Stratege Putin sucht einen Ausweg aus der Isolation
Die Ankündigung klang bedrohlich, doch nach dem Termin blieben vor allem fragende Gesichter zurück. Präsident Wladimir Putin habe den nationalen Sicherheitsrat für Dienstag zu einer ausserplanmässigen Sitzung zusammengerufen, um Fragen «der Souveränität und der nationalen Integrität der Russischen Föderation» zu besprechen, meldete der Pressedienst des Kreml. Dass diesmal ausdrücklich der Schutz der Souveränität und der territorialen Integrität des Landes auf der Agenda standen, liess viele Beobachter das Schlimmste befürchten.
Wird Putin doch reguläre Streitkräfte unter dem Vorwand einer «Friedensmission» in die Ukraine entsenden? In den Wochen zuvor hatte Moskau immer wieder den Beschuss russischen Territoriums von der Ukraine aus angeprangert; ein Mann war dabei im Grenzgebiet zu Tode gekommen. Von einem «schicksalhaften Treffen» schrieben russische Medien im Vorfeld. Doch der erste Satz Putins, den russische Nachrichtenagenturen verbreiteten, lautete: «Eine direkte militärische Bedrohung für die Souveränität und die Einheit unseres Landes besteht natürlich nicht.» Dies gelte, obwohl die Nato ihre Präsenz in Osteuropa, in der Ostsee und im Schwarzen Meer verstärke.
Stattdessen kündigte Putin an, Russland werde seinen Beitrag leisten, um eine «vollständige, umfassende, gründliche und transparente Untersuchung» der Umstände zu ermöglichen, die zum Tod der 298 Passagiere des Fluges MH 17 im von prorussischen Kämpfern kontrollierten Gebiet in der Ostukraine führten. «Wir werden aufgefordert, Einfluss auf die Kämpfer im Südosten auszuüben», sagte Putin, «wir werden alles in unserer Macht Stehende tun.»
Eine Botschaft um 1.40 Uhr
Der überraschende Verlauf fügt sich in das Bild der vergangenen Tage. Nachdem sich Moskau mit der Annexion der Krim und der Unterstützung militanter Kiew-Gegner in der Ostukraine international immer stärker isoliert hatte, ist die russische Führung nach dem Abschuss der Passagiermaschine in der internationalen Wahrnehmung nun endgültig in die Nähe von Terrorhelfern gerückt. Putin befinde sich «in der schwierigsten Lage seiner gesamten Regierungszeit» urteilte der kremlfreundliche Aussenpolitikexperte Fjodor Lukjanow gestern in einem Interview mit dem NachrichtenpPortal Slon. Eine weitere Unterstützung der Separatisten werde die Vorwürfe aus dem Westen und die Isolation des Landes weitervertiefen. Aber eine Distanzierung von den prorussischen Milizen sei ebenfalls schwer durchzusetzen.
Im Lavieren zwischen den radikalnationalistischen Kräften, die der Kreml zur Destabilisierung der Ukraine von der Leine gelassen hat, der durch das Fernsehen patriotisch aufgeladenen öffentlichen Meinung und dem wachsenden Druck aus dem Ausland, werden die Handlungsspielräume offenbar kleiner. Das verdeutlichte auch eine offensichtlich eilig improvisierte Videobotschaft, die der Kreml um 1.40 Uhr in der Nacht auf Montag auf seiner Internetsite veröffentlichte.
Putin nahm sie vermutlich nach Telefonaten mit mehreren Regierungschefs auf, in denen Berlin, London und Paris schärfere Sanktionen androhten. Statt der üblichen wohlinszenierten Auftritte in prunkvoller Kremlkulisse stand ein sichtlich angespannter Putin vor einem flackernden Computerbildschirm und erklärte, niemand habe das Recht, «diese Tragödie zu eigenen politischen Zwecken zu benutzen. Solche Ereignisse sollten nicht trennen, sondern die Menschen vereinen.» Russland werde alles tun, damit der Konflikt aus der militärischen Phase in eine Verhandlungsphase übergehe.
Die Furcht vor den Auswirkungen weiterer Sanktionen ist offensichtlich auch in die inneren Kreise des Kreml vorgedrungen. Der ehemalige Finanzminister Alexei Kudrin warnte gestern in einem Interview, weitere Sanktionen könnten die Russen bis zu ein Fünftel ihres Einkommens kosten. (Julian Hans, Moskau)
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