«Schummel-Schumi» – ganz präsent
Weggefährte Ross Brawn äussert sich zum Zustand des Rekordweltmeisters und zu dessen umstrittenen Manövern.

Nico Rosberg steht kurz davor, Formel-1-Geschichte zu schreiben. Siegt der 31-Jährige in Brasilien, ist er erstmals Weltmeister. Als dritter Deutscher nach Sebastian Vettel – und vor allem nach ihm: Michael Schumacher, mit sieben Titeln noch immer der erfolgreichste Fahrer der Königsklasse.
In den Tagen vor diesem 20. von 21 Rennen der Saison ist der Ausnahmefahrer, über dessen Gesundheitszustand seit dem verhängnisvollen Skiunfall Ende 2013 noch immer nur spekuliert wird, plötzlich ganz präsent. Vor allem wegen Ross Brawn, des Erfolgsingenieurs hinter Schumacher, in der Szene «Superhirn» genannt. Der 61-jährige Brite, der noch immer ein enger Vertrauter der Familie Schumacher ist, sagte gegenüber der BBC: «Es gibt ermutigende Zeichen, und wir alle beten jeden Tag dafür, dass wir mehr von ihnen sehen.»
Doch Brawn, der als Nachfolger von Chefvermarkter Bernie Ecclestone gehandelt wird, sorgte nicht nur mit dieser Aussage für Aufmerksamkeit, sondern auch mit seinem Rückblick auf die von Kontroversen umschlungene Karriere Schumachers. «Ich kann diese Dinge nicht verteidigen, und ich glaube, dass Michael das auch nicht könnte. Die Sache mit Damon war schwierig, ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich Absicht war. Die Sache mit Villeneuve war offensichtlich ein Rempler – und die Aktion in Monaco war dumm», sagte Brawn.
Mit Crash zum ersten Titel
Also der Reihe nach: die Sache mit Damon Hill (laut Brawn «schwierig»). 1994 kämpfte Schumacher im Benetton mit Hill (Williams) um den Weltmeistertitel. Vor dem letzten Rennen in Australien hatte Schumacher einen Vorsprung von einem Punkt auf den Engländer. In Führung liegend, rutschte Schumacher von der Strecke, berührte gar die Mauer, kam jedoch vor Verfolger Hill wieder zurück auf die Piste. Als dieser im Anschluss einen Überholversuch startete, berührten sich die Autos, Schumachers Benetton hob ab – für ihn war das Rennen vorbei. Für Hill war es das drei Runden später.
Weil einige Beobachter eine Absicht hinter der Karambolage sahen, die dem Deutschen letztlich den ersten WM-Titel einbrachte, war der Übername «Schummel-Schumi» geboren. Doch Schumacher hatte schon zuvor in dieser Saison für einige Diskussionen gesorgt. Etwa in Rennen Nummer 5 nach den tödlichen Unfällen von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna in Imola. Im Qualifying von Silverstone war Schumacher drei Tausendstel langsamer gewesen als Hill. Wohl um den Briten zu provozieren, überholte er diesen in der Einführungsrunde und fuhr vor ihm Zickzack. Weil er und sein Team die deshalb ausgesprochene 10-Sekunden-Strafe ignorierten, wurde für ihn die schwarze Flagge geschwenkt – sofortige Disqualifikation. Die Verantwortlichen von Benetton wiesen ihn dennoch an, weiterzufahren, Schumacher wurde Zweiter. Er hielt den Platz nicht lange, wurde disqualifiziert und für zwei Rennen gesperrt, was Hill die Aufholjagd im WM-Kampf ermöglichte.
Nachdem Schumacher dann in Ungarn gewonnen hatte, kam es Belgien zum nächsten Eklat. Der Deutsche, als Erster im Ziel, wurde erneut disqualifiziert – die Bodenplatte an seinem Auto war zu dünn. Er argumentierte damit, dass diese bei einem Dreher auf den Randsteinen abgeschliffen worden sei, der Automobilverband FIA beurteilte es anders. Den Pokal durfte er dann in Australien ja dennoch in die Höhe stemmen.
Der Rempler ins Leere
Die Sache mit Villeneuve (Brawn: «offensichtlich ein Rempler»): Schumacher kannte die Situation. Auch 1997 ging der mittlerweile zweifache Weltmeister und Ferrari-Pilot mit einem Punkt Vorsprung in das letzte Rennen. Er führte in Jerez dann auch, doch Jacques Villeneuve, der zweite Aspirant auf den Titel, holte auf und wollte überholen – als Schumacher nach innen zog und den Kanadier abschoss. Es landete jedoch nicht das Opfer im Kiesbett, sondern der Täter – und Villeneuve wurde erstmals Weltmeister. In einem Interview mit Redaktion Tamedia sagte Villeneuve jüngst: «Das war grossartig! Er half mir, zu gewinnen, und sorgte dafür, dass dieser Weltmeistertitel in Erinnerung bleibt. Also war das ganz förderlich für mich.»
Die Gegner ausgebremst
Und zu schlechter Letzt: die Aktion in Monaco 2006 (laut Brawn «dumm»): In der Qualifikation zum Glamourrennen an der Côte d'Azur hatte Schumacher die schnellste Zeit aufgestellt. Wenige Sekunden vor dem Ende «verbremste» er sich eingangs der engen Rascasse-Kurve und liess seinen Ferrari stehen. Damit verhinderte er, dass die Konkurrenz, etwa Fernando Alonso oder Nico Rosberg, noch eine schnelle Runde hätten fahren können. Obwohl Schumacher von einem Fahrfehler sprach und seine Unschuld beteuerte, entschied die Rennleitung nach achtstündiger Beratung, ihn von der Poleposition auf den letzten Startplatz zurückzuversetzen.
Als «Drecksack» beschimpft
Ach ja, auch in Brasilien, wo dieser Rosberg, dessen Vater Keke nach dem Vorfall tobte und Schumacher als «Drecksack» beschimpfte, an diesem Wochenende Weltmeister werden kann, hatte der Rekordweltmeister schon für Aufregung gesorgt. 1995 war das Rennen auf der Strecke von Interlagos noch Auftakt zur Meisterschaft. Schumacher startete erstmals mit der 1 für den Weltmeister auf seinem Auto. Neu mussten die Teams Benzinproben hinterlegen, um zu beweisen, dass sie keinen sogenannten Raketentreibstoff verwenden. Bei Sieger Schumacher und dem zweitplatzierten David Coulthard im Williams stimmten diese nicht mit dem vorgegebenen Produkt überein, weshalb beide disqualifiziert wurden und Gerhard Berger im Ferrari zum Sieger erklärt wurde.
Nach einem Protest der beiden Rennställe bekamen Schumacher und Coulthard ihre Plätze auf dem Podest zurück – 14 Tage nach dem Rennen. Die Teams dagegen erhielten keine Punkte, was auf grosses Unverständnis der Gegner stiess.
Brawn, der all die Kontroversen um den Ausnahmefahrer hautnah miterlebte, wollte aber auch festgehalten haben, «dass man diese Aktionen in Relation zu allem setzen muss, was er erreicht hat». Sprich: 91 Siege, 7 Titel. Brawn sagte über Schumacher auch noch: «Er war ein sehr talentierter Fahrer. Ich glaube, was ihn von anderen sehr talentierten Fahrern abgehoben hat, war seine Intelligenz und seine Hingabe zum Sport.»
Schumacher schrieb Geschichte. In Brasilien könnte Landsmann Rosberg ein kleines Kapitel dazu beitragen.
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