Wochenduell: Nach Bronze an der WMSoll sich Simon Ehammer auf den Weitsprung fokussieren?
Der Zehnkämpfer überzeugt bei den Weltmeisterschaften in Eugene im Weitsprung, obwohl er diese Disziplin gar nicht oft trainiert. Ist es also Zeit für einen Wechsel?

Ja: Ehammers 8,45 Meter sind derzeit Jahresweltbestleistung im Weitsprung. Welche Leistungen wären erst möglich, würde er sich komplett auf die Disziplin konzentrieren?
8,45 Meter weit sprang Simon Ehammer beim Mehrkampf-Meeting in Götzis Ende Mai. Eine Marke, die nicht nur Schweizer Rekord bedeutete, sondern sogar Weltrekord innerhalb des Dekathlons. Es ist zudem eine Weite, die 2008, 2012, 2016 und 2021 für Olympiagold im Weitsprung gereicht hätte. Die 8377 Punkte im Zehnkampf, die Ehammer in Götzis sammelte, reichten zwar ebenfalls für Schweizer Rekord, in der Jahresweltbestenliste jedoch nur für Rang acht.
Im Zehnkampf gehört Ehammer erst zur erweiterten Weltspitze, selbst in seiner Altersklasse sind mit Kyle Garland und Ashley Moloney derzeit zwei gleichaltrige Athleten vor ihm klassiert. Im Weitsprung hingegen hat der 22-Jährige das Potenzial, bereits in seinem jungen Alter zur absoluten Weltspitze zu gehören.
Auch Ehammers jüngste Resultate untermauern dies: Silber beim Diamond-League-Meeting in Rabat, Bronze in Oslo, dazu als Krönung der sensationelle dritte Rang bei der Leichtathletik-WM am vergangenen Wochenende in Eugene. Ehammer stellte eindrucksvoll unter Beweis, dass seine Leistungen in Götzis und Ratingen (8,30 Meter) keine Ausreisser waren.
Zudem bietet sich im Einzelwettkampf eine einzigartige Situation, die der Appenzeller nutzen sollte: Der Wettbewerb im Weitsprung gilt momentan als so schwach wie seit Jahren nicht mehr. Chancen auf internationale Medaillen wären ihm – sofern es seine körperliche Gesundheit zulässt – auf Jahre hinaus gewiss. Dies würde auch Ehammers Attraktivität für Sponsoren steigern, zumal der Weitsprung als Einzeldisziplin für Geldgeber verlockender ist als der Zehnkampf, da das Format fernsehtauglicher ist. Im Zehnkampf hingegen ist die Konkurrenz deutlich höher. Ob Ehammer in dieser Disziplin je um WM- oder Olympiamedaillen kämpfen wird, ist derzeit noch nicht absehbar.
Ehammers 8,45 Meter sind derzeit Jahresweltbestleistung, nicht nur innerhalb des Zehnkampfs, sondern im Weitsprung generell. Welch Leistungen wären also erst möglich, würde er sich komplett auf die Disziplin fokussieren? Benjamin Schmidt
Nein: Wieso sollte Ehammer seinen gewohnten und erfolgreichen Zugang zur Leichtathletik von Grund auf umkrempeln?
Was für eine Leistung von Simon Ehammer. Eigentlich ein Zehnkämpfer, katapultiert er sich im Weitsprung mitten in die Weltspitze, gewinnt WM-Bronze und lässt dabei so manchen Weitsprungspezialisten hinter sich. Wenn man bedenkt, dass der 22-Jährige nebenbei noch neun weitere Disziplinen trainiert, ja die Weitsprungtrainings sowieso meistens zugunsten anderer Einheiten auslässt, kommt schon die Frage auf: Was wäre alles möglich, würde der Appenzeller sich ganz auf den Weitsprung konzentrieren?
Doch es ist eine überflüssige Frage. Die weltbesten Zehnkämpfer besitzen alle eine bevorzugte Disziplin, die ihnen besonders liegt und in welcher sie auch bei den Spezialisten vorne mit dabei sind. Dass sie sich trotzdem nicht auf diese eine Disziplin festlegen, hat einen einfachen Grund: weil sie es nicht wollen. Denn einen Zehnkämpfer fasziniert der ganzheitliche Zugang zur Leichtathletik, ihm gefällt der Gedanke, in grundverschiedenen Disziplinen Topleistungen zu erbringen. Sein Training und seinen Körper nur auf eine einzige Sportart auszurichten, macht ihm schlichtweg keinen Spass. Das bedeutet zugleich, dass er in den Trainings auch mal eine Fünf gerade sein lässt, wenn etwa eine technische Kleinigkeit nicht ganz passt.
Wieso sollte Ehammer seinen gewohnten und erfolgreichen Zugang zur Leichtathletik von Grund auf umkrempeln? Zumal er ja auch im Zehnkampf schon den Schweizer Rekord innehat und mit seinen 22 Jahren noch über genügend Zeit und Potenzial verfügt, um bei den Mehrkämpfern bis ganz an die Weltspitze zu stossen. Dass er sich gleichzeitig auch noch im Weitsprung verbessern kann, steht ausser Frage.
Kommt hinzu, dass niemand weiss, wie sich ein Wechsel auf seine sportlichen Leistungen auswirken würde. Wer Ehammer nach seinem Bronzesprung neben der Sandgrube tänzeln sah, der erkannte: Dieser Junge verspürt vergleichsweise wenig Druck. Als Zehnkämpfer steht er nicht in der gleichen Bringschuld wie die Spezialisten. Eine Fokussierung veränderte diese Ausgangslage gewaltig. Die Erwartungen – seine eigenen, aber auch die von Trainer und Fans – würden ungleich grösser. Deshalb tut Ehammer gut daran, alles so zu belassen, wie es im Moment ist: mit dem gewohnten Fokus auf den Zehnkampf und den sensationellen Glanzpunkten im Weitsprung. Darius Aurel Meyer
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