Beiträge über katarische Spionage-OperationSRF muss sich selbst zensurieren, weil Gericht schlampt
Das Deutschschweizer Fernsehen muss «Rundschau»- und «Deville»-Stellen zu einem Hacker löschen. Dies verfügen Genfer Richter – doch sie versäumen es, die SRF-Argumente zu werten.

Medienscheu ist er nicht besonders. Aber in diesem Kontext wollte er dann doch nicht namentlich erscheinen. Das SRF-Investigativteam hatte thematisiert, dass ein indischer IT-Unternehmer, der in einer millionenteuren Villa bei Genf lebt, in eine katarische Spionageoperation gegen Fussballfunktionäre und Verbandsberater involviert war.
Der Mann, der früher medial als «ethischer Hacker» dargestellt wurde, bestreitet nicht nur die Vorwürfe, sondern geht auch juristisch dagegen vor – mit Erfolg: SRF musste eine Ausgabe der «Rundschau» über Katars «Operation Gnadenlos» und eine der Satiresendung «Deville», welche die Rechercheergebnisse aufnahm, aus dem Onlinearchiv entfernen. Inzwischen konnte es die Beiträge wieder aufschalten, aber es musste den Namen des Betroffenen und Aufnahmen von ihm unkenntlich machen.
Was war passiert? Der «ethische Hacker» hatte beim Zivilgericht in Genf eine superprovisorische Verfügung erwirkt. SRF durfte daraufhin aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht einmal mehr seinen Wohnort nennen.
Solche rechtmässigen Zensurmassnahmen gibt es in der Schweiz immer wieder, denn Betroffene können vor Gericht verlangen, dass Medienberichte über sie nicht publiziert oder abgeändert werden. Die Richterinnen und Richter treffen dann oft – wie nun bei «Operation Gnadenlos» – vorläufige Eilentscheide, um beispielsweise einen Schaden abzuwenden, der sich nicht rückgängig machen lässt. Danach schaut sich das Gericht die Sache genauer an.
Im Fall «Rundschau»/«Deville» deutet vieles darauf hin, dass seitens der Justiz geschlampt wurde. Fürchten Medienhäuser eine superprovisorische Verfügung, können sie nämlich bei Gerichten vorsorglich eine Schutzschrift hinterlegen. In dieser Schutzschrift können sie darlegen, warum eine Publikation rechtmässig und beispielsweise eine Namensnennung zulässig ist. SRF hat dies gemäss eigenen Angaben im Fall des katarischen Fussball-Hackings getan – doch das Zivilgericht in Genf hat die Schutzschrift entweder bewusst ignoriert oder zu berücksichtigen vergessen. Jedenfalls ist im Eilentscheid von einer Schutzschrift keine Rede.
Experten «erstaunt»
Das Zivilgericht wollte sich auf Anfrage dieser Redaktion nicht zum Fall äussern. Die SRF-Medienstelle ist auskunftsfreudiger. «Auf Nachfrage beim Gericht, warum die Schutzschrift nicht beachtet wurde», schreibt sie, «erhielt SRF die Antwort, dass die Zahlung für die Hinterlegung der Schutzschrift beim Gericht noch nicht eingegangen sei.» Der stossende Punkt: SRF hatte eine Zahlungsfrist, die zu diesem Zeitpunkt noch lief. «SRF ist daher der Meinung, dass die Schutzschrift zu Unrecht nicht berücksichtigt wurde.»
Diese Meinung teilen mehrere Expertinnen und Experten in Zivil- und Medienrecht. In anderen Kantonen wäre die Schutzschrift berücksichtigt worden. Ein Sprecher des Zürcher Bezirksgerichts zeigt sich «erstaunt» über Vorgehen der Genfer Kolleginnen und Kollegen, denn in Zürich ist klar: Eine Schutzschrift kann nicht einfach ignoriert werden – Zahlung hin oder her.
SRF wehrt sich weiter
Nadja Erk, die an der Universität St. Gallen Zivilrecht lehrt, weist darauf hin, dass die Zivilprozessordnung gar keine Gebühren für Schutzschriften vorsieht. Ein Kostenvorschuss sei in derartigen Verfahren nur von der klagenden Partei zu entrichten – also im konkreten Fall vom «ethischen Hacker». Doch selbst dringliche Gesuche von dieser Seite würden Gerichte üblicherweise nicht erst behandeln, wenn das Geld eingetroffen ist. Weiter schreibt Erk mit Blick auf den SRF-Fall: «Zudem hat das Gericht durch die Ansetzung einer Zahlungsfrist angezeigt, dass die Zahlung, solange sie innert Frist erfolgt, zur Berücksichtigung der Schutzschrift führt.»
Nun will das Genfer Gericht im Dezember definitiv über den Fall entscheiden. Dieses Mal hat es SRF rechtliches Gehör gewährt. Ob die Argumente nun gewertet werden?
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