ProbefahrtStromer mit sonnigen Aussichten
Mit dem Sion will das Münchner Start-up Sono Motors den E-Markt von unten aufrollen und setzt dabei auf bescheidene Fahrleistungen und auf Solarkraft.

Der «Spiegel» nannte den Sion den «Tesla aus der Waldorfschule», und wenn man seine Macher so reden hört, geht es ihnen eher um die Rettung der Welt als um ihren eigenen Reichtum. Denn Laurin Hahn und Jona Christians haben ihre Münchner Firma Sono Motors vor fünf Jahren nicht in erster Linie gegründet, um möglichst viele Autos zu verkaufen, sondern um mit einer möglichst grossen Community möglichst viel CO2 einzusparen.
Dafür adressieren die beiden Firmengründer die in ihren Augen zwei grössten Probleme, die den Siegeszug der Elektromobilität heute noch ausbremsen: «Die Autos sind überdimensioniert und zu teuer, und zu wenige Menschen haben die Möglichkeit, einen Stromer zu Hause zu laden», sagt Hahn. Wenn der Sion Anfang 2023 tatsächlich in den Handel kommt, kostet er deshalb nach aktueller Planung mit seinen 25’500 Euro rund 20 Prozent weniger als etwa ein elektrischer Opel Corsa – obwohl er mit 4,3 Metern Länge eine Klasse darüber angesiedelt ist und überraschend bequemen Platz für fünf Personen sowie genügend Raum für stolze 650 Liter Gepäck bietet.
Nur in Schwarz
In Fahrt bringt ihn ein E-Motor mit bescheidenen 120 kW Leistung, dem die Elektronik bei 140 km/h den Saft abdreht. Zwar wirkt der Prototyp, der zur Probefahrt bereitstand, schon relativ reif, bietet einen soliden Fahrkomfort und ist mit hoher Sitzposition und kleinem Wendekreis ein ebenso handliches wie übersichtliches Stadtauto. Doch echte Fahrfreude kommt nicht auf. Nicht der Weg ist das Ziel, sondern allein das Ankommen. Für Hahn und Christians ist das Auto eher Lastenträger als Lustobjekt.
Ein weiterer Beitrag zur Kostensenkung ist die Batterie. Denn obwohl sich Hahn und Christians von ihren Vorbestellern bereits zu einem grösseren Akku haben überreden lassen, stecken im Bauch des Sion nur Zellen mit einer Kapazität von 54 kWh, die nach kaum mehr als 300 Kilometern leer sind. Da kommt selbst der Corsa-E weiter. Und auch beim Wettrüsten mit Extras und Optionen machen die Bayern nicht mit. Um die auf knapp 50’000 Autos im Jahr ausgelegte Produktion im ehemaligen Saab-Werk in Trollhättan einfach, die Zahl der Varianten klein und die Kosten niedrig zu halten, gibt es den Sion ausschliesslich in Schwarz und nur in einer Ausstattung.
Obwohl dem Sion so alles Imponiergehabe und Statusdenken fremd ist, macht der Kompakte schon als Prototyp vor allem innen einiges her – selbst wenn das Cockpit aus vielen Teilen etablierter Grossserienhersteller zusammengekauft scheint. Das liegt vor allem an einem Detail, auf das Entwicklungschef Markus Volmer besonders stolz ist und das schon im allerersten Prototyp verbaut war: Quer durchs Armaturenbrett läuft eine beleuchtete Vitrine, in der sie Moos aus Island drapiert haben. Das illustriert nicht nur die grüne Gesinnung der Mannschaft, sondern reinigt obendrein noch die Luft im Innenraum.
Ohne Moos nix los
Technische Daten ohne Effekthascherei, nur eine Ausstattung für alle und dazu noch einen schlanken Vertrieb und ein billiges Reparaturkonzept mit Do-it-yourself-Videos im Internet – damit bündelt Sono Motors zwar Ideen, wie man sie auch von anderen Newcomern kennt. Doch der Clou des Sion und zugleich die Antwort auf die Frage nach der privaten Ladesäule steckt in der kantigen Kunststoffkarosse des unscheinbaren Prototyps. Denn dort sind an den Flanken, auf der Haube und im Dach rund 250 Solarzellen eingelassen. Mit jeder Sekunde unter freiem Himmel laden sie den Akku – so kommen Minute um Minute ein paar Meter Reichweite dazu. «Pro Tag schafft die Fotovoltaik bis zu 35 und im Schnitt 16 Kilometer», sagt Geschäftsführer Thomas Hausch. «Im Jahr sind das fast 6000 Kilometer. Und zwar nicht in Spanien oder auf Sizilien, sondern in einer Stadt wie München.» Angesichts einer durchschnittlichen Jahresfahrleistung von weniger als 15’000 Kilometern kann die Sonne so auch in unseren Breiten tatsächlich einen nennenswerten Anteil der Energie liefern, sind die Macher überzeugt. Auch wer zu Hause keine Lademöglichkeit hat, kann so elektrisch mobil sein.
Damit ist es für die beiden Gründer aber nicht getan – sie wollen obendrein die Anzahl der Fahrten und zugleich den unnötigen Stillstand minimieren. Deshalb haben sie zum Auto eine App entwickelt, die Mitfahrgelegenheiten vermittelt und den Sion fürs private Carsharing öffnet. Und selbst wenn er steht, leistet er seinen Beitrag zum Klimaschutz: Der Sion ist eines der wenigen Elektroautos mit einem bidirektional gepolten Akku. Der kann – von der Sono-Motors-App gesteuert – seinen Strom auch wieder an externe Geräte abgeben. Egal, ob der Fahrer sein E-Bike laden oder die Energie an den Nachbarn verkaufen will.
Während Entwicklungschef Volmer an der Feinabstimmung arbeitet, zusammen mit den Designern an der finalen Form feilt, ein paar Bugs aus der Elektronik programmiert und sich Gedanken macht, wer in Island ihm tatsächlich genügend Flechten für den dekorativen Filter der Klimaanlage liefert, ringen Hahn und Christians ums Geld und heben ihr Start-up von einer Hürde über die nächste. Zwar haben sie eine ausgesprochen treue Community und 13’000 solvente Vorbesteller, die statt der geforderten 500 im Schnitt 3000 Euro angezahlt haben. Doch nach einem finanziellen Auf und Ab und so mancher Finanzierungsrunde haben sie gelernt, dass ein Fakt für beide Fraktionen dieses Projekts gilt, für die Konstrukteure genau wie für die Kaufleute: Ohne Moos ist mit dem Sion nix los.
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