«Systemisches Versagen» der Feuerwehr bei Londoner Tragödie
Der Untersuchungsbericht des Feuers vom Juni 2017 im Grenfell Tower kommt zu einem traurigen Schluss: Es hätten viele Leben gerettet werden können.

Der 14. Juni 2017 war einer der schlimmsten Tage in der Geschichte Londons. Ein banaler Schwelbrand in einem Kühlschrank verwandelte damals den Grenfell Tower im reichen Stadtteil Kensington in ein Flammeninferno. Die leicht entflammbare Fassade brannte das Gebäude in kürzester Zeit nieder. Die Feuerwehr rettete viele, aber für 72 Menschen kam jede Hilfe zu spät. Sie starben beim grössten Feuer Grossbritanniens seit hundert Jahren.
Mehr als zwei Jahre später hat nun eine Kommission einen Untersuchungsbericht erarbeitet. Er soll der Öffentlichkeit am Mittwoch vorgestellt werden, wurde aber an Überlebende und Angehörige bereits am Montag verteilt. Er wirft der Londoner Feuerwehr schwere Versäumnisse und «systemisches Versagen» vor, zitieren britische Medien am Dienstag aus dem Report.
Der pensionierte Richter am Berufungsgericht, Martin Moore-Bick, leitete die Untersuchung. In dem Bericht findet er laut der britischen Zeitung The Guardian klare Worte: Die Londoner Feuerwehr sei für einen Brand wie den im Grenfell Tower einfach nicht genug vorbereitet gewesen. Es habe keinen Evakuierungsplan für den Grenfell Tower gegeben. Die «Vorbereitung und Planung für ein solches Feuer» sei zu kurz gekommen, ausserdem habe die Kommandozentrale versagt.
Der schwerwiegende Fehler
Heute weiss man, das Gebäude konnte deshalb so schnell niederbrennen, weil die Fassade aus einem Aluminium-Polyethylen-Mix gefertigt war. Die Einsatzkräfte vor Ort seien nicht über die Risiken einer derart leicht entzündlichen Aussenwand informiert gewesen. Moore-Bick sieht darin ein «institutionelles Versagen» der Feuerwehr.
Video: Kommission soll Grenfell Tower-Brand untersuchen
Drei Monate nach der Brandkatastrophe hat eine Kommission mit der Untersuchung des Vorfalls in London begonnen. (Video: Reuters/September 2017)
Er wirft den Rettungskräften zudem vor, die Bewohner noch angewiesen zu haben, in ihren Wohnungen zu bleiben, als das Feuer schon ausser Kontrolle gewesen sei. Ein schwerwiegender Fehler, ohne den es vermutlich bei weitem nicht so viele Opfer gegeben hätte.
Grosse Kritik an der Chefin
Der Gutachter kritisiert in dem 1000 Seiten dicken Report auch Dany Cotton. Die heute 50-Jährige war zur Zeit des Brandes die Chefin der Londoner Feuerwehr. Sie habe mit «bemerkenswerter Unsensibilität» behauptet, sie würde nichts, was ihre Feuerwehr-Truppen in der Brandnacht gemacht habe, ändern, zitiert der «Telegraph »den Kommissionschef. Die Londoner Feuerwehr zeige sich anfällig dafür, die «Lektion des Feuers im Grenfell Tower nicht zu lernen». So habe die Feuerwehr ihre Kommandanten und Einsatzkräfte etwa nicht darauf trainiert, wie man erkenne, wann ein Gebäude evakuiert werden müsse. Auch wüssten sie zu wenig über leicht entflammbares Baumaterial.
Die traurige Schlussfolgerung des Berichts: Es hätten viele Leben gerettet werden können, wenn die Rettungskräfte eher erkannt hätten, dass das Feuer ausser Kontrolle gewesen war und sie die Bewohner rechtzeitig in Sicherheit gebracht hätten.
Reichlich spät, aber die richtigen Schlüsse
Hinterbliebene und Überlebende, die schon absichtliche Verschleppung von Untersuchungsergebnissen befürchtet hatten, sagten, das Gutachten komme zwar sehr spät, zöge aber wichtige Schlüsse, berichtet der «Guardian». Im kommenden Jahr soll in einer zweiten Untersuchungsphase das Baumaterial des Gebäudes und die Brandschutzvorschriften eingehender geprüft werden.
Für den Bericht, der 26 Monate in Arbeit war, wurden laut «Guardian» Hunderte Zeugen, darunter 88 Feuerwehrleute, befragt. Ob es strafrechtliche Konsequenzen und einen Gerichtsprozess geben wird, ist noch ungewiss. Doch die Ergebnisse des Papiers sind auch deswegen essenziell, weil es in England mehr als 400 weitere Hochhäuser gibt, die aus einem ähnlichen Material gebaut sind wie der Grenfell Tower.
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