Tierische Kraft – ganz ohne Fleisch
Am Mittwoch debattiert der Grosse Rat über nachhaltige Ernährung – ein Veganer erzählt.

Er schüttelt seine Arme, reibt sich die Hände, einmal, zweimal. Dann zieht sich Matthias Kegelmann an der Stange hoch, die aussieht wie ein Reck. Er bringt sich in die waagrechte Lage und verharrt zwölf Sekunden lang in dieser Position. Eine kleine Ewigkeit. Jeder Muskel seines nackten Oberkörpers ist angespannt. Nichts bewegt sich, ausser sein Blick, der nach rechts, dann wieder nach links schweift. Nach 50 Sekunden beginnen sich seine Beine zu senken, die Kraft lässt nach. Ein neuer persönlicher Rekord steht.
Matthias Kegelmann ist 26 Jahre alt und ein Calisthenics-Sportler, jemand, der für das körperliche Training das eigene Körpergewicht nutzt. Er wohnt erst seit 2009 in Basel, vorher lebte er in Deutschland, in der Nähe von Offenburg. Ein Geigenstudium führte ihn damals in die Schweiz, das er allerdings nicht abschloss. Er trainiert oft im Street-Workout-Park am Rheinufer, ganz in der Nähe der Dreirosenbrücke. Auch an diesem Morgen im Juni. Die Übung an der Stange heisst Front Lever. Matthias Kegelmann ist der Front-Lever-König. Und vegan.
Als Fitnesstrainer ist ihm eine gesunde und ausgewogene Ernährung wichtig. Das war vor über vier Jahren auch der Grund dafür gewesen, wieso er nach der Fasnacht beschloss, seine Essgewohnheiten umzustellen und komplett auf tierische Produkte zu verzichten. Zumindest zu Beginn. Denn je mehr Matthias Kegelmann sich mit dem Thema auseinandersetzte, desto mehr rückten ethische Überlegungen zur Tierhaltung und allgemein zur Umwelt ins Zentrum. Heute geht es ihm ausschliesslich darum. Denn um sich gesund und ausgewogen zu ernähren, müsse man nicht zwingend vegan sein, sagt er. Da gebe es auch andere Möglichkeiten. Wer vegan werde, müsse wissen, warum er es tue. Aus einer anfänglich 40-tägigen Probezeit wurde eine Überzeugung.
Matthias Kegelmann lebt nicht nur vegan, er engagiert sich auch stark für die vegane Philosophie. Er verteilt Flyer, wenn auch lieber ohne Tierkostüm. «Ich vertrete meine Meinung gerne als ich selbst», sagt er. Er tritt auch als Testimonial an Veranstaltungen auf und ist Mitglied der Organisation Basel Vegan.
Mediterran oder asiatisch
Für die kantonale Volksinitiative «Nachhaltige und faire Ernährung» sammelte er zwischen 500 und 600 von insgesamt gut 3000 Unterschriften. Das Begehren fordert unter anderem, dass sämtliche städtischen Betriebe und Institutionen, die täglich mehr als ein Menü zur Auswahl haben, zusätzlich ein veganes Gericht anbieten. Am Mittwoch beschäftigt sich der Basler Grosse Rat mit der Initiative. Der Regierungsrat sowie die Gesundheits- und Sozialkommission empfehlen das Geschäft zur Ablehnung. Sie vermische Themen wie gesunde Ernährung, Tier- und Umweltschutz oder soziale Fairness auf problematische Weise, zudem sei eine rein pflanzliche Ernährung medizinisch umstritten, lauten die Argumente. Eine Kommissionsminderheit wollte, dass der Regierungsrat einen Gegenvorschlag ausarbeitet, der die Förderung umweltgerechter Ernährung ins Zentrum rückt.
Matthias Kegelmann fiel die Umstellung auf veganes Essen relativ leicht. Wohl auch, weil er als Sportler gewohnt ist, über Ernährung nachzudenken und entsprechend zu kochen. Obwohl er vorher gerne Fleisch ass, vermisste er es danach nicht. «Aber das Süssgebäck, das schon», sagt er. Am Anfang habe er sich noch nicht gut ausgekannt, habe nicht gewusst, wodurch er welche tierischen Produkte hätte ersetzen können. Inzwischen kennt er alle Tricks. «Ich koche einfach, aber lecker: Eintöpfe, Nudelgerichte, Hülsenfrüchte – mediterran oder asiatisch angehaucht.»
Sein Umfeld reagierte positiv auf seinen Entscheid. Die Leute hätten gemerkt, dass er mit Freude an die Sache herangehe und es ihm gut dabei gehe, sagt er. Seine Mutter etwa verzichtet inzwischen fast gänzlich auf Fleisch und hat gelernt, vegan zu kochen. «Meine Freunde backen manchmal vegan für mich, das rührt mich sehr», sagt Kegelmann. Dafür reagiere er jeweils entspannt, wenn ihm jemand etwas anbiete, das nicht vegan ist. «Wenn meine Oma mir einen Kuchen backt, dann esse ich selbstverständlich ein Stück davon.» Es sei aber nicht so, dass in seinem Bekanntenkreis nun alle vegan seien oder er ausschliesslich mit Veganern befreundet sei.
Kein Hindernis für Muskeln
Unter den Calisthenics-Sportlern und allgemein im Kraftsport sei Veganismus nicht weit verbreitet. Der vegane Lifestyle sei aber kein Hindernis für einen muskulösen Körper. Nach dem Umstieg auf vegane Ernährung habe er weiterhin grosse Fortschritte gemacht und mehr Kraft bekommen. Alle essenziellen Aminosäuren seien auch in Pflanzen enthalten, zudem deutlich leichter zu verdauen. «Ich fühle mich weniger müde und habe mehr Energie, erhole mich schneller von harten Trainingseinheiten.»
Seit 2013, als Kegelmann seine Essgewohnheiten und damit auch seinen Lebensstil änderte, ist die Akzeptanz für Veganismus in der Gesellschaft deutlich grösser geworden. Immer mehr Restaurants bieten vegane Menüs an und auch Grosskonzerne haben ihr Sortiment aufgestockt. Kegelmann kauft seine Produkte zu 80 bis 90 Prozent im Coop und in der Migros.
Die kantonale Volksinitiative «Nachhaltige und faire Ernährung» sieht er keineswegs als Bevormundung der Stimmbürger. Im Gegenteil: Diese hätten die Möglichkeit auf ein erweitertes Angebot im Menüplan. Für Matthias Kegelmann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Arbeitgeber merken, dass ihre Angestellten fitter und leistungsfähiger sind, nachdem sie statt einer Piccata alla milanese einen Gemüseteller zu Mittag gegessen haben. Matthias Kegelmann wird an diesem Tag Teigtaschen mit Linsen zu Mittag essen, beim Türken im Kleinbasel.
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