Bergamos Bürger ignorieren Regeln «Sind Hunderte Tote nicht genug?»
Die Sehnsucht nach alten Freiheiten hat im Corona-Hotspot Bergamo zu chaotischen Strassenszenen geführt. Jetzt interveniert der Bürgermeister.

Viel Sonne und die Lust, nach dem zweimonatigen Lockdown auszugehen, diese Kombination hat in Bergamo gestern Sonntag zu Menschenansammlungen im historischen Zentrum geführt. Auf einem am Nachmittag via Facebook verbreiteten Bild sind zahlreiche Spaziergänger in den engen Gassen der Altstadt zu sehen, teils mit unter dem Kinn hängenden oder sonst falsch montierten Schutzmasken. Den in Italien vorgeschriebenen Abstand von mindestens einem Meter halten sie nicht ein. In den sozialen Medien löste das Foto eine Welle der Empörung aus.
Wie in anderen Orten sehnen sich die Leute offenbar auch in Bergamo nach ihren alten Freiheiten. In der Kleinstadt mit ihren 120’000 Einwohnern sitzt der Corona-Schock aber tiefer, weil sie vom Virus stärker betroffen ist als die meisten anderen in Europa. Gemäss dem «Corriere della Sera» gab es im März und April 2020 3200 Todesfälle auf Stadtgebiet. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2019 waren es 1200.
Die Szenen aus der historischen Altstadt riefen am Sonntagabend den Bürgermeister auf den Plan. Er sei am Morgen noch in den Hügeln unterwegs gewesen und habe niemanden ohne Maske gesehen. Ein ermutigendes Zeichen, fand Giorgio Gori. «Die Bilder vom Nachmittag haben mich aber beunruhigt und wütend gemacht. Reichen Hunderte Tote in unserer Stadt nicht? Wollen wir uns in einem Monat wieder in Teufels Küche wiederfinden?» Er appellierte an die Bürger, die Schutzmassnahmen wieder strikt einzuhalten.
Neue Lockerungen diese Woche
In Italien beginnt diesen Montag eine weitere Phase der Lockerungen: Trattorien, Restaurants, Bars, die meisten Hotels, Coiffeure, Schönheitssalons und Läden des Einzelhandels dürfen wieder öffnen. Die Zahl der neuen Infektionen und Todesfälle ist in den letzten Tagen weiter gesunken. Das Katastrophenschutzamt meldete am Sonntag 675 neuen Fälle – die niedrigste Zahl seit dem 4. März. Insgesamt sind 31’908 Tote und 225’435 Infizierte bekannt.
Auch im Tourismus hat die Regierung in Rom nach zwei Monaten striktem Lockdown auf Lockerung umgeschaltet: Ab 3. Juni soll die Einreise aus dem Ausland wieder erlaubt sein. Die Angst in Italien ist gross, dass Touristen eher weniger betroffene Mittelmeerländer wie Griechenland, Portugal oder Kroatien bevorzugen.
red
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