Strache: Ibiza? Ist doch nix passiert
In der FPÖ glauben viele, jeder sei ersetzbar. Heinz-Christian Strache glaubt das nicht. Wie der über die Ibiza-Affäre gestürzte Politiker seine Partei zum Verzweifeln bringt.

Pasching ist nicht Ibiza, auch wenn da ein paar Palmen neben der Bühne stehen. Im oberösterreichischen Pasching hängen die Wolken tief über nassgrauem Asphalt, und kein Meer ist in Sicht. Hier hört man nicht die Vengaboys, sondern «Immer wieder Österreich» von der John Otti Band, der Hauskapelle der FPÖ. Doch die Stimmung im Paschinger Einkaufszentrum Pluscity ist prächtig und morgens um zehn schon bierzelttauglich beim «Grossen Wahlkampfauftakt» der Freiheitlichen Partei Österreichs am vergangenen Wochenende. Die FPÖ-Anhänger schwenken die rot-weiss-roten Fähnchen, und die Funktionäre verbreiten Zuversicht. Ibiza ist weit weg, so weit weg von hier.
Überhaupt: Ibiza, war da was?
Am 29. September müssen die Österreicher ein neues Parlament wählen. Schuld daran ist die FPÖ, genauer gesagt ihr früherer Vorsitzender und Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der in einem Video von 2017 einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte halb Österreich zu Füssen legte. Die Folgen sind bekannt: Strache musste zurücktreten, die Koalition zerbrach, die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, und jetzt steht eben die Neuwahl an, in die Straches FPÖ mit dem Slogan zieht: «Koalition für unsere Heimat fortsetzen».
Vorne auf der Bühne in Pasching lässt sich das neue Führungsduo bejubeln, das die Partei zurück an die Macht führen soll. «Bert und Bert» werden die beiden genannt, der Nor-Bert Hofer und der Her-Bert Kickl, doch verwechseln kann man sie kaum. Hofer, der designierte Parteichef, hat wie immer ein Einstecktüchlein am Jackett, er zeigt sein schelmisches Lächeln und wird dem Wahlvolk vorgestellt als «einer, der unsere Werte noch lebt». Herbert Kickl, der Hardliner und frühere Innenminister, schaut wie immer grimmig drein, schimpft über «linke Vögel» und «Scheinasylanten» und spricht von seinem «Kampfauftrag».
Die FPÖ hat die Macht genossen, mit Posten geschachert. Jetzt möchte sie weiterregieren.
Das ist die Arbeitsteilung: Der Sanfte und der Harte, der Vermittler und der Spalter, unterschiedlicher könnten die beiden kaum sein. Doch eine Gemeinsamkeit, die betonte Norbert Hofer dann doch in Pasching: «Herbert Kickl war noch nie in Ibiza, und ich auch nicht.»
Es ist das einzige Mal bei dieser Veranstaltung, dass das I-Wort fällt. Mit aller verbliebenen Kraft geht die FPÖ auf Abstand zum Skandal und damit auch zum vormaligen Übervater Heinz-Christian Strache, der die Freiheitlichen 14 Jahre lang geprägt und bis in die Regierung geführt hat. Niemand erwähnt ihn in Pasching, und auch auf dem Bundesparteitag an diesem Samstag in Graz wird er nicht erscheinen, der grosse «HC», wie Heinz-Christian Strache meist genannt wird. Er sei «darüber informiert worden», dass Strache nicht kommen werde, hat Hofer wissen lassen. Jeder sei ersetzbar, und das Ibiza-Video nennt er in einer Pressemitteilung eine «Zäsur».
Serienweise Interviews
Doch so glatt, sauber und friedlich, wie die Parteiführung den Aufbruch zu neuen Ufern inszenieren möchte, läuft es dann doch nicht ab – dafür sorgt schon Strache selbst. Er ist nämlich nicht der Meinung, er sei ersetzbar – in der Ibiza-Villa sprach er gar davon, er werde die kommenden 20 Jahre noch das Heft bei der FPÖ in der Hand halten. Einfach, weil er der Mann sei, auf den nun mal alles zulaufe. Aber wenn die Partei das anders sieht und in der Partei keiner mehr mit ihm oder über ihn reden möchte, dann muss er es eben selbst tun.
Nach einer anfänglichen offenbar selbst auferlegten Auszeit meldet sich Heinz-Christian Strache Anfang August mit einem grossen Fernsehinterview zurück – das er ausgerechnet dem russischen Propagandasender RT gibt. Es folgen weitere TV-Interviews, im ORF und beim Krawallsender Oe24, und weitere Interviews mit Zeitungen. Und weil HC Strache nun mal HC Strache ist, hört ganz Österreich zu – und diskutiert seine Auftritte. Schaut und liest man all die Interviews, die Strache den Sommer über gegeben hat, scheint er zwei zentrale Botschaften zu haben. Die erste: Es ist nix passiert auf Ibiza. Die zweite: Ich werde wiederkommen.
Wer diese Interviews liest, kann kaum glauben, dass Strache vom selben Abend redet.
Zuvor kannte man schon Straches Argumentation, zu der er direkt nach der Veröffentlichung gegriffen hatte. Also dass es eine «bsoffene Gschicht» gewesen sei, dass er die angebliche Oligarchennichte habe beeindrucken wollen und dass sein Auftritt in der Villa alles in allem peinlich und, jawohl, ein Fehler gewesen sei. Ein paar Monate später klingt es anders, nämlich so, dass er auf Ibiza der Hüter von Moral und Gesetz gewesen sei. Er habe den «rechtswidrigen Ansinnen» der Lockvögel widersprochen, er habe auf «vorgegebene Ausschreibungskriterien» verwiesen, er habe nichts zu vergeben gehabt und nichts falsch gemacht.
Wer diese Interviews liest, kann kaum glauben, dass Strache vom selben Abend redet. Denn auf dem siebenstündigen Video aus Ibiza hört und sieht man Strache, wie er die Oligarchennichte zu umgarnen versucht, ihr Staatsaufträge zum Überpreis zusichert und für sich selbst einen Aufsichtsratsposten nach der politischen Karriere ins Spiel bringt, als kleines Dankeschön.
Immer wieder auf Play drücken
Im RT-Interview bestreitet der ehemalige FPÖ-Chef sogar allen Ernstes, dass er angeboten habe, dem Bauunternehmen Strabag Aufträge zu entziehen, damit die Oligarchennichte zum Zug komme. Nun kann man im Video jenes Abends immer wieder auf diese Stelle springen und auf Play drücken. Dann sitzt Strache wieder auf der Couch in der Ibiza-Villa und sagt: «Alle staatlichen Aufträge, die jetzt die Strabag kriegt, kriegt sie dann.»
Der «Weltwoche» sagt Strache, er könne nicht «ausschliessen, dass die mir Tropfen in die Getränke geschüttet haben, um mich vertrauens- und redseliger zu machen». So kann er seine Sicht der Dinge unwidersprochen darlegen, Verschwörungstheorien verbreiten und sich als Opfer präsentieren. Und keiner fragt nach.
«Der Sebastian Kurz ohne die FPÖ ist wie der Popeye, dem man seinen Spinat wegnimmt.»
Man kann sich gut vorstellen, wie Bert und Bert, die neue FPÖ-Führung, vor den Fernsehgeräten immer tiefer in die Sessel sinken mit jedem weiteren Interview ihres Ex-Chefs. Zumal sie vermutlich wissen, dass die Ist-doch-nix-passiert-Botschaft bei ihren Wählern gut ankommen dürfte. Und wer zustimmend nickt, der hat auch nichts gegen eine Rückkehr von HC.
So macht es Heinz-Christian Strache seiner Partei nicht einfach in diesem Wahlkampf. Denn die FPÖ hat wirklich gern regiert, sie hat die Macht genossen und mit Posten geschachert. Und jetzt möchte sie weiterregieren. Laut einer aktuellen Umfrage des «Standards» liegt ihr bisheriger Koalitionspartner, die Österreichische Volkspartei ÖVP, bei 34 Prozent, die FPÖ bei 21 Prozent – das wäre eine komfortable Mehrheit. Aber wird Ex-Kanzler Sebastian Kurz noch mal ein Bündnis mit der unberechenbaren FPÖ eingehen? «Der Sebastian Kurz ohne die FPÖ ist wie der Popeye, dem man seinen Spinat wegnimmt», ruft Herbert Kickl in Pasching unter dem Gejohle der Anhänger. Norbert Hofer formuliert das vornehmer: «Oftmals braucht es nur einen kleinen Schubser, um erfolgreich weiterzumachen.»
Weg von Wien, hin zu den Ländern
Weitermachen will auch Manfred Haimbuchner, der stellvertretende Bundesvorsitzende der FPÖ. In Oberösterreich amtiert der 41-Jährige als Vizeregierungschef. In der FPÖ steht Haimbuchner für einen Kurs, für den man in Bayern den Slogan «Mit Laptop und Lederhose» geprägt hat – wertkonservativ, wirtschaftsliberal und klar rechts.
Haimbuchner hat nach den Ibiza-Veröffentlichungen gefordert, nun müsse man «aufräumen» und «ein bestimmtes Milieu ausschalten» in der FPÖ. Im Blick hat er dabei vor allem jene Wiener Parteiclique um Strache und Gudenus, die die FPÖ zum Beispiel auf den Russland-Kurs und damit international in Misskredit gebracht hat. Er setzt darauf, dass sich die Gewichte verschieben innerhalb der FPÖ – weg von Wien, hin zu den Ländern und damit natürlich auch zu ihm nach Oberösterreich. In Zukunft wolle er sich «noch stärker einbringen, damit der Weg zur seriösen Rechtspartei auch gelingt».
«Die Leute haben doch genug von diesen ganzen Ibiza-Diskussionen.»
Zuerst aber muss diese Wahlschlacht geschlagen werden, und alles, was stören könnte, kann man da nicht brauchen. «Die Leute haben doch genug von diesen ganzen Ibiza-Diskussionen», sagt Haimbuchner. «Das Gefühl springt mir entgegen im Wahlkampf.»
Und so sagt Haimbuchner beim «Grossen Wahlkampfauftakt» kein Wort über Strache und Ibiza. «Wenn ich ganz ehrlich bin», ruft er in die Menge, «dann frage ich mich: Warum muss eigentlich am 29. September gewählt werden?» Das fragt sich Strache vermutlich auch.
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