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Ueli Maurer war zu Besuch in Basel. Er wurde nur einmal dytlig.

Nur einem Basler könne es passieren, dass er eine Antwort auf Hochdeutsch erhalte, wenn er einem Bauern in der Innerschweiz eine Frage auf Mundart stelle, schrieb einst der Publizist Fritz René Allemann, selbst ein Basler. Er bezeichnete die Bewohner seiner Heimatstadt als Engländer der Schweiz, als insular und welttüchtig zugleich. «Der Basler Handelsherr alten Schlages, hager, mit scharf ausgeprägten Zügen, puritanisch soigniert, in seiner Gestik gemessen bis zum Phlegmatischen, würde in der Londoner City keinen Augenblick als Fremder empfunden werden.»
Wenn es ihn noch gibt, diesen Handelsherrn alten Schlags, folgt er alle paar Wochen der Einladung der Statistisch-Volkswirtschaftlichen Gesellschaft, um an der Universität einen Vortrag zu hören und in einem gehobenen Traditionslokal mit seinesgleichen zu tafeln. Am Montagabend war Bundesrat Ueli Maurer als Gastredner zu Besuch – oder Ulrich Maurer, wie er in der Aula baslerisch korrekt vorgestellt wurde. Ihm, dem Bauernsohn aus dem Zürcher Oberland, sind gutschweizerische Rachenlaute nicht fremd, das spitze Baseldytsch schon eher. Würde man sich verstehen?
Potenzielles Schwurbelthema
Maurer, einst verantwortlich für das Verteidigungsdepartement, startete mit einer Charmeoffensive in den Abend: «Ich freue mich immer, wenn ich in Basel sein kann, denn die Basler haben Distanz zu sich selbst, im Gegensatz zu den Zürchern.» Es war eine Anspielung auf die oft beschworene Basler Ironie, von Allemann als «hervorstechender Zug baslerischer Eigenart» bezeichnet – und die Anspielung verfing. Erste Lacher waren zu hören, erstes Schmunzeln zu sehen, selbst in den Gesichtern puritanisch-soignierter Herren.
Seit 2016 führt Maurer das Finanzdepartement, und in dieser Funktion ist er viel im Ausland unterwegs. Sein Referat drehte sich um die Globalisierung – ein potenzielles Schwurbelthema –, aber Maurer gelang es, vierzig Minuten lang frei und klar zu reden, ohne sich zu verlieren. Er unterschied wirtschaftliche von politischer Globalisierung und sprach von den Treibern dieser Entwicklung, vor allem von der Digitalisierung. Kurzum: Gut sei die wirtschaftliche Globalisierung, schlecht die politische, und die Digitalisierung könnte bedeutender noch werden als die industrielle Revolution.
Sein Fazit: «Ich bin optimistisch. Wir haben gute Chancen, aber es ist kein aufgelegter Match, wie wir Jasser sagen.»
Nach dem Referat meldete sich ein Zuschauer: «Herr Bundesrat, es sind viele Akademiker hier, und wir verstehen auch komplizierte Themen. Aber wie erklären Sie dem ganz gewöhnlichen Volk so unwahrscheinlich schwierige Sachverhalte wie die Unternehmenssteuerreform?»
Es war ein Statement ohne jede baslerische Distanz, und Maurer, der einst ein kaufmännischer Lehrling gewesen war, erwiderte zürcherisch-unironisch: «Das ganz gewöhnliche Volk hat an den Berufsweltmeisterschaften gerade zwanzig Medaillen geholt. Wir sind das zweiterfolgreichste Land bei den ganz Gewöhnlichen, bei den Akademikern sind wir noch nicht so weit.» Die Antwort war dütlich, wie Zürcher sagen – und für die meisten Basler wohl schon z'dytlig. Am Ende erhielt Maurer trotzdem relativ langen Applaus.
Major aus dem Züribiet
Der zweite Programmteil – ein dreigängiges Diner in der Safran-Zunft – war geladenen Gästen vorbehalten. An neun grossen Tischen sassen Unternehmer und Direktoren, Professoren und Chefbeamte, Regierungs- und Nationalräte – selbst ein paar hagere Männer mit gemessener Gestik waren auszumachen. Die Festrede hielt Markus Metz, der ehemalige Präsident des Bundesverwaltungsgerichts. Mit charmanter Sprachfärbung – einer Mischung aus Bündner- und Baslerdeutsch – rezitierte er ein Gedicht von Carl Spitteler, dem einzigen Schweizer Literaturnobelpreisträger. Es heisst «Die jodelenden Schildwachen», seine erste Strophe lautet:
Am Uetliberg im Züribiet Da steht ein Pulverturm im Riet; Herr Cavaluzzi, der Major, Pflanzte drei Mann als Wacht davor.
Metz verstand es explizit als Reverenz an Ueli Maurer, den Major aus dem Züribiet, und übergab ihm eine bibliophile Ausgabe mit Gedichten von Spitteler. Maurer antwortete mit einem Vers aus dem Gedicht «Der Taugenichts» von Gottfried Keller:
Du Taugenichts, du Tagedieb Und deiner Eltern Schmach!
Wenn seine Mutter selig hier wäre, sagte er, würde sie ihn auffordern, das ganze Gedicht zu rezitieren. Es solle ihm eine Lehre sein, würde sie sagen, denn «am Tag wird gschafft und nöd politisiert». Das Publikum lachte und klatschte, und bald war Maurer von Leuten umgeben, die ein Erinnerungsfoto mit ihm wollten.
Um zehn Uhr abends war Schluss. Man hatte sich verstanden.
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