Stadt der Frauen im Land der Männer
China ist das Land der alten Herren - mit einer Ausnahme: In der Wirtschaftsmetropole Shanghai führen mehr Frauen ein Unternehmen als Männer.
Xue Qiwen sagt, sie habe keine Wahl gehabt, sie musste ihren Job als Ingenieurin kündigen. Als Frau in einem Männerberuf, noch dazu in einem Staatsbetrieb hätte sie es nie an die Spitze geschafft.
Seither hat sie fünf Firmen gegründet, spielt an den Wochenenden Golf und verbrachte ihren letzten Urlaub in den USA. Xue Qiwen hat den Erfolg, den sie wollte, obwohl sie dafür bezahlt und ihr Mann sie verlassen hat. «Viele chinesische Männer kommen nicht damit klar, wenn ihre Partnerin erfolgreicher ist», sagt Xue.
«Meine Arbeiter mögen mich»
Es ist heiss draussen. Xue sitzt in einem Strassencafé im Zentrum von Shanghai. Man sieht ihr die 46 Jahre nicht an. Sie hat ihre Haare bordeauxrot gefärbt, trägt ein kurzes trägerloses Sommerkleid und hohe silberne Schuhe, ihre Fingernägel sind lang und mit goldenem Glitter lackiert. Wenn Xue durch die Fabrikhalle schlendert, bekommt sie oft Komplimente für ihre Kleidung. «Meine Arbeiter mögen mich alle. Die sehen mich gar nicht als Chefin», sagt sie. Allein ihre Firma Si Tong Cable Industry beschäftigt über 3000 Mitarbeitende, ein kleiner Konzern. «Doch die Stimmung bei uns ist ganz anders als in den meisten chinesischen Betrieben», sagt Xue. «Ich versuche, meine Arbeiter nicht von oben herab zu behandeln.»
Was Xue in ihrem Leben getan hat, erschien ihr immer als ganz normal. Sie sagt, dass sie eigentlich nie darüber nachgedacht hat, ob Frauen die besseren Unternehmer sind. Doch in Shanghai kann man den Eindruck bekommen, dass dies so ist: Die Wirtschaftsmetropole im Südosten ist die Stadt der Frauen und das im Land der Männer. Bis heute ist kaum ein nicht muslimischer Staat so fest in Männerhand wie die Volksrepublik China. Dem inneren Führungszirkel der Kommunistischen Partei gehört keine einzige Frau an. Nur Shanghai ist anders. «Shanghai, Shanghai, ich liebe Shanghai, weil es weiblich ist», schrieb die Schriftstellerin Mian Mian.
Jede zweite Firma gehört einer Frau
Zwar dominieren die Männer auch hier die Politik und die öffentliche Verwaltung. Doch die Wirtschaft gehört den Frauen. Eine Studie des Shanghaier Frauenentwicklungsforums kam vor einigen Jahren zu dem Ergebnis, dass 6,6 Prozent der weiblichen Bevölkerung ein eigenes Unternehmen besitzen. Mehr als jedes zweite Unternehmen der Stadt gehört damit einer Frau, im Rest des Landes ist es gerade jeder fünfte Betrieb.
Auch im Privatleben gelten die Shanghaierinnen als dominant. Manche sprechen von matriarchalischen Familienstrukturen. Meist sind es die Frauen, die das Familieneinkommen verwalten: Sie entscheiden über die Investitionen, ihren Ehemännern zahlen sie nur ein Taschengeld aus. Die in Peking erscheinende Tageszeitung «China Daily» fragte höhnisch: «Sind die Shanghaier Männer höflich oder nur Pantoffelhelden?»
Versace-Möbel, beheizte Klobrille Xue Qiwen zeigt Besuchern gerne ihre Wohnung im 27. Stock einer Hochhaussiedlung im französischen Viertel der Stadt. Im Schlafzimmer springt sie auf das goldene Bett und rollt mit ausgestreckten Armen darauf herum. «Ist das nicht toll?», ruft Xue. «Ein Drittel seines Lebens verbringt man im Bett. Da muss es am schönsten sein!» Sämtliche Schlafzimmermöbel sind golden und von Versace, Xue hat sie in ihrem Lieblingsmöbelhaus ausgesucht.
Xue zieht sich noch schnell um. «Schaut euch so lange das Badezimmer an», ruft sie. «Die Klobrille ist beheizt. Und macht es euch danach im Wohnzimmer bequem.» Das Sofa ist so weich, dass jeder Gast darin versinkt. Nachdem Xue die Treppe heruntergeschwebt ist, setzt sie sich gegenüber in den grossen weissen Sessel und erzählt ihre Geschichte.
Xue wuchs im Luwan-Bezirk von Shanghai auf, in einem alten Wohnhaus aus der Kolonialzeit. Ihr Vater war ein wohlhabender Geschäftsmann, der nach der Revolution aber alles verlor und fünf Jahre im Gefängnis verbrachte. Die Mutter war Verkäuferin in einem staatlichen Geschäft. Xue selbst studierte Ingenieurswissenschaften. Nach dem Abschluss wurde ihr eine Stelle als Technikerin zugeteilt, draussen in Minhang. In den überfüllten Bussen gab es nie genug Platz; meistens musste sie zwei Stunden im Stehen fahren.
Xue kaufte sich eine Nähmaschine. Wenn sie spätabends nach Hause kam, setzte sie sich an den Küchentisch und nähte. Sie entwarf Kleider und verkaufte sie an Geschäfte in der Nachbarschaft. Mit 28 hatte sie einen Herzinfarkt, es passierte am Abend zu Hause und sie musste mit dem Taxi ins Krankenhaus fahren.
Xue wollte in ihrem Leben mehr erreichen als ihre Eltern, sie wollte aus der Armut ausbrechen. Deshalb kündigte sie in der Fabrik und eröffnete einen Blumenladen, danach einen Kabelhandel. Später stellte der Betrieb auch Kupferrohre her, verarbeitete Kunststoff und produzierte Verpackungsmaterial. All die Jahre arbeitete Xue wie eine Besessene. Jetzt will sie vom Leben auch etwas haben. Und den Luxus geniessen.
Auch bei Microsoft führt eine Frau Auch ausländische Unternehmen in Shanghai bevorzugen inzwischen oft weibliche Führungskräfte. Schon vor 20 Jahren, als die ersten westlichen Firmen ihre Niederlassungen eröffneten, heuerten sie vor allem Frauen an, denn die sprachen besser Englisch. Heute besetzen die Frauen oftmals auch Spitzenpositionen – so wie Chen Kui, die Ostchina-Chefin des amerikanischen Softwarekonzerns Microsoft. Die 42-Jährige führt über 200 Angestellte. Die meisten sind Männer. Für viele war es anfangs ungewohnt, für eine Chefin zu arbeiten. Doch diese Phase dauerte nicht lange.
Chens Karriere begann in der Armee. Sieben Jahre diente die Softwareingenieurin in einem Forschungsinstitut des Militärs. «Es war eine gute Lehrzeit», sagt sie, «und mir gefiel die grüne Uniform.» Heute trägt sie ein hoch geschlitztes Kleid mit Blumenmuster, ihre Haare sind zu einem Pferdeschwanz gezähmt, und aus ihren Stöckelschuhen schauen rot lackierte Zehennägel hervor.
«Shanghai ist moderner, kreativer und offener als andere chinesische Städte», sagt Microsoft-Managerin Chen. «Wenn man will, kann man hier etwas erreichen.» In der Hauptstadt Peking etwa, in der Chen geboren wurde, dominieren die Seilschaften der Männercliquen. «Peking ist eine Männerstadt», sagt Chen, «Aber Shanghai gehört den Frauen.»
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