Ausbeutung von Pflegerinnen Schlecht behandelt, schlecht bezahlt und rund um die Uhr im Einsatz
Immer mehr alte Menschen werden zu Hause gepflegt. Allzu oft arbeiten dabei die Pflegerinnen aus Osteuropa unter prekären Bedingungen.

«24-Stunden-Pflege aus Polen», «polnischer Engel», «bezahlbar und liebevoll». Es gibt immer mehr dieser Anzeigen, in denen Vermittlungsagenturen die Dienste von sogenannten «Care-Migrantinnen» für die private Pflege anbieten.
Das Geschäft boomt. Mittlerweile arbeiten Tausende Frauen aus Polen, Ungarn, der Slowakei und Rumänien in Schweizer Haushalten, wo sie Seniorinnen und Senioren betreuen, und das meist rund um die Uhr. Die genaue Zahl der «Care Givers » ist unbekannt, da viele nicht offiziell gemeldet sind und alle 90 Tage ausgetauscht werden.
Immer weniger Senioren wollen ins Pflegeheim. Dazu beigetragen hat Covid-19. Ein Grossteil der Schweizer Corona-Toten war in Alters-und Pflegheimen zu beklagen, die dann auch noch monatelang abgeriegelt wurden. Die Isolation setzte vielen zusätzlich zu. Als Folge der Misere bleiben nun viele zu Hause, so lange es geht. In den Heimen bleiben viele Zimmer leer.
Skandalöse Arbeitsbedingungen
Nun hat aber auch die zusehends beliebte Pflege zu Hause ihre Schattenseiten, vor allem dann, wenn eine Dauerpflege rund um die Uhr nötig wird. Denn die Arbeitsbedingungen der Pflegerinnen sind oft skandalös.
Darauf verwies am Dienstagabend in Basel eine öffentliche Podiumsdiskussion im Kaisersaal des Theaters Fauteuil unter dem Motto «Menschenhandel und Care-Arbeit».
Die Veranstaltung fand im Rahmen der Aktionswoche «Schweiz gegen den Menschenhandel» statt, die jeweils im Oktober schweizweit vom Bundesamt für Polizei sowie von diversen Fachstellen und Gewerkschaften durchgeführt wird. In Basel wirkte das Sicherheitsdepartement (SID) als Veranstalter.
Es gehe darum, involvierte Stellen und die Bevölkerung für moderne Sklaverei zu sensibilisieren, sagt das SID. Dessen Vorsteherin, Regierungsrätin Stephanie Eymann, erklärte, Menschenhandel sei schwer erkennbar. «Es braucht dafür vernetztes Denken, die Schärfung der Wahrnehmung und das Zusammenspiel der Akteure. Opfer kommen nicht von sich aus zu den Behörden.»
Leben im Rhythmus der anderen
Unter prekären Arbeitsverhältnissen litt auch Bożena Domańska. Die gebürtige Polin arbeitete 25 Jahre lang in Deutschland und der Schweiz in der privaten Altenpflege, und dies meist in 24-Stunden-Einsätzen. Dann prozessierte sie vor acht Jahren gegen ihren Arbeitgeber um ihren Lohn – und gewann.
Heute ist sie bei der Gewerkschaft VPOD in einem Netzwerk für «Care-Arbeiterinnen» engagiert und arbeitet nur noch Teilzeit in der Pflege. Sie hat eine eigene Wohnung. Das war nicht immer so. Wie die meisten ihrer Kolleginnen lebte sie bei ihren Patientinnen und Patienten. «Es ist ein Leben im Rhythmus der anderen. Man ist immer abrufbereit, hat wenig Schlaf, wenig Kontakte, ist ans Haus gebunden und ohne Freizeit, Ferien und Privatleben», so Domańska. «Unsere Arbeit ist kaum geregelt. Wir werden schlecht behandelt und schlecht bezahlt.»
So erhielten die Frauen höchstens 3000 Franken pro Monat. Die Vermittlungsdienste kassierten aber zwischen 6000 und 12’000 Franken, sagt Bożena Domańska. Dies sei Ausbeutung. Häufig denken Arbeitgeber, wenn sie eine 24-Stunden-Betreuung engagieren, würde die Pflegerin dann auch tatsächlich 24 Stunden arbeiten. Domańskas Forderung ist klar: «Wir verlangen für unsere Arbeit Respekt, anständige Bezahlung und Regelungen für Ruhe- und Freizeit.» Die Branche müsse reguliert werden.
Gesetzeslücken
Handlungsbedarf sieht auch die Berner Staatsanwältin Annatina Schultz. Es gebe einen blinden Fleck beim Gesetzgeber. Das geltende Gesetz sei zu locker, die Begriffe seien zu wenig definiert. Dies erschwere die Verfolgung von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung. Dabei seien die Dinge klar: «Es geht um Zwang, keine Ruhezeit, lange Arbeitstage, keine Ferien, oft schlechte Unterkunft und erniedrigende Behandlung.»

An der lebhaften Podiumsdiskussion betonte Lelia Hunziker von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration in Zürich, dass man es auch bei den «Care-Migrantinnen» mit Menschenhandel zu tun habe. So würden etwa Vermittlungsdienste Notlagen der Frauen ausnutzen. Alle waren sich an diesem Abend einig, dass es die prekären Zustände bei der privaten «Care-Arbeit» nicht mehr geben dürfe. Sie seien der reichen Schweiz unwürdig.
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