Steuerreform in der KritikSP will «Einladung zur Steuerkriminalität» an der Urne bekämpfen
Parlament und Bundesrat wollen die Verrechnungssteuer in Teilen abschaffen. Die SP wehrt sich dagegen – und kündigt nun erstmals das Referendum an.

Noch ist das Geschäft nicht in trockenen Tüchern, doch klar ist jetzt bereits: Die SP ergreift das Referendum, wenn eine geplante Änderung im Steuerbereich nicht in letzter Minute gestoppt wird, wie sie nun erstmals ankündigt. Damit dürfte die Schweiz schon bald über ein weiteres Steuer-Referendum der SP abstimmen.
Im Oktober kam das Referendum gegen die Teilabschaffung der Stempelsteuer zustande, über das die Bevölkerung im kommenden Februar entscheidet. Nun geht es um eine gewichtige Änderung bei der Verrechnungssteuer. Und es geht vor allem um viel Geld, das künftig weniger eingenommen würde.
«Die Bürgerlichen jammern heute wegen der Corona-Schulden, wenn es aber um Privilegien für ihre eigene Klientel geht, sind sie immer vorne dabei.»
Die Reform landet nun aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Volk. Denn für die SP ist klar: Macht das Parlament nicht noch eine sehr unrealistische Kehrtwende, ergreift sie das Referendum. «Bei dieser Vorlage kommen verschiedene Ebenen zusammen, und sie ist Ausdruck einer neuen Arroganz der rechten Mehrheit», sagt SP-Co-Präsident Cédric Wermuth.
Die SP führe seit Jahrzehnten den Kampf für eine Weissgeldstrategie. Seit der Bankenkrise gibt es dafür eigentlich einen breiten gesellschaftlichen Konsens: «Diese Änderung ist nicht anders zu verstehen als eine Einladung zur Steuerkriminalität. Das ist eine Ohrfeige für alle ehrlichen Steuerzahler, die als einzige auf ihrem Sparkonto weiterhin Verrechnungssteuer zahlen müssen», sagt Wermuth.
Zudem sei es ein weiteres Geschenk an die Grosskonzerne, die bereits in den letzten Jahren massiv entlastet worden seien. Genau jene also, die es nicht nötig hätten. «Die Bürgerlichen jammern heute wegen der Corona-Schulden, wenn es aber um Privilegien für ihre eigene Klientel geht, sind sie immer vorne dabei.»
Wie viel Geld kommt weniger rein?
Was Wermuth ebenso anspricht: Die Reform wird jährlich wiederkehrende Mindereinnahmen für den Staat mit sich bringen – also etwa Verrechnungszinsen, die nicht zurückgefordert wurden. Der Bundesrat spricht in seiner Botschaft von jährlich 170 Millionen Franken. Doch die Höhe dieser Mindereinnahmen ist umstritten. Der Bundesrat verweist darauf, dass die Höhe der Ausfälle mit steigendem Zinsniveau zunehme. Doch was das im Detail bedeuten könnte, führt er nicht aus.
Die 170 Millionen basieren auf den momentan tiefen Zinsen. Steigen die Zinsen, steigen die Ausfälle. Eine Berechnung, die die eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) machte, zeigt nun: Steigen die Zinsen auf ein Niveau von 3 bis 4 Prozent, sieht es plötzlich ganz anders aus.
Allein die Ausfälle der Verrechnungssteuer dürften dann bei 500 bis 550 Millionen Franken liegen. Dazu kommt noch eine Anpassung bei der Umsatzabgabe auf Schweizer Obligationen. Gleichzeitig hat der Nationalrat noch eine weitergehende Anpassung im Steuerbereich in die Reform gepackt, was in der bundesrätlichen Botschaft noch nicht berücksichtigt ist. Alles zusammen ergibt einen Ausfall von 600 bis 800 Millionen Franken, so die Berechnung des ESTV.
Positiver Effekt erwartet
Bleibt die Frage, warum diese Berechnungen mit höheren Zinsen nicht bereits der bundesrätlichen Botschaft zugrunde gelegt wurden, indem mehrere Szenarien berechnet worden wären. «Wir haben kein höheres Zinsniveau angenommen, da wir uns in einer Tiefzinssituation befinden und eine Schätzung auf den aktuellen Wirtschaftsdaten basiert», so ein Sprecher der Steuerverwaltung.
Klar ist: Momentan sind Zinssätze von 3 bis 4 Prozent nicht absehbar. Aber eine Steigerung ist durchaus realistisch.
Verbunden mit den jährlichen Mindereinnahmen sind die Hoffnungen auf einen positiven Effekt. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Reform nach fünf Jahren die Mindereinnahmen anderweitig kompensieren kann. Dies, weil etwa Jobs in die Schweiz zurückkommen, wodurch die Wertschöpfung im Inland wegen der Reform steigt.
Ob es diesen Effekt wirklich geben wird, wird im Nachhinein schwierig zu sagen sein. Denn nach solchen Gesetzesänderungen wird in der Regel nicht untersucht, ob die behaupteten Effekte – positiv wie negativ – eingetroffen sind.
Philipp Felber-Eisele ist Wirtschaftsredaktor bei Tamedia. Er berichtet über Wirtschaftspolitik direkt aus Bundesbern. Der Germanist und Historiker ist seit 2019 bei Tamedia als Journalist tätig.
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