Soldat lag wie ein Embryo im Spind
Selbstmord, Amoklauf und seelische Zusammenbrüche: Die Wikileaks-Enthüllungen zeigen, dass die US-Armee bei Soldaten mit psychischen Problemen hilflos reagiert. Das hat oft gravierende Folgen.

Die Psyche von Soldaten bleibt durch einen Krieg nicht unberührt. Die Wikileaks-Enthüllungen über den Irakkrieg zeigen, dass zahlreiche Soldaten mit seelischen Problemen zu kämpfen haben. Die Armee reagiere häufig hilflos. Manche würden zu Amoktätern oder Selbstmördern, andere würden seelisch verkümmern, schreibt der «Spiegel», der die Dokumente studiert hat.
Das Problem liege darin, dass Schwäche im Krieg keinen Platz habe. Kriegsneurosen würden sich dadurch aber kaum verhindern lassen. Immer wieder lese man in den Kriegsberichten von Soldaten, die durch ihr Verhalten auffallen. So sei ein Soldat in einem Kleiderspind in Embryonalhaltung zusammengerollt aufgefunden worden. Er habe kein Wort gesagt. Andere sprechen davon, sich umzubringen oder andere töten zu wollen. Die Waffe werde einem Soldaten aber oft erst dann abgenommen, wenn er eindeutige Drohungen gegen sich selbst oder andere ausspreche.
Amoklauf in Camp Liberty
Wie wenig das Problem unter Kontrolle sei, zeige der Amoklauf von John Russell. Russell war Unteroffizier des 54. Pionier-Bataillons. Am 11. Mai 2009 erschoss er in Camp Liberty, nahe des Bagdader Flughafens, fünf US-Soldaten. Laut Bericht sei Russell im Kriegstraumazentrum während eines Behandlungstermins «renitent» geworden. Der Soldat habe «auf dem Parkplatz verbal darauf hingewiesen, dass er Selbstmord begehen werde». Trotz dieser Ankündigung habe die Militärpolizei Russell, der zur Sicherheit von einem Kameraden begleitet worden sei, zu seiner Einheit zurückgeschickt.
Russell habe danach die Waffe seines Bewachers an sich gerissen, den Mann aus dem Fahrzeug gezwungen und sei zum Kriegstraumazentrum zurückgekehrt. Wenig später seien ein Major, ein Korvettenkapitän, ein Unteroffizier und zwei Gefreite mit Schusswunden am Kopf im Wartezimmer gefunden worden.
Der Fall sei die bislang schwerwiegendste Tat eines US-Soldaten im Irak gegen die eigenen Kameraden. Der Vorfall werde in den veröffentlichten Militärdokumenten in der Rubrik «Sonstiges – Nicht-Kampf-Ereignis» abgehandelt. Nach den neuesten Einblicken müsse wieder über den Umgang des Militärs mit psychischen Problemen bei Soldaten diskutiert werden, schreibt der «Spiegel».
Hohe Selbstmordrate bei Kriegsveteranen
Nicht nur im Kriegsgebiet leiden Soldaten unter dem Erlebten. Eine Studie der US-Denkfabrik Rand Corporation belegt, dass ein Fünftel der Irak- und Afghanistan-Veteranen an Symptomen des posttraumatischen Belastungssyndroms (PTSD) leiden. Die Zahl der Selbstmorde bei Soldaten übersteige die Zahl derjenigen, die im Irak einem Anschlag zum Opfer fielen. 2008 nahmen sich 143 Soldaten das Leben, im Jahr 2009 waren es 163. Zudem sei die Zahl der Veteranen, die einen Selbstmordversuch begehen, noch viel höher – monatlich seien es an die tausend.
Die Armeeführung habe zwar vier Kriegstraumazentren eingerichtet, wie viel diese nützen, ist aber fraglich. John Russell hatte vier Termine im Zentrum, bevor er Amok lief. Klare Richtlinien, wie man mit Soldaten mit psychischen Problemen umzugehen hat, existieren nicht. Russells Kameraden seien aufgrund seines Verhaltens schon länger alarmiert gewesen. Er habe mehrfach von Selbstmord gesprochen, so die Autoren des Militärberichts. Ein Kommandeur habe vor der Tat angeordnet, Russell müsse unter ständiger Beobachtung bleiben. Dies konnte aber nicht umgesetzt werden, da Personalmangel eine durchgehende Betreuung verhindert habe.
Keine klaren Richtlinien
Eine Untersuchung des Vorfalls von Charles Jacoby, dem damaligen Vizekommandeur der US-Streitkräfte im Irak, habe gezeigt, dass die Armee Soldaten mit psychischen Problemen oft hilflos gegenüber stehe. Ein Satz im Abschlussbericht sei denn auch beunruhigend, schreibt der «Spiegel»: «Es gibt keine klaren Richtlinien, wie mit Soldaten umzugehen ist, die als selbstmordgefährdet gelten, und wie man sie überwacht.»
Die Beispiele von Soldaten, welche PTSD-Symptome aufweisen, seien zahlreich und nur selten werde damit einheitlich umgegangen. Manche seien bei auffälligem Verhalten sofort aus dem Kriegsgebiet ausgeflogen worden, andere seien hingegen zur Einheit zurückgekehrt und hätten nur einen Kurs im Stressmanagement besuchen müssen.
Ein neuer Umgang des Militärs mit Soldaten, die Probleme haben, müsse erst noch gefunden werden, heisst es beim «Spiegel». Etwas habe sich bereits jetzt geändert. Soldaten würden künftig vor einem Einsatz in ein Seminar geschickt, in welchen sie lernen sollen, wie man sich gegen Traumata wappne. Das koste im Moment 117 Millionen Dollar pro Jahr.
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