EU-ForschungsprogrammSchweizer Spitzenforschern droht der Ausschluss
Brüssel will hiesige Wissenschaftler von wichtigen Zukunftsprojekten ausschliessen, und zwar unabhängig vom Ausgang beim Rahmenabkommen. In der Schweiz ist man alarmiert.

Die EU macht auf Protektionismus: Brüssel will Forschende aus der Schweiz, Grossbritannien und Israel von EU-Forschungsprogrammen ausschliessen, die für die Zukunft als strategisch wichtig gelten. Die drei Länder waren bisher als assoziierte Mitglieder bei Horizon 2020 gleichberechtigt dabei. Beim Nachfolgeprogramm Horizon Europe sollen Forschende aus den drei Staaten bei gewissen Projekten der Weltraum- und Quantenforschung nicht mehr mitmachen können.
In der Schweizer Forscherszene zeigt man sich alarmiert: «Alle sind schockiert», sagt Klaus Ensslin, Professor für Festkörperphysik an der ETH Zürich. Ein Ausschluss sei schlecht für die Grundlagenforschung, aber auch für Europa. Bisher war man beim sogenannten Quantum Technology Flagship dabei, Leuchtturmprojekt im Rahmen des EU-Forschungsprogramms mit einem Gesamtbudget von einer Milliarde Euro.
Die Schweiz habe nach Forschungseinrichtungen in Deutschland, aber vor Frankreich am meisten Mittel bekommen, sagt Klaus Ensslin. Wobei für den Forscher bei Horizon Europe Vernetzung und Wettbewerb wichtiger sind als die Mittel, die verteilt werden.
ETH führend
Die ETH ist in der Quantenphysik führend, deren Anwendung einst weit über superschnelle Computer hinausgehen soll. Es geht um eine Zukunftstechnologie, in die auch Google, Facebook und Co. derzeit dreistellige Millionenbeträge investieren.
Der Ausschluss hat sich schon im vergangenen Jahr angedeutet, als die EU die Rechtsgrundlage für das neue siebenjährige Forschungsprogramm verabschiedete. Und dies unabhängig von der Diskussion um das Rahmenabkommen mit der EU. (Lesen Sie dazu: Wegen des Brexit werden Schweizer Forscher bestraft)
Assoziierte Drittstaaten könnten von gewissen Programmen ausgeschlossen werden, wenn es um Forschung im Sicherheitsbereich gehe. Finanzielle Interessen der EU und Förderung des Wachstums in Europa müssten künftig im Vordergrund stehen, heisst es dort. Was das in der Praxis bedeutet, wurde aber erst aus dem Entwurf des Arbeitsprogramms deutlich, das die Fachzeitschrift «Science Business» ins Netz gestellt hat.
Quantencomputer seien eine Zukunftstechnologie von «globaler strategischer Bedeutung», heisst es im Entwurf. Um das strategische Interesse der EU, ihre Autonomie und Sicherheit zu gewährleisten, könnten sich nur Forschungseinrichtungen und Unternehmen mit Sitz in der EU sowie den EWR/Efta-Staaten beteiligen. Schliesslich hat auch für das Internet und die Computer von heute die Grundlagenforschung in Europa begonnen. Später machten aber andere das Geschäft mit den Anwendungen. Das soll sich bei der Quantentechnologie nicht wiederholen.
Ein Ausschluss der Schweiz, Grossbritanniens und Israels sei aber kontraproduktiv, sagt Ensslin. Genau diese drei Länder seien bei der Quantenforschung besonders stark. Mit einem Ausschluss schwäche die EU Europas Position im globalen Wettbewerb.
EU wird protektionistisch
Nicht nur in der Forschung wird die EU protektionistischer, einst Champion für Freihandel. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wirbt dafür, dass die EU «strategische Autonomie» erreichen, ökonomisch und auch militärisch unabhängiger werden müsse. Der Ruf findet in der Corona-Krise ein wachsendes Echo, noch verstärkt durch den Brexit und den Konflikt mit Grossbritannien um Impfdosen.
Beim Forschungsprogramm Horizon Europe sind Restriktionen laut dem Entwurf auch für Bereiche wie Weltraumforschung oder Satellitenkommunikation vorgesehen. Es sei «verrückt», die Schweiz von Weltraumprojekten auszuschliessen, sagt Olivier Küttel, zuständig für internationale Beziehungen an der ETH in Lausanne. Schliesslich sei die Schweiz Gründungsmitglied der Europäischen Weltraumagentur (ESA). Olivier Küttel fände es bedauerlich, wenn die Politik in der Forschung das Zepter übernehmen und die EU sich nur noch auf sich selber fokussieren sollte.
Möglicherweise ist aber das letzte Wort noch nicht gesprochen, werden die Einschränkungen aus dem Arbeitsprogramm für Horizon Europe wieder gestrichen. Die Forschungsminister sollen den Entwurf am 19. März beraten und könnten noch einmal über die Bücher gehen. Einigen Mitgliedsstaaten ist der Forschungsprotektionismus der EU-Kommission auch nicht ganz geheuer.

Stephan Israel ist in Zürich aufgewachsen, hat in Genf Science Politique studiert und ist in Bern in den Journalismus eingestiegen. Er war während der Jugoslawienkriege Korrespondent in Südosteuropa. Seit 2002 schreibt er aus Brüssel über die schwierige bilaterale Beziehung und die Krisen der EU.
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