«Sieht aus, als ob die Schubladen verwechselt wurden»
In der Schweiz ist es als einzigem Land Europas erlaubt, Kunden im Kleingedruckten krass zu benachteiligen. Auch Möbelgeschäfte wissen das zu nutzen.
Das Sideboard steht seit drei Monaten in Max Jörins Wohnzimmer, doch freuen konnte er sich darüber nie. Im Gegenteil: «Am liebsten würde ich es mit einem Leintuch abdecken», klagt der enttäuschte Käufer. «Das Stück sieht aus, als ob die Schubladen verwechselt worden wären.»
In der Tat: Fotos seines «Sideboards V-Plus, Kirschbaum geölt» zeigen, dass zwischen dem Schubladenteil in der Mitte und den Türen rechts und links deutliche Struktur- und Farbunterschiede bestehen. Die Schubladen sind wilder strukturiert und leicht grünlich-gelb, während der Rest des 2320 Franken teuren Möbels eher rötlich-braun daherkommt. Aufgrund eines rötlich-braunen Musters habe er das Möbel auch bestellt, sagt Jörin. Und: «Das Ausstellungsstück im Laden war optisch aus einem Guss.»
Doch mit seiner Reklamation biss er bei Schubiger Möbel auf Granit. Das laut Eigenwerbung grösste Einrichtungszentrum Zürichs beschied ihm, ein Vergleich mit dem Ausstellungsmöbel sei nicht möglich, weil dieses aus Nussbaum gefertigt sei, während Kirschbaum «naturgemäss eine grössere Bandbreite von ruhigem bis wildem Furnierbild» aufweise. Zudem werde «das Holz, das jetzt grünlich-gelb ist, zu einem Rötlich-Braun nachdunkeln». Auf Anfrage des TA doppelt Mediensprecher Andre Schiltknecht nach: «Was ist an diesem Möbel nicht gut? Holz ist Natur, das ist Kirschbaum!»
«Schubladenholz anders geschnitten»
Alles in Ordnung also, und Max Jörin bloss ein heikler Kunde? Daniel Furrer, Bereichsleiter beim Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten, ist nach dem Betrachten der Fotos skeptisch. Zwar weise Kirschbaumholz tatsächlich stärkere Maserungs- und Strukturschwankungen auf als andere Holzarten, aber: «Das Erscheinungsbild des Sideboards ist speziell. Die Schubladenbretter sind anders geschnitten als das restliche Holz.» Furrer wirft sogar die Frage auf, ob es sich bei der unterschiedlichen Mittelpartie um ein gewolltes Design-Element handle. Ein Blick auf die Homepage des Möbelhauses bestätigt indes: Das Sideboard wird (in Nussbaum) mit einheitlichem Erscheinungsbild angeboten.
Ähnlich wie Furrer urteilt Heinz Bänteli, Experte des Schweizerischen Möbelfachverbands: «Ein einheitlicheres Möbel wäre problemlos machbar gewesen. Die Abweichungen sind so stark, dass das Geschäft den Kunden vorgängig hätte informieren müssen.» Es sei deshalb schade, dass die Kommunikation zwischen Verkäufer und Käufer nicht geklappt habe.
Trotz dieser Expertenmeinungen ist Max Jörin aber noch nicht aus dem Schneider. Denn in Schubigers Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht: «Farb- und Strukturdifferenzen sind naturbedingt und werden vom Käufer akzeptiert.» Der Berner Rechtsprofessor Thomas Koller relativiert allerdings: «Diese Klausel darf nicht so interpretiert werden, dass ein Käufer besonders augenfällige Struktur- und Farbunterschiede am selben Möbelstück hinnehmen muss. Beim Sideboard von Herrn Jörin liegt die gut sichtbare unterschiedliche Maserung meines Erachtens nicht mehr im Toleranzbereich.» Wie ein Richter den Fall beurteilen würde, sei aber schwer vorauszusagen.
Die fragliche Bestimmung findet sich auch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) anderer Möbelgeschäfte, ähnliche Erlebnisse sind also auch anderswo möglich. Denn die Schweiz ist das einzige Land Europas, in dem es immer noch erlaubt ist, Kunden im Kleingedruckten krass zu benachteiligen. «Verboten ist einzig, dies in irreführender Weise zu tun», bemängelt Thomas Koller. «Wer die Benachteiligung aber klipp und klar umschreibt, ist auf der sicheren Seite.»
Dass das Kleingedruckte zu ihrem Nachteil ist, merken die meisten Konsumenten erst, wenn Probleme auftauchen. Zum Beispiel wenn ein bestelltes Möbel nicht rechtzeitig geliefert wird – laut Branchenkennern der häufigste Reklamationsgrund. Doch auch für diesen Fall haben viele Geschäfte vorgesorgt. «Lieferungsverzögerungen berechtigen nicht zur Annullierung des Auftrags», heisst es dann etwa in den AGB. Kunden bleibt also nichts anderes übrig, als zähneknirschend zu warten. Von den fünf grössten Schweizer Möbelhändlern beschränkt einzig die Coop-Tochter Toptip die Wartezeit auf zwei Monate ab Liefertermin.
Finsternis herrscht auch bei den Garantiebestimmungen. Das gesetzliche Recht der Käufer, im Fall eines Mangels ihr Geld zurückzuverlangen oder einen Preisabzug zu machen, schliessen die Anbieter im Kleingedruckten regelmässig aus. Stattdessen darf meist das Möbelgeschäft entscheiden, ob es ein defektes Stück reparieren oder ersetzen will. Immerhin gewähren Toptip und die Migros (Micasa und Interio) zwei Jahre Garantie, Ikea ein Rückgaberecht während dreier Monate.
EU-Länder sind zehn Jahre voraus
Ein Silberstreifen am Horizont zeigt sich nun auch bei den gesetzlichen Vorgaben. Zehn Jahre nachdem die EU beim Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten vor missbräuchlichen Vertragsklauseln vorausgegangen ist, will der Bundesrat mit einer Revision des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb nachziehen. Stark einseitige AGB-Bestimmungen sollen künftig auch dann verboten sein, wenn sie nicht irreführend formuliert sind. Bis die Änderung in Kraft tritt, wird es allerdings noch mindestens zwei bis drei Jahre dauern.
Einstweilen sollten Möbelkäufer folgende Tipps beachten:
Lassen Sie sich mündliche Versprechen im Kaufvertrag bestätigen.
Lesen Sie das Kleingedruckte genau und verlangen Sie nötigenfalls Änderungen oder eine Bedenkzeit.
Vereinbaren Sie schriftlich, um wie viel der Liefertermin überschritten werden darf, bis Sie zurücktreten können.
Achten Sie darauf, dass die Garantiedauer nicht kürzer ist als die gesetzliche Garantie von einem Jahr.
Zahlen Sie wenn möglich nicht den ganzen Preis im Voraus.
Rügen Sie Mängel sofort mit eingeschriebenem Brief.
Im Streitfall können Sie eine Expertise in Auftrag geben beim Schweizerischen Möbelfachverband (Telefon 031 380 54 52, www.moebelfachverband.ch) oder beim Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (Telefon 044 267 81 00, www.vssm.ch). Beide Verbände erstellen keine Expertisen aufgrund von Fotos.
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