Studie: Jedes zweite Tötungsdelikt wird angekündigt
Psychiater untersuchten Familiendramen in der Region Basel, bei denen 67 Menschen ums Leben kamen. Ein Fazit lautet: Bei häuslicher Gewalt muss Präventivhaft konsequenter zur Anwendung kommen.

Pfäffikon im Zürcher Oberland war vor rund sechs Wochen Schauplatz einer schlimmen Bluttat: Ein 59-jähriger Familienvater aus dem Kosovo erschoss seine 52-jährige Frau auf offener Strasse und tötete danach auch die 48-jährige Leiterin des Sozialdienstes. Der Täter war im Juli wegen häuslicher Gewalt angezeigt worden. Er hatte seine Frau mit einer Schere verletzt und wurde deshalb mit einem Rayon- und Kontaktverbot belegt. Das Verbot, sich der Frau zu nähern, nützte aber nichts – es konnte die Bluttat nicht verhindern.
In der Diskussion seit dem Drama von Pfäffikon mehren sich die Stimmen, die schärfere Präventionsmassnahmen bei häuslicher Gewalt verlangen. Andreas Frei, Chefarzt der Psychiatrie Luzern, gehört zu den Fachleuten, die eine konsequentere Anwendung der Präventivhaft befürworten. «Kontakt- und Rayonverbote sind zwar wirksame präventive Mittel, ihr Nichteinhalten muss aber rasche Konsequenzen wie Präventivhaft und vertiefte, auch forensisch-psychiatrische Abklärungen zur Folge haben», sagt Psychiatrie-Chefarzt Frei in einem Interview mit der «Basler Zeitung» (Artikel online nicht verfügbar). «Zumindest ein Teil der Täter lässt sich von einer Präventivhaft mehr beeindrucken, als vielleicht allgemein angenommen wird.»
Andreas Frei stützt sich unter anderem auf eine Studie, die er mit Marc Graf von den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel durchgeführt hat. Die bislang unveröffentlichte Studie untersuchte die Familiendramen in der Region Basel. Zwischen 1987 und 2006 kamen dabei 67 Menschen ums Leben. «Was mich beunruhigt, ist die Tatsache, dass in der Hälfte der Fälle die Taten mehr oder weniger deutlich angekündigt worden waren», sagt Frei im «BaZ»-Gespräch. Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, egal ob physisch oder psychisch, rät der Psychiater in jedem Fall zu einer Anzeige bei der Polizei; «diese und nicht etwa die Opferhilfestelle ist die erste Anlaufstelle».
Opferschutz verbessern statt Präventivhaft
Statt Präventivhaft brauche es besseren Opferschutz, meint dagegen Martin Kiesewetter, Gerichtspsychiater und ehemaliger Leiter des Forensisch-Psychiatrischen Dienstes der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, in einem kürzlich veröffentlichten Interview der Zeitschrift «Beobachter». Einen fürsorgerischen Freiheitsentzug wegen Fremdgefährdung könne der Staatsanwalt nicht anordnen, sondern nur eine Vormundschaftsbehörde. Laut Kiesewetter wirft dies aber Fragen auf. «Finden Sie mal eine Vormundschaftsbehörde, die ohne psychiatrischen Befund einen Mann einweist. Wenn er nicht psychisch krank ist, kann man ihn kaum in eine psychiatrische Anstalt stecken, und Gefängnisse sind nicht für die fürsorgerische Freiheitsentziehung eingerichtet», erklärt Kiesewetter. «Ihn auf unbestimmte Zeit wegzusperren wäre eine präventive, möglicherweise lebenslange Verwahrung ohne Anlassdelikt. Das ist ein Unding.»
Laut Kiesewetter muss in einem Fall wie Pfäffikon der unmittelbare Opferschutz im Vordergrund stehen. Dabei genüge es nicht, wenn die Frau in einem Frauenhaus Schutz bekomme. «Die Behörden stehen auch vor der Aufgabe, ihr und ihren Kindern zu helfen, an einem neuen Ort mit einer neuen Identität ein neues Leben anfangen zu können.» Man dürfe Prävention nicht halbherzig machen, weil sie zu viel koste. Prävention sei immer sinnvoll und wichtig.
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