
Waffenstillstand bis Ende Jahr, Gefangenenaustausch am 24. Dezember, Einigung zum Gastransit. Der russische Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Wolodimir Selenski haben am Gipfel in Paris die Welt nicht neu erfunden. Die Ergebnisse tönen eher ernüchternd. Schliesslich wurden in der Ukraine schon ungezählte Waffenstillstände vereinbart: zu Neujahr, zu Ostern, zur Ernte, zum Schulbeginn und dann wieder zu Neujahr. Gehalten hat keiner.
Kleine Schritte statt grosse Worte
Doch es gibt Grund zur Hoffnung, dass es diesmal anders ist. Moskau und vor allem Kiew haben die letzten Monate bewiesen, dass sie etwas tun wollen. Beide Seiten haben Gefangene freigelassen und dann an drei Orten die Truppen von der Waffenstillstandslinie zurückgezogen. Das hat dort automatisch für einen Waffenstillstand gesorgt: Die Soldaten stehen sich oft in Sichtweite gegenüber, was zwangsläufig zu immer neuen Scharmützeln führt.
Der begrenzte Abzug ist für die geplagten Menschen vor Ort ein Segen und hat sich zudem als vertrauensbildende Massnahme erwiesen: Schliesslich ist der Gegner nicht gleich wieder ins neue Loch vorgerückt, wie es die letzten Jahre immer der Fall war.
Wichtig ist auch, dass Putin und Selenski so etwas wie einen Kontrolltermin vereinbart haben: In vier Monaten wird man sich wieder treffen, auch die Vermittler aus Frankreich und Deutschland, Emmanuel Macron und Angela Merkel, werden wieder dabei sein. Dann wird sich zeigen, wer seine Versprechen einhält und wer nicht.
«Wir haben viel erreicht, doch wir wollten mehr.»
Wladimir Putin übernimmt damit direkt die Verantwortung, dass die von ihm kontrollierten Rebellen in der Ostukraine auch spuren – etwas, das er bisher tunlichst vermieden hat. Dass er sich dort durchsetzen kann, ist keine Frage. Und offenbar will er auch: In Moskau ist mit Vizepremier Dmitri Kosak inzwischen ein Mann für den Konflikt zuständig, den Putin regelmässig als Feuerwehr einsetzt. Kosak will aus dem Konflikt in der Ostukraine heraus, weil er Russland finanziell die Luft abschnürt.
Den notorischen Brandstifter Wladislaw Surkow, der als eigentlicher Architekt der Ukraine-Katastrophe gilt und beim letzten Gipfel vor drei Jahren sogar mit am Verhandlungstisch sass, hat Putin zumindest zurückgenommen.
Der ukrainische Präsident Selenski hat viel Vorarbeit geleistet für das Treffen, nun bekommt er seine Chance. Dabei hat er es nicht leicht. Von überall wird er kritisiert: eine Schachfigur in der schmutzigen Impeachment-Schlacht gegen US-Präsident Donald Trump, ein Komiker, der dubiose Verbindungen zu zwielichtigen Oligarchen hat, über keinerlei politische Erfahrung verfügt, kurz gesagt einer, den Putin noch vor dem Frühstück frisst.
Wahlen als nächster Schritt
Fakt ist jedoch: Selenski hat in einem halben Jahr mehr erreicht in der Ostukraine, als sein Vorgänger Petro Poroschenko in fünf Jahren. Und mit einem Waffenstillstand und einem Gefangenenaustausch hat er zu Hause keine roten Linien überschritten: Am Wochenende waren in Kiew Tausende auf die Strasse gegangen und warnten den Präsidenten vor einer «Kapitulation». Sie sind insbesondere gegen einen Sonderstatus für die Rebellengebiete innerhalb der Ukraine. Einer der Anführer der Proteste war Poroschenko, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt: Er hatte 2014/15 das Minsker Abkommen unterzeichnet, das die Autonomieregelung festschreibt.

Man habe kein Wunder gewirkt, sagte Macron nach dem langen Verhandlungsabend, man habe es auch gar nicht versucht. Auf dem Weg zur politischen Lösung des Konflikts ist man in Paris kaum vorangekommen. Immerhin wurde die sogenannte Steinmeier-Formel, benannt nach dem einstigen deutschen Aussenminister, im Abschlussdokument des Gipfels festgeschrieben: Als nächster Schritt sind Wahlen angesagt, dann bekommen die abtrünnigen Regionen Autonomie.
Damit steht das nächste Ziel. Doch der Weg dorthin ist noch weit: Die Ukraine will, dass bis zu den Wahlen alle Truppen abgezogen sind, das Minsker Abkommen sieht aber vor, dass die Kontrolle der Grenze zu Russland erst an Kiew übergeht, wenn die Autonomie verwirklicht ist. Darauf pochte Putin auch in Paris eisern.
Der Westen wird gefordert
Bis zum Kontrolltreffen Anfang April 2020 haben die Parteien nun Zeit zu verhandeln und das Problem Stück für Stück aufzuschnüren. Der Westen – und auch die Schweiz – wird dabei gefordert sein: Botschafterin Heidi Grau, einst Leiterin der Taskforce zum Schweizer OSZE-Vorsitz, ist zur Chefin der trilateralen Kontaktgruppe ernannt worden, die in Minsk an der konkreten Umsetzung des Friedensabkommens arbeitet. Bisher waren die politischen Gespräche blockiert, nun dürfte Bewegung in den Prozess kommen. Der Westen muss jedoch allen Parteien unmissverständlich klar machen, dass es zum eingeschlagenen Weg keine Alternative gibt.
«Wir haben viel erreicht, doch wir wollten mehr», sagte Selenski nach den stundenlangen Verhandlungen in Paris etwas resigniert. Doch mehr hätte gerade die Ukraine gar nicht schlucken können. Nach all den Jahren des Stillstands, nach mehr als 13'000 Toten kann sich die Situation jetzt nur langsam ändern, damit den Menschen genug Zeit bleibt, eine Wende auch in den Köpfen zu vollziehen. Grosse Worte über Frieden in der Ostukraine gab es schon genug. Nun sind kleine Taten gefragt.
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Ukraine-Gespräche: Was diesmal anders ist
Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Wolodimir Selenski sind zu ersten Ergebnissen gekommen. Es gibt Grund zur Hoffnung.