen nach Kiew – und jetzt das», schreibt ein Nutzer und spielt damit auf die Drohung Putins nach der Annexion der Krim an, dass es für Moskau ein Leichtes wäre, die ukrainische Hauptstadt zu erobern. Als Putin die Drohung zu Kriegsbeginn letztes Jahr wahr machen wollte, scheiterte die desorganisierte russische Armee kläglich.
Rund um Moskau sind 68 Raketensilos verteilt
Doch im Gegensatz zum geplagten Kiew ist die russische Hauptstadt gut geschützt. Über der Stadt herrscht seit vielen Jahren ein striktes Flugverbot, jedes unbekannte Flugobjekt werde gnadenlos abgeschossen, behaupten die Sicherheitskräfte. So eine Peinlichkeit wie die Landung des unerfahrenen Amateurpiloten Matthias Rust 1987 beim Roten Platz sollte ihnen schliesslich nicht noch mal passieren. Der 18-Jährige Deutsche war damals einfach von Helsinki nach Moskau geflogen, ohne dass eines der ungezählten sowjetischen Sicherheitssysteme ihn aufgehalten hätte. Er landete unversehrt im Allerheiligsten der russischen Hauptstadt und sozusagen vor der Nase der Mächtigen.
Doch die russische Hauptstadt verlässt sich nicht nur auf den Abschussbefehl. Es wacht zudem ein grosses Raketenabwehrsystem über die Stadt. Rund um Moskau sind 68 Raketensilos verteilt, die mit Kurzstrecken-Abfangraketen bestückt sind, die allerdings nicht auf kleine, tieffliegende Drohnen optimiert sein dürften. Putin liess das System, das noch aus den Siebzigerjahren stammte, vor ein paar Jahren von Grund auf erneuern. Offenbar fühlte sich der Kreml schon damals nicht mehr sicher, auch wenn er sich wohl nicht im Traum vorstellen konnte, dass die Ukraine, die er bestenfalls als kleinen Bruder betrachtet, je in der Lage sein könnte, seine stolze Hauptstadt zu bedrohen.
Von Enver Robelli
Bulgarien gehört zu den Ländern, die eine Schlüsselrolle im Abwehrkampf der Ukraine gegen den russischen Aggressor spielen. Das südosteuropäische Nato- und EU-Mitglied verfügt über grosse Waffenbestände und Munition sowjetischer Bauart. Diese stammen aus der Zeit, als Bulgarien zusammen mit anderen osteuropäischen Staaten dem Warschauer Pakt angehörte und unter dem direkten Einfluss des Kreml stand. Die ukrainischen Soldaten können mit solchen Waffen und mit der Munition für sowjetische Kaliber umgehen und müssen nicht wochenlang daran ausgebildet werden.
Im vergangenen August genehmigte das Wirtschaftsministerium in Sofia Waffenexporte im Wert von umgerechnet 500 Millionen Franken. Die meisten waren für Polen bestimmt. Militärexperten gehen davon aus, dass die Waffen postwendend in die Ukraine gebracht wurden. Im Dezember machte das Parlament in Sofia erstmals den Weg frei für direkte Militärhilfe an die Ukraine. Der russlandfreundliche Staatschef Rumen Radew warf den Parlamentariern daraufhin «Kriegstreiberei» vor.
Die Beziehungen zu Bulgarien sind für Kiew also von grosser Bedeutung, zumal auch in der Bevölkerung immer noch gewisse Sympathien für Russland bestehen. Umso wichtiger ist es, wer die Ukraine diplomatisch in Sofia vertritt. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat Ende Dezember überraschend Olesja Ilaschtschuk zur Botschafterin in Bulgarien ernannt und damit eine heftige Polemik ausgelöst. Ilaschtschuk gilt als unbeschriebenes Blatt auf dem diplomatischen Parkett. Für noch mehr Diskussionen sorgt ihre Berufskarriere als Sexualberaterin, Hypnotiseurin und Schmuckverkäuferin. Als solche hatte sie sich in Youtube-Videos und auf ihrem Facebook-Profil angepriesen. Die Seite wurde kurz nach der Ernennung Ilaschtschuks gelöscht.

Der frühere ukrainische Botschafter in den USA und in Frankreich, Oleh Schamschur, kritisierte gegenüber Radio Free Europe die mangelnde Professionalität der künftigen Botschafterin, die bisher im Büro von Andri Jermak gearbeitet habe. Jermak ist Leiter des Präsidialamtes und gilt als einer der einflussreichsten Berater von Selenski. Der Diplomat Schamschur sagte, er gehe «fest davon aus, dass das Hauptkriterium für diese Kandidatur persönliche Bekanntschaft, persönliche Nähe und natürlich Loyalität ist».
In einem Bericht des ukrainischen Dienstes der BBC hiess es, die Personalie sei skandalös. Die Ukraine sei von bulgarischen Waffen abhängig und schicke ausgerechnet eine Sexologin als Botschafterin nach Sofia, protestierte die Journalistin Tetjana Nikolaenko. «So etwas macht mich fertig.» Andere Kritiker sprachen von einem «strategischen Fehlschlag» Selenskis, der sich nur mit loyalen Dienern umgebe. Wenn eine Sexologin nach Bulgarien geschickt werde, dann könnte Kiew bald einen Walfänger als Botschafter nach China entsenden, meinte ein Publizist zynisch.
Das ukrainische Aussenministerium nahm Olesja Ilaschtschuk in Schutz. Sie habe internationale Beziehungen in Czernowitz (ukrainisch: Tscherniwzi) studiert, und als ausgebildete Übersetzerin spreche sie fliessend Englisch, hiess es in einer Pressemitteilung. Ausserdem habe die bulgarische Seite keine Vorbehalte gegen ihre Ernennung angemeldet. Auch Ilaschtschuk mischte sich in die Polemik ein. Sie sprach von «Unsinn und Lügen», die im Internet verbreitet würden, um ihren Ruf und ihre Arbeit zu diskreditieren und die «Feindschaft zwischen uns und unseren bulgarischen Freunden zu schüren». Wann sie ihre Tätigkeit in Sofia aufnehmen wird, ist bislang unklar.
Von Zita Affentranger
Allein am Wochenende wurden in der Ukraine Dutzende Menschen getötet, als eine russische Rakete ein Wohnhaus in der Stadt Dnipro in Schutt und Asche legte. Auch die russische Armee verzeichnet Verluste: In der Neujahrsnacht bombte die Ukraine eine Truppenunterkunft aus. Nach ukrainischen Angaben starben Hunderte russische Wehrpflichtige, laut Angaben des Kreml sind es Dutzende. In der russischen Region Samara an der Wolga, von wo die Soldaten fast alle kamen, finden derzeit praktisch täglich Begräbnisse statt.
Man sollte also meinen, dass inzwischen auch in Russland jeder weiss, dass Krieg ist.
Doch das trifft offensichtlich nicht auf die Familien jener zu, die den Krieg gegen das Nachbarland beschlossen haben und ihn immer weitertreiben. Das oppositionelle russische Internetportal «Insider» listet in einer Recherche auf, wie Töchter und Söhne der Kriegsherren das Leben geniessen, während in der Ukraine der Krieg ihrer Väter tobt.
Da ist zum Beispiel die Tochter von Verteidigungsminister Sergei Schoigu, der seit Monaten nur noch in Tarnuniform auftritt, den Kriegsentscheid als enger Gefährte von Präsident Wladimir Putin mitgetragen und zu Hause die Rekrutierung von Hunderttausenden Russen angeordnet hat.

Seine Tochter Xenia gibt zwar auf ihrem Telegram-Kanal die fleissige Expertin des renommierten Moskauer Mgimo-Instituts, der Kaderschmiede des russischen Aussenministeriums. Von diesem Stress erholt sie sich derweil in Dubai, wie der «Insider» anhand des Telegram-Kanals ihres Ehemannes herausgefunden hat. Das Paar habe im November im Hotel Caesars Palace in Dubai logiert, wo schon ein einfaches Doppelzimmer mehrere Hundert Franken kostet. Rechtzeitig zu Neujahr postete Xenia dann ein Foto mit Tochter und Ehemann unter dem Weihnachtsbaum.
Ein noch unbeschwerteres Leben führt die Tochter von Sergei Naryschkin, dem Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes, der für seine bärbeissigen, antiwestlichen Aussagen bekannt ist und ebenfalls einer der Männer ist, der den Krieg in der Ukraine mitbeschlossen hat. Er wettert bei jeder Gelegenheit gegen die Nato, die angeblich mit Atomwaffen drohe, während Russland das «absolut nie» tue. Doch während die Nato «einen hybriden Krieg» gegen Russland führt, wie Vater Naryschkin sagt, erholte sich seine Tochter Weronika laut «Insider» ausgerechnet im Nato-Land Türkei.

Auch sie postet selber keine Bilder von ihrem alternativen Luxusleben, ihr Instagram-Konto ist nicht öffentlich zugänglich. Der «Insider» wurde aber bei einer Freundin fündig, die Weronika auf ihrer Tour durch die Welt begleitet. Neujahr feierte Weronika Naryschkina demnach auf Bali in einem exklusiven Resort, für die ersten Tage des neuen Jahres reiste sie nach Dubai, dann ging es weiter auf die Seychellen. Im Gegensatz zum Vater steht der Rest der Familie Naryschkin nicht auf der Sanktionsliste, was der reisefreudigen Tochter sehr entgegenkommt.
Weit bescheidener erholt sich übrigens der Sohn von Generalstabschef Waleri Gerassimow, den Putin letzte Woche zum Oberbefehlshaber im Ukraine-Krieg ernannt hat. Der «Insider» hat Jewgeni Gerassimow in den Ferien auf der 2014 von Russland annektierten ukrainischen Krim entdeckt, wenn man den Posts seiner Frau glaubt. In seinen eigenen Augen ist er damit wohl noch nicht mal ins Ausland gereist. Allerdings geriet die Halbinsel am Schwarzen Meer die letzten Monate immer wieder unter ukrainischen Drohnenbeschuss, etwas, was seinem Vater massives Kopfzerbrechen bereiten dürfte.
Die Schwiegertochter von Parlamentschefin Walentina Matwijenko verbrachte Neujahr laut «Insider» auf den Malediven. Während über den Verbleib von Sohn Sergei selber nichts Genaues bekannt ist, hat der «Insider» seine Frau Julia in Italien, Kambodscha und der Türkei entdeckt, die Neujahrsfeiertage verbrachte sie auf den Malediven in einem Luxushotel für 3000 Franken die Nacht. Die Schwiegertochter des Vizeparlamenstchefs erholte sich in Griechenland, zum neuen Jahr reiste sie nach Bali. Der Sohn eines russischen Abgeordneten und ehemaligen Geheimdienstmanns reiste gerade quer durch Amerika, als der Vater in Moskau gegen amerikanische Einmischung in Russland schimpfte. Der Sohn postete zudem Bilder aus Schweden, Norwegen, der Türkei und Dubai.
Doch nicht nur die Kreml-Kinder erfreuen sich an exquisiten Auslandreisen, obwohl es ja laut Putins Ideologie eigentlich zu Hause in Russland am schönsten ist. Auch regionale Abgeordnete haben sich in die angeblich so russlandfeindliche Welt aufgemacht. Unter ihnen Maxim Wassiljew aus der Region Kursk, die an die Ukraine grenzt und regelmässig unter ukrainischen Beschuss kommt. In einem Video sieht man ihn am Strand in Mexiko Cocktails schlürfen, was ihm einen scharfen Rüffel des Gouverneurs eingebracht hat: Wie Tausende seiner Landsleute sei er «sehr wütend» auf Wassiljew.

Auch Denis Dolschenko aus der mitunter eiskalten Region Wologda, der sich mit seiner Familie in Dubai erholte, machte sich unbeliebt mit seinen Ferien-Posts. Er fahre nicht gut Ski und Joggen sei bei dieser Kälte auch kein Vergnügen, deshalb habe er sich in die Wärme begeben. Während seine Landsleute ihr Leben riskierten, wetterte der Gouverneur der Region gegen Dolschenko, hätten andere Leute das Gefühl, sie könnten sich immer noch in Luxusresorts herumtreiben.
Kein Wort verlor der Gouverneur darüber, dass Dolschenko auf einem seiner Bilder zusammen mit Xenia Schoigu posiert, der Tochter des Verteidigungsministers. Das Bild sei in Wologda aufgenommen worden, behauptet Dolschenko. Allerdings tragen die zwei leichte Sommerkleider, während es in Wologda zu der Zeit minus 20 Grad kalt war. Russische Oppositionsmedien vermuten deshalb, dass das Foto bei einem Treffen in Dubai gemacht wurde.

Im Netz kritisierten Leser, hier werde mit zweierlei Mass gemessen. Von Doppelstandard ist die Rede, ein Wort, das Putin gern benutzt, wenn er dem Westen vorwirft, auch nicht demokratischer, friedlicher oder überhaupt besser zu sein als Russland.
Doch bei den Kreml-Kindern wird nicht nur mit anderer Elle gemessen, wenn es um Luxusreisen geht. Sie sind natürlich auch vom Krieg in der Ukraine ausgenommen. Aktivisten aus dem Umkreis des inhaftierten Oppositionschefs Alexei Nawalny hatten sich im Herbst als Rekrutierer ausgegeben und die Söhne von Premierminister Michail Mischustin und Putin-Sprecher Dmitri Peskow angerufen und sie ins Rekrutierungsbüro bestellt. Die beiden jungen Männer machten unmissverständlich klar, dass solche Lappalien sie nicht betreffen. Ihm habe niemand etwas vorzuschreiben, sagte Peskows Sohn Nikolai, das werde auf höchster Ebene geklärt.
Von Vincenzo Capodici
Für Russland zu sterben, ist gar nicht so schlimm. Ganz im Gegenteil. «Denn Russen kommen in den Himmel. Und alle anderen verrecken einfach» – wie es Wladimir Putin höchstpersönlich einst proklamiert hat. Diese Überhöhung des Soldatentodes im Kampf für Russland durchdringt die Propaganda des Kremls in vielen Variationen und zuletzt in auffallender Häufigkeit. Der verlustreiche Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, das Verheizen unvorbereiteter und schlecht ausgerüsteter Soldaten und eine mögliche neue Mobilisierungswelle – all das muss schliesslich legitimiert werden.
Das Leben wird «völlig überbewertet»
Diesen Job erledigen die Propagandisten in den martialischen Talkshows der russischen Staatssender. So zum Beispiel Wladimir Solowjew, der kürzlich in seiner allabendlichen TV-Sendung dazu aufgerufen hat, keine Angst vor dem Tod zu haben. Das Leben werde ohnehin «völlig überbewertet». Und der Tod sei schliesslich unvermeidlich. «Der Tod ist das Ende eines irdischen Weges und der Anfang eines anderen. Wozu also Angst davor haben?» fragte Solowjew, der als einer der wichtigsten TV-Propagandisten Russlands gilt.
Die nicht minder ideologisierten Gäste seiner Diskussionssendung unterstützten die Ansichten von Solowjew. Während die russischen Männer früher von Tag zu Tag gelebt hätten, hätten sie jetzt ein «höheres Ziel» im Leben – und dafür lohne sich auch der Tod. Das eigene Leben opfern für Gott und Vaterland, das ist das Höchste. Oder in den Worten von Solowjew: «Es lohnt sich nur für etwas zu leben, wofür man auch sterben kann.»
In einer anderen TV-Show philosophierten die Moderatorin Julia Rosenberg und Dmitri Pewzow, Sänger und Duma-Abgeordneter, über das Wesen des russischen Menschen. Dabei kam heraus, dass russische Soldaten keine Angst hätten für ihre Heimat, für die eigenen Leute, für die eigene Nation und für die eigene Familie zu sterben. «Das ist unsere wichtigste Eigenschaft» – und offenbar der wichtigste Unterschied zu Nicht-Russen.
Tod eines Kriegers sei der beste Tod überhaupt, sagt Priester
Auch die russisch-orthodoxe Kirche verherrlicht das Sterben im Krieg. In den sozialen Medien kursiert seit Ende Dezember ein Video von einer Predigt eines Priesters, der behauptet, dass der Tod eines Kriegers der beste Tod überhaupt sei. «Menschen sterben wie die Schweine in ihrer eigenen Kotze. Sie trinken, fressen, fallen unter die Tische und ertrinken in ihrer Kotze. Was für ein Tod», gibt der Priester zu bedenken. «Dann ist es doch besser, mit einer Waffe in den Händen für die Heimat zu sterben – wie ein Held, wie ein Mann. Am besten, vorher noch ein Gebet sprechen – und ab geht es in den Himmel.»
Wie über das Sterben eines russischen Soldaten im Krieg gedacht werden soll, hat Patriarch Kirill schon lange vorgegeben. Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche gilt als enger Vertrauter von Staatschef Putin. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine rechtfertigt er als notwendigen Feldzug gegen das Böse. Nach der Mobilmachung im Herbst versprach der Patriarch den Soldaten die Absolution. Der Tod in diesem Krieg sei eine Art Opfergang, mit der die Person «alle Sünden abwäscht», sagte er damals.
Hinweis auf neue Mobilmachung
Die Glorifizierung des Soldatentodes im Ukraine-Krieg deuten manche Beobachter als Hinweis auf eine bevorstehende neue Mobilisierungswelle in Russland. Auf Grund der Pläne des Verteidigungsministeriums seien neue Soldaten nötig, sagte Sergei Kriwenko, russischer Aktivist und Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation «Bürger. Armee. Recht», Ende Dezember in einem Gespräch mit BBC News. Die russische Armee brauche bis zum Sommer Nachschub. «Um die neuen Soldaten vorzubereiten, braucht es drei bis vier Monate. Eine neue Mobilisierungswelle könnte also in diesem Januar beginnen.»
Vor einer neuen Mobilmachung durch den Kreml warnte zu Jahresbeginn auch der ukrainische Verteidigungsminister Olexi Resnikow. Bald würden die Grenzen geschlossen, damit niemand das Land verlassen könne, sagte Resnikow in einem an die russische Bevölkerung adressierten Video auf Youtube. Es gebe die Wahl, sich der Einberufung zum Kriegsdienst zu entziehen oder in der Ukraine zu sterben oder zum «Krüppel» zu werden.
Hunderttausende Russen hatten im letzten Herbst das Land verlassen, um sich der Teilmobilmachung zu entziehen. Von 300’000 mobilisierten Reservisten ist gemäss Kreml-Angaben etwa die Hälfte in den Kampfgebieten in der Ukraine im Einsatz. Die andere Hälfte sei als «Kampfreserve» auf Stützpunkten des Militärs untergebracht. Putin hat zuletzt gesagt, es sei keine neue Mobilmachung nötig. Was aber nicht stimmen muss.

Am Donnerstag sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski vor dem US-Kongress, dass Hilfspakete aus den USA den Sieg beschleunigen könnten. Am selben Tag hielt allerdings auch Wladimir Putin eine Rede, in der er ankündigte, dass Russland den Soldatenbestand aufstocken werde. Und der Kremlherrscher meint es ernst: «Das Land und die Regierung stellen alles zur Verfügung, worum die Armee bittet.»
Zusätzlich versicherten Putin und sein Verteidigungsminister Sergei Schoigu, dass sie die Bedingungen für Soldaten verbessern würden. Die Offiziere sollten darauf achten, dass «medizinische Ausrüstung, Lebensmittel, Trockenrationen, Uniformen, Schuhwerk, Schutzhelme und kugelsichere Westen» den Soldaten zur Verfügung gestellt würden. Die vielen Meldungen über fehlende Ausrüstung waren nicht unbemerkt am Kreml vorbeigegangen.
Indes erscheinen immer neue Berichte, die die Zustände in der russischen Armee anprangern – und weit schwerere Vorwürfe erheben als mangelhafte Ausrüstung.

Gemäss dem amerikanischen Institute for the Study of War kämpft das russische Militär weiterhin mit einer «extrem niedrigen Moral». Russische Militärblogger schreiben, dass die russischen Streitkräfte auf eine ukrainische Gegenoffensive im Winter völlig unvorbereitet seien. «Die russische Armee und ihre Führung lassen keine Chance auf Erfolg für Russland», schreibt ein Blogger.
Ein estnischer Twitter-User, der mit Open Source Intelligence arbeitet und russische Medien übersetzt, verbreitete kürzlich ein Video eines russischen Freiwilligen, der berichtet, wie er und seine Kameraden die Waffen niederlegen wollten, nachdem die erste und zweite Vorhut niedergemetzelt worden waren. Er und seine Einheit seien trotzdem in den Kampf geschickt worden – «als Fleisch», wie der Russe es nennt und damit Kanonenfutter meint. Fünfmal sei er weggerannt und wieder eingefangen worden. Er sei der einzige Überlebende.
Der ukrainische militärische Nachrichtendienst veröffentlichte ein abgehörtes Telefongespräch, in dem ein russischer Soldat seiner Mutter erklärt, dass nicht die ukrainischen Streitkräfte für die Russen im Krieg am tödlichsten sind, sondern russischer Beschuss, sogenanntes Friendly Fire.
«Und es war wirklich unser eigener Panzer: Er feuerte zweimal, und 20 Mann waren tot», beschwert sich der Soldat bei der besorgten Mutter. Und er macht die Führung direkt verantwortlich: «Diese Kommandanten sind Drecksäcke, sie töten ihre eigenen Männer!»
In einem Videointerview mit Radio Free Europe beschreibt ein junger ukrainischer Soldat in Bachmut mit nachdenklichem Blick, wie die russischen Soldaten zwar in den sicheren Tod laufen, «aber sie ziehen sich nicht zurück, denn sie wurden bedroht, und ihnen wurde gesagt, dass sie so oder so getötet werden». So hätten es Kriegsgefangene ihm berichtet: «Ihre eigenen Kommandanten töten sie, wenn sie nicht angreifen. Es gibt oft Hinrichtungen.»
Derweil erklärte Putin am Donnerstag, dass das alles halt dazugehöre: «Natürlich sind militärische Operationen immer mit Tragödien und dem Verlust von Menschenleben verbunden», sagte der Kremlchef. «Aber da dies unvermeidlich ist, ist es heute besser als morgen.»

Von Nora Seebach

Als im Februar Russland die Ukraine angriff, war in Europa Weltuntergangsstimmung.
In Südafrika, am Zipfel des vom Westen oft als «dunkel» beschriebenen Kontinents, war der Schock um einiges kleiner.
Der russische Angriffskrieg wurde zwar nicht heruntergespielt, aber aus der geografischen Distanz doch sehr anders wahrgenommen. Es gibt Kriege und Konflikte, die Südafrika räumlich näher sind, in der westlichen, europäischen Wahrnehmung jedoch wenig Platz einnehmen.
Die unterschiedliche Reaktion hat aber nicht nur mit Geografie zu tun. Manch einer oder eine in Kapstadt schnalzte verächtlich mit der Zunge, schon auch wegen Putins grausamer Attacke, aber eben auch wegen der zahlreichen Berichte darüber, wie afrikanische Student:innen in der Ukraine bei der Evakuierung heftigen Rassismus erfuhren.
Und wie viele der westlichen Nationen hatten Afrika kolonisiert, in afrikanischen Ländern Terror, Schrecken und Tod verbreitet? «Diese Scheinheiligkeit!» So klang es manchmal bei Gesprächen in Bars und Restaurants in Kapstadt.
Fast zehn Monate sind seit Kriegsbeginn vergangen.
Diese Woche besuchte der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa den US-Präsidenten Joe Biden im Rahmen des von Barack Obama ins Leben gerufenen Afrika-Gipfels. 49 Staats- und Regierungschefs aus Afrika reisten nach Washington und wurden dort von Biden umworben.
«Afrikas Erfolg ist der Erfolg der ganzen Welt», lautete Bidens Leitsatz für den Gipfel. Er weiss, dass viele afrikanische Staaten alles andere als auf der Seite des Westens stehen. Der Einfluss Russlands und Chinas ist gross. Viele Kommentatoren sehen darin einen erneuten Wettlauf um Afrika.

Am Afrika-Gipfel war auch die Ernährungssicherheit ein zentrales Thema. (Lesen Sie hier mehr zum Treffen) Afrika leidet sehr stark unter den Preissteigerungen und den Lieferengpässen, die seit dem Ukraine-Krieg die Welt beschäftigen.
Dass dadurch Russland in Ungnade fällt, würde auf der Hand liegen. Allerdings ist die Auslegung des Konflikts in vielen Teilen Afrikas eine andere: Die Reaktion und die Einmischung des Westens, vor allem die Sanktionen, seien verantwortlich zu machen.
Um das zu verstehen, muss man sowohl in die Vergangenheit schauen als auch Putins aktuelles Verhalten gegenüber Afrika unter die Lupe nehmen.
Eine Analyse des United States Institute of Peace kommt zum Schluss, dass die diplomatische Offensive Russlands im globalen Süden darauf beruht, dass sich Russland als Staat ohne koloniale Vergangenheit darstellt und gleichzeitig die kolonialen Gräuel der europäischen Länder betont, um «einen Keil zwischen den Westen und Afrika zu treiben».

Russland wird nicht müde, den Geist der afrikanischen Freiheitskämpfe heraufzubeschwören, bei denen die Sowjetunion Unterstützung leistete: Südafrika, Moçambique, Guinea-Bissau.
Das war während des Kalten Krieges. Und die südafrikanische Regierungspartei ANC erinnert sich in der Tat noch gut daran, wer damals den Kampf gegen die Apartheid unterstützte und wer die Kämpferinnen und Kämpfer als Terroristen bezeichnete.
Die ersten zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 waren geprägt von relativ wenig Einfluss Russlands in Afrika – der junge Staat konzentrierte sich auf innere Angelegenheiten.
Seither schielt Russland wieder gegen Süden. Putins Strategie, Russland wieder zur geopolitischen Supermacht zu machen, hat zu einer verstärkten Präsenz in manchen Teilen Afrikas geführt.

Als die UNO-Generalversammlung im Oktober darüber abstimmte, ob sie Russlands Annexion der ostukrainischen Gebiete verurteilen sollte, enthielten sich 19 afrikanische Staaten. Dazu gehörten Mali, die Zentralafrikanische Republik, Äthiopien, die Republik Kongo, Südafrika, der Sudan, Uganda, Zimbabwe und Eritrea. Sie alle haben ihre eigenen Beweggründe, historische Verknüpfungen und aktuelle Verbandelungen mit Russland.
Moskaus Engagement in Afrika beruht auf konventionellen und legalen Methoden wie Handel und Diplomatie. Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute importiert Afrika knapp die Hälfte seiner militärischen Ausrüstung aus Russland. Und erst letzte Woche wurde Südafrika verdächtigt, Russland Waffen zu liefern. Dies konnte jedoch noch nicht belegt werden.
Moskau bedient sich auch unkonventioneller Instrumente, um Einfluss zu nehmen. Dazu zählen zum Beispiel der Einsatz von Wagner-Söldnern in verschiedenen Konflikten, oder die Manipulation von Wahlen durch Desinformationen – wie wir es auch von den US-Wahlen im Jahr 2016 kennen.

Biden forderte am Gipfel, dass die Afrikanische Union ein ständiges Mitglied der G-20 werden soll. Und er betonte am Donnerstag: «Ich bin begierig darauf, Ihren Kontinent zu besuchen.» Im August war bereits US-Aussenminister Antony Blinken in mehrere Länder Afrikas gereist.
Der russische Aussenminister Sergei Lawrow hatte seine diplomatische Offensive schon im Juli gestartet, als er Ägypten, Äthiopien, Uganda und den Kongo besuchte. Lawrow versprach auf seinen Stationen jeweils bilaterale Beziehungen, die auf Gleichheit und Achtung der territorialen Integrität Afrikas basieren.
Anlässlich Lawrows Besuch sagte der Präsident von Uganda, sein Land weigere sich, «die Feinde anderer Leute zu bekämpfen». Zur Forderung des Westens, alle Beziehungen zu Russland abzubrechen, erwiderte er: «Wie können wir gegen jemanden sein, der uns nie geschadet hat?»
Die Ukraine ist da anderer Meinung. «Jede russische Rakete trifft nicht nur die Ukrainer, sondern beeinträchtigt auch die Lebensqualität der Afrikaner», sagte der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba im Oktober. Und Wolodimir Selenski bemüht einen geschickten Vergleich: Der russische Angriff sei wie europäischer Kolonialismus. Widerstand gegen Russland sei antikolonialistisch. Und wenn er sich mit einem Narrativ in Afrika Gehör verschaffen kann, dann mit diesem.
Von Nora Seebach
«Die Ukraine ist von der virtuellen Weltkarte von Elon Musk verschwunden», schreibt ein Ukrainer auf Twitter.
Und in der Tat wird Twitter gerade überschwemmt mit dem Frust von Ukrainerinnen und Ukrainern. Sie posten Screenshots von ihrer Login-Seite. Eine Scroll-down-Liste mit Ländervorwahlen für Telefonnummern, mit denen man sich bei Twitter einloggen kann.
Zwischen Uganda und United Kingdom, wo alphabetisch die Ukraine auftauchen müsste: nichts.
Twitter hat also offenbar den Ländercode der Ukraine aus der Datenbank entfernt. Ukrainer:innen können nun mit der 2-Faktor-Authentifizierung nicht auf ihre Konten zugreifen. Das heisst, sie können sich nicht mehr bei Twitter einloggen, weil die SMS mit dem Einmal-Code nicht mehr zugestellt werden. Und das mitten in einem tödlichen Krieg, in dem Twitter eine wichtige Rolle erfüllt – als Schauplatz des Informationskrieges.
Nachdem der neue Twitter-Besitzer Elon Musk im Oktober seinen kontroversen Friedensplan für den Ukraine-Krieg gepostet hatte, wurde er von Nachrichten von ukrainischen Usern überhäuft. Und in seiner Umfrage stimmte über die Hälfte gegen Musks Friedensplan.
Damals nannte er diese Users Bots. Bots sind computergesteuerte Accounts, die Spam posten oder gewisse politische Propaganda – sie sind langjährige Erzfeinde und Lieblings-Sündenböcke Elon Musks. Einige der brüskierten User waren damals jedoch offizielle ukrainische Regierungsmitglieder.
Am Montag postete Musk ein Meme, mit dem er Bots für tot erklärt.
Da die künstliche Intelligenz mittlerweile sehr fortgeschritten ist, ist es schwierig, herauszufinden, hinter welchem Account ein Bot und hinter welchem ein Mensch steckt.
Verschiedene Quellen berichten, dass Musk deshalb ganze Telefonnetzwerke blockiert haben soll, aus denen besonders viele Bots kommen.
Gleichzeitig wurde ein weiterer Vorwurf laut: Twitter soll gegen Themen aus der Ukraine einen sogenannten Shadow Ban eingesetzt haben. Themen in Verbindung mit dem Land seien in der Twitter-Suche nicht mehr leicht auffindbar. Auch im Zeitstrahl der App würden sie nicht mehr erscheinen.
Dies zu verifizieren ist unmöglich. Twitter gibt nicht preis, wie ihr Algorithmus funktioniert, der den Zeitstrahl ordnet. Es ist ein altbekannter Vorwurf, dass Twitter unliebsame Benutzer:innen anstatt sie zu sperren einfach in der Gewichtung des Algorithmus runterfallen lässt.
Elon Musk macht seit einer Weile mit einer eher prorussischen Haltung – und sonstigen Schwurbler-Meinungen – auf sich aufmerksam. Trotzdem scheinen User in der Ukraine, denen der Zugriff zu Twitter verweigert wurde, eher Kollateralschaden von Musks Kampf gegen Bots und Spam geworden zu sein als direkt targetierte Opfer.
Von Nora Seebach mit Material von AFP
Mit der Rückeroberung Chersons hat die ukrainische Armee eine neue Phase des Krieges eingeläutet. Der Fokus liegt jetzt weiter im Osten. Dort liegt die Stadt Melitopol im Dreieck zwischen Mariupol, der Krim und Saporischschja. Seit letztem März ist sie von Russland besetzt.
Am Wochenende hat die Ukraine den Kampf um Melitopol mit einem Angriff – mutmasslich mit Himars-Raketen – begonnen. Unklar ist, ob sich die ukrainische Armee tatsächlich auf Melitopol konzentriert. Oder ob es sich um ein Ablenkungsmanöver handelt, um später an einem anderen Ort eine Offensive zu starten. Diese Strategie verfolgte die ukrainische Armee schon, als sie zuerst Cherson und dann die Russen im Umland von Charkiw angriff.
Die russische Seite meldete am Samstagabend mehrere Artillerieangriffe des ukrainischen Militärs unter anderem auf die russisch besetzte Stadt Melitopol im Südosten der Ukraine. Zudem war die russische Flugabwehr über der Region aktiv geworden.
Am Sonntag bestätigte auch der ukrainische Generalstab eine Reihe von Luftangriffen in den russisch besetzten Gebieten. Zeitgleich seien seit Samstagabend eine Reihe von Kommandostellen, Unterkünften und Nachschublagern mit Rohr- und Raketenartillerie beschossen worden. Die genauen Ziele wurden jedoch nicht genannt
Die russische Seite schrieb von zwei Toten und zehn Verletzten. Der ukrainische Bürgermeister von Melitopol, Iwan Fjodorow, schreibt aus dem Exil via Telegram, dass schätzungsweise 200 Besatzer bei dem Angriff getötet wurden.
Verschiedene Quellen, russische und ukrainische, behaupten, dass bei dem Angriff die von den USA gelieferten hochmobilen Artillerieraketensysteme (Himars) eingesetzt worden sind. Erst letzten Freitag erklärten die Vereinigten Staaten, dass sie Kiew weitere Hilfe zur Verstärkung der Luftabwehr und zur Abwehr von Drohnen zukommen lassen wollen.
In den sozialen Medien wird derweil rege diskutiert, ob die Ziele militärisch oder zivil waren. Fjodorow schreibt, der Angriff habe russische Militärgebiete getroffen. Die russischen Behörden meinen jedoch, das Ziel sei ein Erholungszentrum für «friedliche» Zivilistinnen und Zivilisten gewesen, die am Samstagabend beim Abendessen getroffen worden seien.
Ein Twitter User postet das Video aus Melitopol: Auf ukrainischer Seite werden die Russen oft als «Orks» bezeichnet – plündernde Banden unmenschlicher Wesen aus «Herr der Ringe».
Gemäss geolokalisiertem Filmmaterial handelt es sich in der Tat um einen Restaurant-Hotel-Komplex und eine Kirche, wie das «Institute for the Study of War» schreibt. Nach Angaben von Bürgermeister Fjodorow sind diese jedoch von den russischen Streitkräften als Stützpunkt für den Föderalen Sicherheitsdienst und als Quartier für Soldaten genutzt worden.
Nun wurde am Montagabend auch noch die Konstantinowka-Brücke in einem östlichen Vorort Melitopols getroffen. Die prorussische Verwaltung beschuldigt «Terroristen», einen Sprengstoffanschlag auf die Brücke verübt zu haben.
In den vergangenen Monaten haben sich gegen die Besatzungsbehörden gerichtete Sabotageakte und gezielte Tötungen im besetzten Süden der Ukraine gehäuf
Wladimir Rogow, Vertreter der russischen Besatzungsverwaltung, machte am Dienstag im Onlinedienst Telegram keine Angaben zum Ausmass des Schadens an der Brücke, verbreitete aber Bilder, auf denen ein eingestürzter Abschnitt zu sehen ist.
Gemäss Rogow diente die Brücke der Versorgung der russisch besetzten Gebiete in den Regionen Cherson und Saporischschja und auf der 2014 von Moskau annektierten ukrainischen Halbinsel Krim.
Die Regierung in Kiew hat ihren festen Willen bekundet, diese Gebiete zurückzuerobern. Falls die Ukraine die Stadt Melitopol einnimmt, würde sie so den Russen die Landbrücke zur Krim abschneiden.
Ein Selenski-Berater sagte gemäss der «New York Times» in einem Podcast, dass Melitopol ein Schlüssel für den Sieg der Ukraine sei: «Wenn Melitopol fällt, bricht die gesamte russische Verteidigung bis nach Cherson zusammen, und die ukrainischen Streitkräfte springen bis zur Grenze zur Krim.»
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