Nachruf auf Hannah Pick-GoslarSie vergass nie, was ihr Anne Frank beim letzten Treffen sagte
Hannah war Annes beste Freundin. Kurz vor deren Tod trafen sich die beiden Mädchen im KZ Bergen-Belsen.

Sie hatte drei Kinder, elf Enkel und 31 Urenkel. Sprach man sie darauf an, soll sie laut der Anne-Frank-Stiftung jeweils gesagt haben: «Das ist meine Antwort an Hitler.»
Hannah Pick-Goslar war die Kindheitsfreundin von Anne Frank. Die beiden Mädchen waren mit ihren Familien nach Amsterdam geflohen, gingen in dieselbe jüdische Schule und lebten im selben Mietshaus. In ihrem Tagebuch nennt Anne Frank die Freundin oft «Hanneli» und lobt deren Ehrlichkeit.
«Wir waren alles andere als anständig», erzählte Pick-Goslar einmal in einem Interview mit dem «Spiegel». Sie seien wild und frech gewesen und hätten sich einen Spass daraus gemacht, aus dem Fenster Passanten nass zu spritzen. Hannahs Mutter habe über die Spiel- und Schicksalsgefährtin ihrer Tochter gesagt: «Gott weiss alles – und Anne weiss alles besser.»

Mit der kindlichen Unbeschwertheit, welche die beiden Mädchen in Amsterdam trotz allem verteidigen, ist es vorbei, als Holland im Mai 1940 von den Nazis besetzt wird. Nun müssen sie den gelben Stern tragen und dürfen weder ins Schwimmbad noch in den Stadtpark. Am 7. Juli 1942, als Hannah ihre Freundin zum Spielen abholen will, ist sie plötzlich nicht mehr da. Anne Franks Familie sei in die Schweiz geflüchtet, behauptet ein früherer Untermieter. In Wahrheit hat sie sich im «Hinterhaus» versteckt, das dank Anne Franks Tagebuch weltberühmt werden sollte.
Ein knappes Jahr später fallen Hannah und ihre Familie bei einer Razzia in die Gewalt der Nazis. Sie werden zunächst ins holländische Durchgangslager Westerbork gebracht und später ins Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Hier trifft Hannah ihre Freundin wieder, von der sie geglaubt hat, sie lebe in Sicherheit in der Schweiz.
«Sie war ein gebrochenes Mädchen.»
«Ich habe niemanden mehr», sagt Anne Frank, deren Schwester Margot im Sterben liegt. Irrtümlicherweise glaubt sie, ihr Vater, der den Holocaust überleben wird, sei tot. Anne habe über die Kälte und über unerträglichen Hunger geklagt, wird Hannah Pick-Goslar später im «Spiegel» erzählen. Dreimal sehen sich die beiden, aber immer nur kurz. «Sie war ein gebrochenes Mädchen. Das war nicht mehr die Anne, die ich kannte.» Und ihr Leben lang lässt Hannah der Gedanke nicht los, Anne Franks Lebenskraft hätte vielleicht für die paar Wochen bis zur Befreiung des Lagers ausgereicht, wenn sie ihren Vater nicht verloren geglaubt hätte.
Zwei Jahre nach Kriegsende wandert Hannah Pick-Goslar nach Jerusalem aus. Sie kehrt aber immer wieder nach Deutschland und Holland zurück, um ihre Geschichte zu erzählen. Sie tut es nüchtern, lässt sich selten von Emotionen überwältigen und antwortet auf die Frage, ob die Erinnerungen an all den Schrecken nicht unerträglich seien, mit den Worten: «Na ja, manchmal träume ich schlecht.»
Über ihre Freundschaft zu Anne Frank spricht Hannah Pick-Goslar im Buch «Erinnerungen an Anne Frank: Nachdenken über eine Kinderfreundschaft». Unter dem Titel «Meine beste Freundin Anne Frank» wurde ihre Geschichte ausserdem verfilmt. Am Freitag ist Hannah Pick-Goslar im Alter von 93 Jahren in Jerusalem gestorben.
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