«Schwere Kollapse sind häufig»
Schwere Kreislauf-Kollapse können wie bei Bundesrat Hans-Rudolf Merz unvermittelt auftreten. Matthias Pfisterer (64), Leiter der Kardiologie am Basler Unispital, erläutert die Herz-Gefahren.
BaZ: Herr Pfisterer, wieso wurde der Eingriff an Bundesrat Hans-Rudolf Merz im Berner Inselspital und nicht im näheren Zürcher Unispital durchgeführt?
Prof. Matthias Pfisterer:Es stimmt, Zürich wäre eigentlich näher gelegen. Es ist allerdings so, dass der Chefarzt-Posten der Herzchirurgie in Zürich zurzeit vakant ist. Das mag ein Grund gewesen sein. Vielleicht liegt es einfach auch daran, dass Herr Merz den grössten Teil seiner Zeit in Bern verbracht hat und sein Umfeld dort liegt. Sicher beurteilen kann ich dies nicht.
Es könnten sowohl medizinische als auch persönliche Gründe ausschlaggebend gewesen sein?
Ja, vielleicht war auch im Moment in Zürich keine Kapazität vorhanden, was ich eher nicht glaube.
Thierry Carrel vom Berner Inselspital leitet auch die Basler Kardiologie. Er hätte Hans-Rudolf Merz auch in Basel operieren können?
Ja, sicher. Auch Stefan Eckstein, der neue Chef der Herzchirurgie in Basel, hätte diese Operaton durchführen können.
Was viele Leute überrascht und erschreckt ist der Umstand, dass Bundesrat Merz, der Sport treibt und sich gesund fühlte, ohne Vorwarnung einen schweren Herz-Kreislauf-Kollaps erlitt. Wie häufig passiert dies?
Ich kenne die näheren Umstände der Krankengeschichte von Herrn Merz nicht und möchte mich dazu nicht äussern. Das heisst, ich kenne die Ursachen des Kollapses nicht, ich weiss nicht, ob er einen Infarkt hatte oder Herz-Rhythmusstörungen oder beides. Dies gesagt, stimmt es leider, dass schwere Herzprobleme ohne Vorwarnung, das heisst Brustschmerzen, auftreten können, zum Beispiel beim plötzlichen Herztod. Dabei handelt es sich meistens um eine schwere Herz-Rhythmusstörung. Im Unglücksfall kommt es darauf an, ob man innerhalb nützlicher Frist, das heisst drei bis spätestens fünf Minuten, wiederbelebt wird. Sonst sind bleibende Hirnschäden möglich.
Haben Sie Zahlen zur Häufigkeit?
Das ist schwierig, weil jene Patienten, die an einem plötzlichen Herztod sterben, das Spital häufig nicht mehr erreichen und wir deshalb keine genaue Todesursache bestimmen können. Man geht davon aus, dass etwa fünf bis zehn Prozent der Leute mit schweren Herzproblemen als erstes Ereignis eine schwerwiegende Herzrhythmusstörung haben. Und Herzprobleme sind im höheren Alter die weitaus häufigste Todesursache. Es betrifft also viele Menschen. Bei jüngeren Menschen ist es vor allem eine Männerkrankheit, die Frauen sind bis zur Menopause weitgehend geschützt. Im höheren Alter betrifft es beide Geschlechter gleich.
Der plötzliche Herztod tritt unvermittelt auf. Gibt es keine medizinischen Anzeichen, hätte man Herrn Merz letzte Woche untersuchen und nichts finden können?
Es gibt Patienten, wo wir die Veränderungen an den Herzkranzgefässen vorher nicht sicher feststellen können. Es ist anzunehmen, dass Herr Merz und solche Patienten diese Krankheit schon lange in sich tragen. Wobei es heute Möglichkeiten gibt, den Verdacht auf solche Gefährdungen abzuklären. Dazu braucht es Belastungstests für das Herzen, es gibt auch neuartige Röntgenuntersuchungen.
Schwere Rhythmusstörungen sind eine Ursache des plötzlichen Herztodes. Ist das Kammerflimmern selbst Folge oder Ursache für einen Infarkt?
Er ist wahrscheinlich in einer solchen Situation Folge einer Durchblutungsstörung. Diese kann vorübergehend sein, dann handelt es sich nicht um einen Herzinfarkt. Oder sie kann andauernd auftreten und zu einem Herzinfarkt führen. Dieser reduziert wiederum die Pumpleistung des Herzes und verstärkt die Rhythmusstörung. Sie können sich also gegenseitig bedingen.
Welche Rolle spielt Stress als Auslöser des Ereignisses?
Stress ist objektive schwierig zu fassen. Einer bewältigt eine grosse und schwerige Aufgabe ohne Probleme, der andere hat bereits Mühe mit einem kleinen Problem. Aber Stress steigert den Blutdruck und die Herzfrequenz, was wiederum die Belastung des Herzens erhöht und – selten – solch ein Ereigeignis auslöst. Aber gerade im Falle von Herrn Merz war er am Samtagabend kaum in einer besonderen Stresssituation. Vielmehr wäre es bei ihm der Dauerstress und nicht der momentane Druck, der als Auslöser gewirkt haben könnte.
Ist es typisch, dass man in einer solchen Erholungsphase kollabiert?
Ja, das sieht man recht oft.
Falls man sich von so einem Herz-Kreislauf-Kollaps erholt, kann man im gleichen Stil weiter arbeiten, oder muss man Änderungen vornehmen und kürzer treten?
Da ist alles möglich, es kommt wirklich darauf an, wie gross der Schaden am Gehirn ist, ob überhaupt ein bleibendes Probleme am Gehirn oder Herzen entstanden ist oder nicht. Dann hängt es davon ab, inwieweit man diese Schäden medikamentös beheben kann.
Es ist also beides möglich?
Das ist momentan sehr offen. Es wird noch einige Tage dauern, bis man Näheres sagen kann. Der Komazustand wird heute häufig mehrere Tage beibehalten, um dem Gehirn eine gute Erholung zu ermöglichen.
Kann man den Komazustand nach Belieben manipulieren?
Man kann den Patienten im Tiefschlaf behalten, aber wir wissen im Moment eben nicht, wie weit das Koma nur von aussen durch Medikamente hervorgerufen wurde oder wie weit es durch Hirnschädigungen mitprovoziert wird.
Es ist im schlimmsten Fall also möglich, dass Herr Merz nicht aufwacht?
Richtig.
Und über allfällige neurologische Folgen des Kollapses wie Sprach- oder andere Störungen weiss man erst nach Erlangung des Bewusstsseins Bescheid?
Auch das stimmt.
Mit einem Bypass werden verschlossene Herzkranzgefässe umschifft. Herrn Merz wurden gleich fünf eingesetzt.
Es gibt drei Hauptkranzgefässe und die haben Nebenäste, wenn man fünf Gefässe überbrücken musste, heisst dies, dass alle diese Gefässe betroffen waren, dass die Krankheit ausgedehnt war. Es muss sich aber nicht in allen Fällen um Verschlüsse gehandelt haben.
Es heisst, eine solche Operation werde häufig durchgeführt. Können Sie das bestätigen?
Diese Operation wird in Basel täglich zwei-, dreimal durchgeführt. Das ist auch in Bern und Zürich eine Routineoperation, auch wenn sie in akuten Notfällen selten zum Einsatz kommt. Das heisst, das macht man in der Regel nicht, wenn man nicht muss. Meist wird eine Herz-Katheter-Behandlung vorgezogen.
Wie wird es weiter gehen?
Es braucht nun einfach Zeit und Geduld um zu sehen, wie es bei Herrn Merz weiter gehen wird. Kürzlich liess ich eine Patientin neun Tag kontrolliert im Koma. Ein halbes Jahr danach hat sie ihre beruflich Tätigkeit wieder aufgenommen, nicht ganz hundertprozentig, aber weitgehend. Wir können jetzt nur hoffen, dass es für Herrn Merz gut ausgeht.
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