Analyse zu autokratischen RegimesSie müssen Blut sehen
Lukaschenko, Assad, die Generäle in Burma: Manche Mächtige sind Süchtige. Sie verfallen in eine Art Beschaffungskriminalität, um weiter an den Stoff zu kommen. Und bald bedingt eine Tat die nächste.

In Damaskus floss soeben Blut zum Machterhalt des Präsidenten: In einer gross inszenierten Abstimmung bescherte sich Bashar al-Assad eine weitere Amtszeit. Kabinen zur geheimen Wahl gab es nur manchmal, dafür lagen an den Urnen Stecknadeln bereit. Besonders Linientreue stachen sich damit in die Finger und drückten sie auf die Wahlzettel. Regime-Anhänger mit Blut an den Händen, rot verschmierte Porträts des Mannes auf den Abstimmungsbögen, der seit zehn Jahren einen Krieg gegen Teile des eigenen Volks führt – ein Legitimationsversuch mit so verstörender wie entlarvender Symbolik.
Blut fliesst derzeit täglich auch auf den Strassen von Burma, wo eine Junta sich zurück an die Macht geputscht hat und Demonstrationen zusammenschiessen lässt. Blut fliesst in den Folterzellen von Weissrussland, in die der Diktator Alexander Lukaschenko seine Gegner verschleppen lässt – und um eines Bloggers habhaft zu werden, zwingt er mittlerweile einen internationalen Flug mit einer fingierten Terrordrohung zur Landung. Am Beispiel Weissrusslands zeigt sich, wie leicht Autokratien in eine Eskalationsspirale rutschen: Auf eine Wahlfälschung folgen Proteste, auf das Niederknüppeln von Demonstrationen die Jagd auf jene, die von der Gewalt berichten. Was kommt danach?

Dass Macht eine Droge sei, ist eine viel zitierte Weisheit. Wer sie ausspricht, hebt meist auf das berauschende Gefühl ab, das ultimative Gewalt über Menschen und Betriebe, Staatsapparate und Narrative anscheinend mit sich bringt. Wie Süchtige verfallen manche Mächtige in eine Art Beschaffungskriminalität, um weiter an den Stoff zu kommen – und bald bedingt eine Tat die nächste. Weil es für diese Kriminellen rasch nur noch einen Schutz vor Exil, Gefängnis oder Schlimmerem gibt: sich unbedingt an der Macht zu halten.
In der Türkei etwa konnte man in den vergangenen Jahren zusehen, wie so ein Suchtkreislauf beginnt. Der Staatschef umklammerte die Macht immer stärker. Als das zu einem Putschversuch führt, antwortet er mit Massenentlassungen und Massenverhaftungen. Um die Macht zu sichern, werden dem Mann an der Spitze noch weitreichendere Gewalten eingeräumt, Republik und Verfassung dazu umgebaut. Doch selbst das reicht bald nicht mehr. Um den Verlust der Vorherrschaft im Parlament und Rathäusern zu verhindern, landen mehr und mehr Oppositionelle, Journalisten und Aktivisten im Gefängnis. Und wenn dennoch eine Wahlschlacht verloren geht – wie 2019 die in Istanbul –, wird sie eben wiederholt. Was die Bürger dort nicht daran hinderte, das erste Ergebnis zu bestätigen.
In Richtung Autokratie
Die Welt schaut bei solchen Entwicklungen eher hilflos zu. Wenn Alexei Nawalny in einem abstrusen Prozess zu Lagerhaft verurteilt wird, kann das Ausland mahnen, vielleicht Sanktionen verhängen. Bis solche wirklich wirken, dauert es – so lange bieten sie Gewaltherrschern willkommene Ausreden, um die eigene Misswirtschaft zu kaschieren. Daher setzen Anhänger des Multilateralismus lieber auf verstärkte internationale Zusammenarbeit. Kooperation in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur soll quasi einen Wandel durch permanente Annäherung bringen. Zyniker geben als Antwort auf die Frage nach der Wirkmächtigkeit dieser Bemühungen gern die Mitgliederliste des UNO-Menschenrechtsrats zu lesen. Darin sitzen derzeit, eine kleine Auswahl: Somalia und Mauretanien, Kuba und Venezuela, China und Bahrain, allesamt keine Fackelträger der Freiheit. Und blickt man etwa auf den Index, mit dem die Organisation «Freedom House» Jahr für Jahr abzubilden versucht, ob sich Staaten in Richtung Demokratie und Freiheit entwickeln, fragt man sich sowieso, wer sich wem annähert. Der Wind des Wandels bläst stark – in Richtung Autokratie, weltweit, seit Jahren.

Ein anderes Instrument, mit dem die Weltgemeinschaft verhindern will, dass Regimes ausser Kontrolle geraten, sind Strafen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen nicht vergessen werden, sie verjähren nicht und müssen vor Gerichten verhandelt werden, verlangt das internationale Recht. Allein: Effektiv ist der seit 2002 arbeitende Internationale Strafgerichtshof schon deshalb nicht, weil die Grossmächte ihn sabotieren. Um die eigenen Soldaten, Agenten und Politiker zu schützen, erkennen die USA seine Autorität nicht an. Um den Verbündeten Assad zu schützen, verhindert Russland, dass der UNO-Sicherheitsrat den Fall Syrien nach Den Haag überweist.
Ihren überschaubaren Einfluss sollten Demokraten und Demokratien auf das beste Mittel im Kampf gegen Kriegsverbrechen verwenden: Prävention. Denn jede abgesetzte Richterin in Polen, jede geschlossene Radiostation in Ungarn, jeder aus Venezuela ins Exil gezwungene Oppositionelle ist ein kleiner Schritt in eine gefährliche Richtung. Dem unweigerlich weitere folgen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.