
Alexis Tsipras scheint die Gesetzmässigkeiten des politischen Geschäfts ausser Kraft setzen zu können. Er legte gestern dem Parlament ein Abkommen mit den europäischen Geldgebern vor, das den Griechen nach fünf Jahren drückender Sparpolitik erneut Verzicht abverlangt. Im Gegenzug für 86 Milliarden Euro aus Brüssel werden wieder Menschen ihren Job verlieren, werden wieder Menschen in die Armut abrutschen. Dabei war Tsipras im Januar mit dem Versprechen an die Macht gekommen, das Sparen zu beenden. Doch was macht Tsipras jetzt? Knallharte Sparpolitik.
Er tut den Leuten weh
Das Erstaunliche: Es schadet ihm nicht, den Leuten wehzutun, sie zu enttäuschen. Um die politische Kultur innerhalb seines Linksbündnisses schert er sich herzlich wenig. Bei Syriza gelten heute jene als Abweichler oder Rebellen, die auf die Einhaltung des Wahlversprechens pochen. Das muss ihn nicht kümmern. Der 41-Jährige steht längst ausserhalb dieser politischen Wohngemeinschaft aus gemässigten Linken, Kommunisten, Maoisten und Trotzkisten. Umfragen zufolge könnte Syriza das Ergebnis von 36 Prozent bei der Wahl im Januar ausbauen. Seine persönlichen Werte liegen bei knapp 60 Prozent Zustimmung – für einen Wortbrecher ist das bemerkenswert.
Aus dieser Erfahrung heraus agiert Tsipras. Dabei stimmt in seinem Fall nicht, was man abends in den Tavernen des Landes von Griechen über Griechen zu hören bekommt: dass sie von der Politik belogen werden wollten. Richtig ist vielmehr, dass die Enttäuschung über die Regierenden der vergangenen Jahre und Jahrzehnte so tief sitzt, dass es jetzt auf einen Wortbruch mehr oder weniger auch nicht mehr ankommt.
Der Klientelismus, der in Griechenland herrschte und immer noch nicht überwunden ist, konnte nur deshalb zur Staatsideologie werden, weil die Volksparteien ihn über viele Jahre gleichermassen pflegten. Korruption und Misswirtschaft hängen den grossen Politikerclans an, die das Land unter sich aufgeteilt hatten und über Jahrzehnte die Geschäfte führten. Mit dem wirtschaftlichen und finanziellen Absturz Griechenlands kam auch der politische Bankrott. Das Parteiensystem bröckelte nicht bloss – es wurde entkernt. Die beiden einst grossen Parteien Pasok (Mitte-links) und Nea Dimokratia (Mitte-rechts) können sich gemessen an ihren Wahlergebnissen kaum mehr Volksparteien nennen.
Er erobert die Mitte
Tsipras hat die klaffende Lücke erkannt und erobert nun die Mitte des Landes vom Rand aus. Sein erster Schritt war es, die Gegner seiner neuen Politik aus der Regierung zu werfen. Danach hat er in den vergangenen Wochen daran gearbeitet, zu einem Abkommen mit den Geldgebern zu kommen. Es bringt neue Härten, aber auch mehr Gerechtigkeit. Die reichen Reeder werden zur Kasse gebeten. Steuerbetrug wird eingedämmt. Und: Der Premier hält Griechenland im Euro. Wer sich in Griechenland nach der Drachme zurücksehnt – und bei Syriza sind das einige –, denkt nur an die Vergangenheit. Bei allem Frust will doch eine klare Mehrheit der Griechen im Euro bleiben. Tsipras kam als Populist an die Macht. Als Realist versucht er, sie zu sichern.
Nun wird innerhalb von Syriza gekämpft. Der Richtungsstreit ist entbrannt. Die Chancen stehen gut, dass Tsipras ihn für sich entscheidet. Syriza ist kein fertiges Gebilde. Wenn man es genau nimmt, ist Syriza im Moment noch nicht einmal ein Bündnis, weil die Interessen dafür zu weit auseinandergehen. Syriza lässt sich aber noch formen. Die Aussicht, das Land über Jahre, womöglich Jahrzehnte regieren zu können, betäubt bei vielen den Transformationsschmerz.
Es sieht danach aus, dass es bald zu Neuwahlen kommt, weil Tsipras mit Syriza in der jetzigen Verfassung keine stabile Regierung führen kann. Eine neue Neuwahl dürfte ihm sogar in die Hände spielen, weil er so endlich die Kritiker loswird. Sie wären gezwungen, sich von Syriza abzuspalten. Tsipras kann seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen, indem er danach bei seiner neuen Politik bleibt.
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