Schutzbachs Schutzblech
Die aktuellen Inhalte der Genderforschung sind kein Fundament, auf dem sich die neue Geschlechtervielfalt aufbauen lassen.

Nach Erkenntnissen der Genderforschung bin ich heteronormativ. Ich bin das, weil ich unhinterfragt eine bipolare Geschlechterordnung praktiziere, weil ich männliche Geschlechtsmerkmale mit mir herumtrage, mich als Mann fühle und zu Frauen hingezogen. Allerdings bin ich ein postmoderner Heteronormativer, und ich bin auf jeden Fall moderner als all die Hardcore-Feministinnen, toughen Emanzen und Wischiwaschi-Genderforscherinnen, und ich bin es, weil ich einem Menschen nicht a priori aufgrund seines Geschlechts einen Bonus oder Malus zuteile, sondern aufgrund dessen, ob er ein Idiot ist oder nicht. Ein kluger Transsexueller oder irgendein intelligentes Transinterwasauchimmerwesen ist mir allemal lieber als eine dumpfbackige Hete.
Ich bin des Weiteren für Gleichberechtigung, für die Selbstverwirklichung alles biologisch Existierenden, für Lohngleichheit zwischen Mann und Frau. Ich bin Feminist und so weiter. Was ich nicht mag, ist, dass, wenn in diesem Falle eine Frau Bullshit von sich gibt, man gleich als übler Antifeminist, als Männersau und von halbintellektuellen Männern mit erhöhtem Frauenanteil wie etwa mein Freund Guy Morin als misogyn bezeichnet wird.
Ich dachte nie, dass man mal darauf hinweisen muss, auf diese Binsenwahrheit: Dummheit kennt kein Geschlecht und liegt bei Mann und Frau bei fifty-fifty. Um ehrlich zu sein, hängt mir die Art und Weise, wie heute auf akademischer Seite Feminismus und Emanzipation verstanden, betrieben und gelehrt wird, so zum Halse raus, dass ich meine besten Männerjahre nicht damit verschwenden möchte. Der gegenwärtige Stil erinnert mich an die 1970er-Jahre und die ersten Emma-Ausgaben, als der Kampf für die Freiheit der Frau als Krieg mit entsprechendem Vokabular («alle Männer sind Schweine», «potenzielle Vergewaltiger» und so weiter) geführt wurde.
Dummheit kennt kein Geschlecht und liegt bei Mann und Frau bei fifty-fifty.
Als ich die Blogeinträge der Basler Genderforscherin Franziska Schutzbach gelesen habe, hatte ich ein veritables Flashback, und dann wurde ich traurig, weil 40 Jahre erfolgreicher Feminismus und fortschrittliche Emanzipation bei einigen Frauen offenbar nicht richtig angekommen sind. So görenhafte Blog-Einträge à la «Frauen, kauft nicht bei Machos» und «Frauen, lasst euch eure Haare nur von schwulen Italienern machen» wären schon unter der Würde der kämpferischen Suffragetten Anfang des letzten Jahrhunderts gewesen.
Natürlich ist die auch von den vielen Männern herbeigesehnte und finale Gleichberechtigung aller gegenwärtigen und auch zukünftigen Geschlechter noch immer eine einzige Baustelle, die endlich mal keine Baustelle mehr sein sollte. Die aktuellen Inhalte der Genderforschung, exemplarisch verdichtet in Schutzbachs Blog, sind allerdings kein Fundament, auf dem sich die neue Geschlechtervielfalt aufbauen liesse; sie sind Bulldozer, die noch niedermachen wollen, was sich in diesen Tagen schon längst im Untergang befindet, und sie walzen das neue Wachstum eines diesbezüglich neuen Bewusstseins in gedankenlosem Egoismus, in chauvinistischer Selbstverliebtheit und mit falsch verstandenem, paranoidem Missionarinnenismus nieder.
Dennoch ginge man wohl zu weit, wenn man behaupten würde, Schutzbach verkörpere intellektuell den neuen Stil im Genderismus. In diesem Sommer, als sie in den Krieg zog, um die rechten und richtigen Feinde der Gendersache mindestens ordentlich bluten zu lassen, und sie dachte, sie sei eine Reinkarnation von Jeanne d'Arc oder zumindest der frühen Alice Schwarzer, hatte sie wohl was man bei Männern einen erhöhten Testosteronspiegel nennt. Der Hormonschub kam daher, so kann man annehmen, weil sie zu dieser Zeit in einer Phase des Verführtseins lebte, das sich offenbar wie ein Schutzblech um alles legte, was sie tat, dachte und schrieb.
Die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, die den Grünen sehr nahe steht, und das in der Stiftung integrierte Gunda-Werner-Institut mit den Schwerpunkten Feminismus und Geschlechterdemokratie planten neue Waffen für den Kampf gegen den globalen Antifeminismus, und Schutzbach durfte als Autorin mittun. Geplant war ein «Anti-Feminismus-kritisches Online-Lexikon», das antifeministische Netzwerke und Personen sichtbar machen und über deren Ziele und Ideologien aufklären wollte. Es hiess «Agent*in» (Anti-Gender-Networks-Information) und war, en bref, eine Blacklist von jenen frauenfeindlichen Objekten, die Schutzbach in ihrem Blog angriff.
Als ihr Dirty War aufflog, schlug sie dann nicht mit Erklärungen um sich, sondern mit Ausreden.
Ebenfalls geplant war eine Broschüre mit dem Titel «Gender raus!», die «zwölf Richtigstellungen zu Antifeminismus und Gender-Kritik» enthielt, verfasst von Schutzbach. Es ist ein kleines Justifying-Manifest für die eigene Ideologie, das die gängigen Vorwürfe wie «Genderideologie will die Ehe und Kernfamilie abschaffen» politisch korrekt richtigstellt.
Die Broschüre hat überlebt, die Online-«Agent*in» nicht. Die Böll-Stiftung zog sie zurück, weil die «öffentlich und intern geübte Kritik am Format (…) deutlich gemacht hat, dass dieser Weg nicht geeignet ist, die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu Antifeminismus zu führen». Dann wird noch bedauert, dass durch die gewählte Form manche an antidemokratische Methoden erinnert werden, und ein wenig entschuldigt.
Unglücklicherweise bemerkte Schutzbach in Basel zu spät, dass ihr Schutzblech jetzt weg war, oder es war ihr egal, und sie ging in einen einsamen Guerilla-Kampf über. Als ihr kleiner Dirty War aufflog, schlug sie dann nicht mit Erklärungen um sich, sondern mit Ausreden; dass ihre Blogeinträge zynisch gemeint gewesen seien. Ach so. Dann ist ja auch nicht wichtig, dass sich die Einträge inhaltlich und vor allem ideell klar auf das sehr ernst gemeinte Lexikon «Agent*in» bezogen.
Es gibt einen Text von Schutzbach im Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 11. August 2016 über Bulimie, jene Krankheit des Vollstopfens und Auskotzens, ein beklemmend wunderbarer Text ist es, einfühlsam, ehrlich, klug, die Schuldzuweisungen zwischen dem Ich und der Welt ausgewogen, und darin findet sich der Satz: «Ich wollte jemand sein. Und verschwand.»
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