Schulden akzeptieren und abbauen
Am Ende der Rezession steht die Phase des Deleveraging, der Entschuldung. Dabei muss der Staat die Ordnung aufrecht erhalten und die neuen geopolitischen Realitäten anerkennen.
Krieg als Keynesianisches Ankurbelungsprogramm können wir uns im 21. Jahrhundert nicht mehr leisten. Ein Dritter Weltkrieg wäre möglicherweise das Ende der Menschheit. Wir haben gar keine andere Wahl als die Situation zu akzeptieren und friedliche Lösungen daraus zu finden.
Kurzfristig sieht die Lage schlecht aus. Die Konjunkturpropheten reduzieren ihre Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft fast täglich, der IWF hat sie gerade letzte Woche von 1,9 auf 1,1 Prozent gesenkt. Wir befinden uns derzeit in einer Entschuldungsphase, oder wie man es auch nennt: In einer Phase des Deleveraging. Das ist wie beim Zahnarzt, äusserst unangenehm.
Wie sind wir in diese Situation geraten? Jahrelang waren die Zinsen sehr tief. Mit dem billigen Geld ist das Risikobewusstsein verloren gegangen und die Ansprüche in den Himmel gewachsen. Nicht nur Investmentbanker und Hedge-Fund-Manager wurden gierig. Auch Otto Normalverbraucher begann, zweistellige Renditen als normal zu betrachten. Banken boten deshalb so genannte «strukturierte Produkte» an, hochkomplexe Wertpapiere. Sie versprachen auch dem Kleinanleger nicht nur zweistellige Renditen, sondern auch Sicherheit. Eine Illusion, wie sich jetzt zeigt.
Deleveraging ist das negative Spiegelbild eines Booms: Vermögenswerte, seien es Häuser, Wertpapiere oder Kunstgegenstände, verlieren an Wert und müssen unter dem Einstandspreis verkauft werden. Wehe dem, der mit Kredit gekauft hat. Er muss mit den gefürchteten «Margin Calls» rechnen, dem Telefon des Bankers, der Nachzahlungen fordert, weil die Kreditdecke eingebrochen ist. Das wiederum führt zu neuen Zwangsverkäufen. Chaos ist deshalb das Merkmal des Deleveraging-Phase: Dinge werden verkauft, weil sie verkauft werden müssen. Preise und Finanzmärkte unterliegen grossen Schwankungen, die rational nicht zu begründen sind.
In der chaotischen Deleveraging-Phase muss der Staat die Ordnung aufrecht erhalten. Anders als in den Dreissigerjahren hat sich diese Einsicht durchgesetzt. Weltweit werden deshalb Konjunkturpakete geschnürt. Selbst China will seiner Wirtschaft mit 700 Milliarden Dollar unter die Arme greifen. Entscheidend ist dabei, dass diese Programme international koordiniert werden. Bisher ist das erstaunlicher- und erfreulicherweise der Fall. Nach dem Lehman-Kollaps hat die EU ein gemeinsames Vorgehen bei den Banken beschlossen. Am 15. November treffen sich die Vertreter der G20 in Washington, um ihr Vorgehen abzusprechen.
- Die Finanzspritzen der Notenbanken zeigen Wirkung, das blockierte Bankensystem beginnt wieder zu funktionieren.
- Die Regierungen schnüren Konjunkturpakete und stimmen sich international ab.
- Die Rohstoffpreise sind wieder auf normale Niveaus zurückgekehrt. Das hat eine ähnliche Wirkung wie ein Ankurbelungsprogramm. In den USA beispielsweise haben die Konsumenten dank einem Ölpreis von 60 Dollar pro Fass nun gegen 300 Milliarden Dollar mehr zur Verfügung.
- Mit der Wahl von Barack Obama zum 44. US-Präsidenten wird die nach wie vor wichtigste Volkswirtschaft ihr «soft power», ihre kulturelle Akzeptanz, wieder gewinnen.
Auch wenn die Rezession einmal wirtschaftlich ausgestanden ist, sind die politischen Probleme noch nicht gelöst. Zur Akzeptanz gehört auch die Anerkennung der neuen geopolitischen Realitäten. Länder wie China, Indien oder Brasilien sind in den globalen Institutionen wie UN oder IWF/Weltbank bis heute grotesk untervertreten. Die Weltwirtschaft kann ihr Gleichgewicht erst dann finden, wenn auch die politischen Kräfte angemessen ausbalanciert sind.
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