Schrecklicher Fund schockiert das Königreich
Die Entdeckung von 39 Toten bei London hat sogar die Brexit-Debatte überschattet. Die Regierung will nun die Häfen stärker überwachen.
Es war gegen 1.40 Uhr in der Nacht zum Mittwoch, als die Polizei von Essex einen grausamen Fund machte. Im Container eines Lastwagens entdeckten die Beamten 39 Leichen. Der LKW war in einem Industriegebiet in Grays abgestellt worden, gut 40 Kilometer östlich von London.
Am Mittwochmorgen teilten die Behörden mit, dass der mutmassliche Fahrer des Lastwagens, ein 25-jähriger Mann aus Nordirland, wegen Mordverdachts festgenommen worden sei. Die Toten seien allesamt Erwachsene, bis auf einen Jugendlichen. Ihre Nationalität und Herkunft waren zunächst unklar. Die Polizei erhofft sich nach der Obduktion der Leichen nähere Hinweise darauf, ob die Menschen womöglich von Schleppern nach Grossbritannien geschleust wurden.
Nach ersten Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden kam der Container wohl aus Bulgarien. Bereits am Samstag hatte der Lastwagen die Grenze nach Grossbritannien passiert. Der Container wurde in der walisischen Hafenstadt Holyhead registriert; dort legen vor allem Fähren aus Irland an.
Auffallend ungewöhnlicher Weg
Den Ermittlern zufolge wäre dies allerdings eine ungewöhnliche Route, falls das Fahrzeug tatsächlich aus Bulgarien stammen sollte. Ein Polizeisprecher mutmasste, dass der LKW-Fahrer womöglich diese Strecke gewählt habe, weil es in den Hafenstädten Calais und Dover strengere Kontrollen gebe. Die Vize-Polizeichefin von Essex, Pippa Mills, sagte, ein entscheidender Punkt in den Ermittlungen sei die Frage, wie der Lastwagen nach Irland gekommen sei. Möglich wären Seewege über Frankreich, Belgien, Spanien oder die Niederlande.
Am Fundort der Leichen im Waterglade Industrial Park nahe der Themse untersuchten Spurensicherer in weissen Schutzanzügen den Container und das Fahrerhaus des LKW. «Wir sind dabei, die Opfer zu identifizieren, doch ich rechne damit, dass dies ein langwieriger Prozess sein könnte», sagte Hauptkommissar Andrew Mariner von der Polizei in Essex. Er sprach von einem «tragischen Vorfall» und erklärte, dass man alles dafür zu tun werde, um die Umstände des Todes von 39 Menschen aufzuklären.
Erinnerungen an frühere Tragödien
In London wurde die Brexit-Debatte im Unterhaus von der Tragödie überschattet. Für ein paar Minuten debattierten die Abgeordneten einmal nicht über den EU-Austritt ihres Landes. Der Schock über den Leichenfund sass tief. Premierminister Boris Johnson zeigte sich «entsetzt über den tragischen Vorfall in Essex». Er versprach, eng mit der dortigen Polizei zusammenzuarbeiten, um genau herauszufinden, was passiert sei. Die britische Innenministerin Priti Patel erklärte, dass ihre Beamten mit Hochdruck an der Rekonstruktion des Tathergangs arbeiteten. Auch die National Crime Agency (NCA) wurde eingeschaltet; die Strafverfolgungsbehörde ist im Vereinigten Königreich für den Kampf gegen das organisierte Verbrechen zuständig.
Die Umstände des Leichenfundes deuten jedenfalls darauf hin, dass es sich bei den 39 Toten um ins Land geschleuste Menschen handeln könnte. In Grossbritannien wurden umgehend Erinnerungen an eine ähnliche Tragödie wach, die sich vor 19 Jahren in der englischen Hafenstadt Dover zugetragen hatte. Damals wurden die Leichen von 58 chinesischen Migranten im Frachtraum eines niederländischen Lastwagens entdeckt. Zwei Menschen überlebten damals. Vergleichbare Fälle mit geringerer Opferzahl hat es seitdem immer wieder gegeben.
Tausende von Menschen illegal ins Land geschleust
Für weltweites Aufsehen sorgte zuletzt ein Leichenfund im Sommer 2015 in Österreich. 71 tote Flüchtlinge, darunter vier Kinder, wurden in einem Kühllaster, etwa 50 Kilometer südlich von Wien, auf einer Autobahn entdeckt. Die Obduktion ergab damals, dass die Menschen auf dem Weg von der ungarisch-serbischen Grenze nach Österreich qualvoll erstickten. Die Menschen kamen aus dem Irak, Iran und Afghanistan. Vier Männer, die als Schlepper vor Gericht standen, wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Nach der Tragödie von Essex will die britische Regierung nun verstärkt die Häfen des Landes überwachen. Jedes Jahr werden Tausende von Menschen illegal nach Grossbritannien geschleust, vor allem in Lastwagen oder mit Schiffen und kleinen Booten. Nach Angaben des Innenministeriums ist die Zahl von Migranten, die versuchen, über den Ärmelkanal nach Grossbritannien zu gelangen, zuletzt stark gestiegen.
Probierten im vergangenen Jahr 539 Menschen die Meeresenge illegal zu überqueren, waren es von November bis Sommer dieses Jahres schon mehr als 1000. Angeblich werden viele Migranten von Schleppern unter Druck gesetzt, die Überfahrt noch vor dem Brexit anzutreten. Nach dem britischen EU-Austritt, so die Ansage, würden die Kontrollen weiter verschärft.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch