Marketing-Desaster«Sind wir schon live?»
Die Hollywoodsenioren Alec Baldwin, 64, und Woody Allen, 86, trafen sich auf Instagram zum Gespräch. Ein Lehrstück über die Grenzen moderner Vermarktungsstrategien.

Das beste Theaterstück des Jahres fand vor ein paar Tagen auf Instagram statt. Dort trafen sich die Hollywoodsenioren Alec Baldwin und Woody Allen zum Interview per Live Video. Zunächst erklärte Baldwin seinem Kumpel Woody, was Instagram ist («die Radio City Music Hall der Millennials»), während bei Allen eine freundliche Frau im Hintergrund den Computer zurechtrückte, damit man nicht nur seine Stirn sieht. Woody Allen wirkte, als müsse er jetzt zur Darmspiegelung.
Man musste sich immer wieder daran erinnern, dass hier zwei der grössten Stars der amerikanischen Filmgeschichte videokonferierten. Allen, der vierfache Oscarpreisträger, der mehr Filmkassiker gedreht hat, als die meisten Filmemacher zu träumen wagen. Und Baldwin, der neben Allen für viele andere Regielegenden gearbeitet hat, Martin Scorsese, Tim Burton, John McTiernan.
Weil Videokonferenzfensterchen in ihrer ganzen Verpixeltheit aber etwas sehr egalitär Demütigendes haben, wirkte es leider eher, als würde man einem Online-Treffen einer Stockwerkeigentümerversammlung beiwohnen. Baldwin quatschte fröhlich los, fragte aber nach ein paar Minuten nervös, ob man überhaupt schon live sei. Eine freundliche Frauenstimme aus dem Hintergrund bejahte. Anschliessend fror bei Allen dreimal das Bild ein. Baldwin erhob sich panisch, eine hübsch ausgeleierte blaue Jogginghose präsentierend, um aus dem Bild zu laufen und im Nebenzimmer nach Hilfe zu brüllen. Die Sache hatte grossen Homestory-Charme und war anscheinend nicht wie sonst in Hollywood üblich von drei Dutzend PR-Wichteln vorbereitet worden. Die Kommentarfunktion hatte Baldwin trotzdem vorsichtshalber deaktiviert.
Natürlich hatte es schon vor dem Gespräch reichlich Häme gegeben: Da hätten sich die zwei Richtigen gefunden. Der Schauspieler Baldwin, gegen den aktuell noch ermittelt wird und der Gerichtstermine vor sich hat, weil er vergangenen Herbst mit einer Filmwaffe, die echte Munition enthielt, unwissentlich die Kamerafrau Halyna Hutchins am Set des Westerns «Rust» erschoss. Und der Regisseur Allen, der seit dreissig Jahren von seiner ehemaligen Lebensgefährtin Mia Farrow beschuldigt wird, die gemeinsame Adoptivtochter Dylan missbraucht zu haben, als diese sieben Jahre alt war. Er wird deswegen in der Branche zunehmend gemieden.
Gegenwartshasser Allen
Die Frage war also, ob das Interview eine Art Befreiungsschlag für den Regisseur sein sollte, um seine Sicht auf die Dinge wieder in den Vordergrund zu rücken. Denn Allen streitet alle Vorwürfe gegen ihn vehement ab.
Zunächst einmal scheint er aber vor allem eingewilligt zu haben, weil er ein Buch mit komödiantischen Kurzgeschichten geschrieben hat. «Zero Gravity» ist gerade in den USA erschienen und verlangt wohl nach mehr Promotion als seine früheren Bücher, da er, siehe oben, gerade keinen leichten Stand hat in der Unterhaltungsindustrie. Baldwin hält das Buch auch brav in die Wackelkamera.
Dann geht es wie immer beim Gegenwartshasser Woody Allen um die Vergangenheit. Die Bedeutung der Zeitschrift «New Yorker» für junge Autoren, als er selbst jung war. Dass er gerne mal mit den Marx Brothers gedreht hätte. Seine gescheiterten Versuche, einen guten Roman zu schreiben, weil er als Kind einfach kein eifriger Leser gewesen sei und deshalb nicht wisse, wie man das mache. Die Vorteile, während der Pandemie einfach daheimbleiben zu dürfen.
Während der knappen Dreiviertelstunde, die das Interview dauerte, fragte man sich natürlich durchgehend, ob jetzt noch irgendwas zu seiner aktuellen Situation kommt. Aber: Fehlanzeige. Der Investigativjournalist Baldwin lobte und giggelte, und ob die beiden mit der Aktion die richtige Plattform gefunden haben, um Allens Buch zu promoten, darf man sich bei den mickrigen paar Tausend Zuschauern, die dabei waren, durchaus fragen. Es wirkte alles etwas bizarr und unbeholfen. Dabei sind beide nun wahrlich nicht unerfahren vor der Kamera. Aber es hätte auch beiden klar sein müssen, dass sie, auch wenn sie es sich vermutlich anders wünschen würden, etwas realitätsfremd rüberkommen, wenn sie so gar nicht auf ihre aktuellen Lebenssituationen eingehen.
Dann wünschten sich die beiden Herren noch einen schönen Sommer. Ende der Zwei-Personen-Komödie.
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