SBB führen Last-Minute-Ticket ein
Bahnreisende in Fernzügen können künftig kurz vor Abfahrt auf dem Perron noch ein Billett kaufen – allerdings nur für einen Aufpreis. Führt das nun zum Chaos vor dem Einsteigen?
Die harte Linie gegenüber Bahnreisenden ohne gültiges Billett hatte den SBB in den letzten Monaten und Jahren einiges an Kritik eingetragen. Das Unternehmen hatte darauf bereits im Mai mit einem Bündel an Sofortmassnahmen reagiert. «Diese Massnahmen zeigen positive Wirkung. So ist die Zahl jener Kunden, die aufgrund teilgültiger Billette einen erhöhten Zuschlag bezahlen mussten, spürbar zurückgegangen», schreiben nun die SBB.
Jetzt geht das Bahnunternehmen noch einen Schritt weiter. Ab dem 1. Juli sollen Kunden, welche eine Reise im Fernzug antreten, noch auf dem Perron ein Ticket lösen können. Das allerdings für einen Aufpreis von zehn Franken und «wenn sie kurz vor Abfahrt auf dem Perron aktiv auf das Bahnpersonal zugehen». Die SBB sprechen vom «Perronbillett». Im Regionalverkehr müssen Reisende weiterhin einen gültigen Fahrausweis vorweisen können.
Was passiert bei einem «Ansturm»?
Kurt Schreiber von Pro Bahn begrüsst diese Massnahme als «gute Sache». Wie das im Detail durchgeführt werde, müsse sich erst noch zeigen. In der Tat scheint noch nicht klar, was passiert, wenn 10 oder gar 20 Reisende noch vor Abfahrt des Zuges von der Möglichkeit des Kaufes eines Perronbilletts Gebrauch machen wollen.
Schreiber geht davon aus, dass der Zugbegleiter die Tickets in vielen Fällen doch erst im Zug verkaufen kann, und dann sei man ja praktisch «wieder beim alten System». Laut dem Bahnkenner sind sogenannte Verkaufswagen geprüft worden. Orte in der Zugskomposition also, wo sich die Billettlosen, die sich zuvor zu erkennen gaben, hätten einfinden müssen. Allerdings wurde diese Idee laut Schreiber offenbar verworfen.
Ganz zufrieden ist Schreiber mit dem Perronbillett allerdings noch nicht. Er wünscht, dass die neue Regel auch bei den Regio-Express-Zügen angewandt wird, «denn diese Züge legen ebenfalls Fernverkehrsdistanzen zurück, beispielsweise St. Gallen–Chur oder Romont–Genf». Ebenfalls verlangt wird von Schreiber, dass bei einem Defekt des Billettautomaten der Zuschlag entfallen soll.
Imageschaden ist schon angerichtet
Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV erachtet die Einführung eines Billettverkaufs auf dem Perron als «geeignete Massnahme, um die sogenannte Billettpflicht durchzusetzen». Bedenklich sei allerdings, dass die SBB nicht früher auf die Warnungen des betroffenen Personals gehört hätten. Der Imageschaden wäre den SBB so erspart geblieben, schreibt der SEV.
Zufrieden, aber noch nicht restlos glücklich ist man beim Konsumentenforum. «Die SBB scheinen sich nun langsam den Konsumentenwünschen anzunehmen, zehn Franken Gebühr für ein Perronbillet sind aber oberstes Limit», sagt Geschäftsführer Michel Rudin. Und: Im Regionalverkehr sei der Erwerb eines Tickets auf dem Perron weiterhin nicht möglich. «Eine Lösung beim Regionalverkehr findet das Konsumentenforum erstrebenswert», so Rudin.
Für Schreiber ist mit dem Last-Minute-Ticket die «Wunschliste» aus Sicht der Kunden kleiner geworden, aber noch nicht ganz abgetragen: Weiter zum Beispiel verlangt er, dass zu Hause am PC ausgedruckte Rückfahrbillette auch an einem andern Tag als am angegebenen gültig sein sollen. Denn bei den am Automaten oder Schalter gekauften Fahrkarten könne das Rückfahrdatum innerhalb der Gültigkeitsfrist von zehn Tagen frei gewählt werden. «Diese Kulanzregeln sind aber überall – also auch bei unbegleiteten Regional- und S-Bahn-Zügen – anzuwenden.»
Die SBB reagieren mit den Massnahmen seit Mai auf die Unzufriedenheit zahlreicher Kunden seit der Einführung der Billettpflicht, aufgrund welcher seit Ende 2011 im Zug nachträglich keine Billette mehr gekauft werden können. Die Regelung führte dazu, dass manch einem Reisenden eine Busse aufgebrummt wurde, weil er durch ein Missgeschick ohne Billett unterwegs war – obwohl er zahlen wollte. Die Beschwerden über solche Fälle häuften sich folglich.
Meyer übt Selbstkritik
Inzwischen wurden mehrere Änderungen im Umgang mit Bahnreisenden mit einem ungültigen, falschen oder sonst nicht regelkonformen Fahrausweis umgesetzt. Unter anderem erhält der SBB-Kunde keine Busse mehr, wenn er zwar ein Mobile-Ticket gelöst hat, es wegen eines leeren Akkus jedoch nicht zeigen kann.
SBB-Chef Andreas Meyer gibt sich kulant, übt aber gleichzeitig auch Selbstkritik: «Die Kundinnen und Kunden erwarten von uns ein einfaches und verständliches System, das kalkulierbar ist und keine Überraschungen birgt. Diesen berechtigten Anspruch haben wir in der Vergangenheit nicht immer erfüllt», liess er sich im Communiqué zitieren.
SDA/cpm
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch