Syrische Köche beleben Berlin
Das Restaurant Kreuzberger Himmel ist im Nu zu einer Berliner Institution geworden: Flüchtlinge kochen und kellnern, deutsche Gäste entdecken eine orientalische Küche jenseits der Klischees.

Hunderttausende Menschen aus Nahost flüchteten 2015/16 nach Deutschland, und kaum ein Jahr später schossen in Berlin Dutzende, vielleicht gar Hunderte von syrischen Läden und Restaurants aus dem Boden. An der Sonnenallee in Neukölln, dem «arabischen Ku'damm», reihen sich heute syrische, libanesische oder irakische Gemüse- und Gewürzhändler, Metzgereien, Konditoreien und Imbisse wie an einer Schnur aneinander.
Die meisten Esslokale bieten wenig mehr als anspruchsloses orientalisches Fast Food, mehrheitlich für eine arabischstämmige Berliner Kundschaft und interessierte Touristen. Über die bekannten gastronomischen Gassenhauer wie Falafel, Schawarma, Hummus oder Baklava geht das Menü selten hinaus.
Mittlerweile sorgen Syrer – verteilt über die Stadt – aber auch mit ehrgeizigeren Küchen für Furore: die Konditorei Damaskus etwa, die syrische Süssspeisen an Liebhaber in ganz Deutschland liefert, das Restaurant Lawrence an der Oranienburger Strasse (zu dem auch eine Galerie gehört, die Bilder geflüchteter Künstler ausstellt) oder das Schöneberger Lokal der bekannten syrischen TV-Köchin Malakeh Jazmati, die Berlin auch als Selbstdarstellerin und Unternehmerin auffrischt.
Das Intimste – die Küche
Der Kreuzberger Himmel wiederum ist auf andere Weise einzigartig. Berliner haben das Restaurant mit gehobenen Ansprüchen initiiert und betreiben es zusammen mit Flüchtlingen – als Projekt, das Gastronomie und Integration verknüpft. Junge Syrer, Afghanen oder Iraker steigen hier ins Berufsleben ein, werden ausgebildet oder ziehen in andere Jobs weiter. «Anwärmstube» nennt es Initiator Andreas Tölke. Gleichzeitig tauschen die Neuankömmlinge hier das Intimste mit ihrer neuen Heimat aus, das ihnen aus der alten geblieben ist: ihre Küche.
An einem Samstagabend ist das Lokal bis auf den letzten Platz besetzt, viele Besucher warten geduldig, bis etwas frei wird. An den grossen Tischen sitzen meist mehrere Grüppchen zusammen, sodass man leicht ins Gespräch kommt. Die Räume sind hoch, zudem hell und stilvoll eingerichtet, zum Glück ohne jeden orientalischen Kitsch. Die Küche ist winzig, es ist das Reich Othman Achitis, des syrischen Küchenchefs.
Was seine Küche verlässt, schmeckt mehrheitlich wunderbar. Die traditionellen Vorspeisen demonstrieren gleich die Stärken. Mild und präzise gewürzt, entfalten die Zutaten erst ihren eigenen Geschmack: der köstliche Spinat mit Zitrone, Koriander und Granatapfel (Sabaneh) genauso wie die pikanten Bohnen (Fasuela) oder das fruchtig-zarte Baba Ghanoush, das kein plumper Brei ist wie so oft, sondern eher eine Art fein geschnittenes Auberginen-Tartare.

Die Hauptspeise Fatteh Makdoush, eines der typischen Gerichte der syrischen Küche, ist ein Gedicht, knusprig und cremig zugleich: Huhn in einer Sauce aus Tomaten, Tahin, Joghurt, Hummus, Aubergine auf frittierten Brotchips mit frischem Granatapfel. Ebenso fein und zart sind die mit Lammhackfleisch gefüllten Zucchini. Das Gericht mit den gefüllten Klössen (Kibbeh) fällt dagegen leicht ab. Die Desserts zeichnet dieselbe Qualität aus wie die Vorspeisen: Die Gebäcke schmecken überaus frisch und nicht zu süss, dadurch kommen die Gewürze erst richtig zur Geltung.
Die Kellner aus Syrien, dem Iran, aus Afghanistan und dem Irak tragen alle dieselben schwarzen Hemden und bestechen durch strahlende Freundlichkeit, untermalt von verständlichem, verblüffend weichem Deutsch. Das entschädigt für einige Pannen: Einmal fällt das Fladenbrot beim Servieren auf den Boden, eine Gabel fehlt, ein Mokka ist zu viel, die Rechnung droht durcheinanderzugeraten. Der «Himmel», man merkt es, ist auch ein Ausbildungsbetrieb.
Einen «Hybrid» nennt Andreas Tölke sein Restaurant, ein «ganzheitliches Ding»: Man könne hier gut bis sehr gut essen, gleichzeitig werde es von Menschen betrieben, die in Berlin gerade erst richtig ankämen. Der Initiator selbst tingelte ein Leben lang als Journalist durch die Welt, für Hochglanzmagazine schrieb er über Design, logierte in den grossen Hotels. Die Flüchtlingskrise warf sein Leben über den Haufen. Er engagierte sich in der Nothilfe, beherbergte in seiner Berliner Wohnung über die Monate mehr als 400 Flüchtlinge, gründete einen Verein, der sich um Integration bemüht. Als sich die Gelegenheit ergab, ein leer stehendes Restaurant zu übernehmen, schuf er den «Himmel».

16 ehemalige Flüchtlinge arbeiten heute im Restaurant, unter ihnen vier Lehrlinge. Nur zwei Mitarbeiter waren schon bei der Eröffnung vor etwas mehr als einem Jahr dabei. Die «erste Runde» sei hart gewesen, sagt Tölke. Sie hätten alle nicht richtig gewusst, wie man ein Restaurant erfolgreich führt. Nach einem Dreivierteljahr sei er mit den Kräften am Ende gewesen. Erst als mit Maria Bauer eine erfahrene Restaurantmanagerin zum Team gestossen sei, habe sich das Blatt gewendet.
Bei den Gästen hingegen hatte der «Himmel» von Anfang an erstaunlichen Erfolg: Die Medien liebten das Projekt, Berliner schwärmten im Freundeskreis. Dank der Unterstützung vieler Firmen bekam Tölke grosse Teile des Interieurs fast umsonst. Am meisten Probleme verursachte die Bürokratie. Nicht nur die Auflagen für Wirte seien irrwitzig hoch, meint Tölke, auch die für Flüchtlinge: Der Chefkoch beispielsweise, der in Syrien ganze Hotelküchen geleitet hat, ist bis heute in Deutschland als Koch nicht offiziell anerkannt.
Die Initianten mussten sich lösen lernen von ihrer «übertoleranten Helferhaltung».
Schwieriger als erwartet sei es auch gewesen, aus den Beteiligten ein echtes Team zu formen. Die Initianten, sagt Tölke und spricht auch über sich selber, hätten sich von ihrer «übertoleranten Helferhaltung» lösen müssen, die Flüchtlinge vom Egoismus, der auf der Flucht ihr Überleben gesichert habe. Auch zwischen den Gruppen habe es anfangs gekriselt: «Flüchtlinge sind eben nicht gleich Flüchtlinge. Afghanen und Syrer haben in vielem so wenig gemein wie Deutsche und Japaner.»
Wer den «Himmel» heute besucht, nimmt das Team als verschworen wahr. «Die menschlichen Erfolgserlebnisse sind der Motor des Projekts», meint Tölke. Wer erlebt habe, wie rat- und mutlos junge Afghanen oder Syrer angekommen seien, und sie nun lachen und Pläne für die Zukunft schmieden sehe, der könne darüber nur glücklich sein.
Sogar finanziell geht die Rechnung fast auf: Bloss 12000 Euro Verlust hätten sie letztes Jahr gemacht. Das überraschte nicht nur Tölke, sondern auch den Chef des Fachverbands für Gastronomie, der zugab: «Ganz ehrlich, ich habe euch keine Chance gegeben.» Was die Qualität der Küche angeht, ist Tölke noch nicht ganz da, wo er hinwill. Er hegt Pläne, über die er noch nicht viel sagen möchte. Zum Kreuzberger Himmel sei er gekommen wie die Jungfrau zum Kind. «Es war die beste Entscheidung meines Lebens.»
Kreuzberger Himmel, Yorckstrasse 89, 10965 Berlin. Dienstag bis Sonntag.
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