Nach gewonnener AbstimmungBeat Leuthardt greift SP-Regierungsrat Beat Jans frontal an
Mit 53 Prozent stimmt die Basler Stimmbevölkerung der Initiative «Ja zum echten Wohnschutz» zu. Der grösste Sieger an diesem Sonntag ist dennoch unzufrieden.

Basel-Stadt will einen Wohnschutz, wie ihn sich der Mieterverband vorstellt: Strikt, mit wenig Spielraum für die Vermieterinnen und kaum steigenden Mieten für langjährige Bewohner. Die Bevölkerung hat der Initiative «Ja zum echten Wohnschutz» an diesem Sonntag mit 53,1 Prozent aller Stimmen zugestimmt. Den Ausschlag hat die Stadt gegeben. In Riehen und Bettingen wäre die Initiative gescheitert. Die Stimmbeteiligung liegt bei 68 Prozent.
Es ist ein grosser Sieg für die SP und die Grünen. Vor allem aber ist es ein grosser Sieg für einen einzelnen Menschen: Beat Leuthardt. Nervös sass der Basta-Grossrat und Co-Geschäftsleiter des Basler Mieterverbands um 12 Uhr im Grossratssaal, Minuten vor der Verkündigung der Abstimmungsergebnisse.
Eine Stunde später, als sich die Vertreterinnen von SP und Grünen strahlend aus dem Rathaus verabschieden, wirkt Leuthardt, als würde er noch immer mitten im Abstimmungskampf stehen. «Moment noch», ruft er, als diese Zeitung ihn um ein Gespräch bitten will, und versucht, die Aufmerksamkeit eines Kameramanns auf seine Renditesanierung-Banderole à sieben Meter zu lenken, die er vor dem Eingang zum Rathaus ausgelegt hat. Darauf sind alle Überbauungen, deren Mietparteien «Opfer von Renditesanierungen geworden sind», gelistet.
Seit Jahren tritt Leuthardt auf den Plan, wenn alle oder sehr viele Mietparteien in einer Liegenschaft gekündigt werden. Er beruft Versammlungen ein, zieht Anwälte hinzu und lenkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Tragödie, wenn ältere Menschen nach Jahrzehnten aus ihrer Wohnung geworfen werden.
Die Gegnerinnen der Initiative halten ihm das vor. «Es ist schade, dass man einen Abstimmungskampf mit Emotionen gewinnen kann», sagt Neo-Nationalrätin Patricia von Falkenstein (LDP).

Die Präsidentin des Basler Hauseigentümerverbands ist enttäuscht. Die negativen Konsequenzen der Initiative – wie zum Beispiel ein Rückgang der Sanierungen und ein massiver Anstieg der Mietzinse für Neumieterinnen – seien in der Medienberichterstattung zu wenig sichtbar geworden. «Leuthardt sagt etwas, und alle springen darauf an.» Auch die Regierung habe sich zu wenig engagiert, kritisiert sie. Mit der Initiative werde die Wohnungsknappheit in Basel-Stadt weiter verschärft. Letztlich würden darunter die Mieterinnen und Mieter leiden – «also genau jene, die Leuthardt schützen will».
Davon will der Angesprochene nichts hören. Er ist sich sicher, dass mit der Initiative den Mietparteien geholfen und «die Wohnbevölkerung jetzt hoffentlich endlich in Ruhe gelassen wird».
Er selbst indes ruht nie. Leuthardt geht an diesem Sonntag nicht nach Hause, stösst mit seiner Partnerin auf den Abstimmungserfolg an und legt die Füsse hoch. Stattdessen tut er etwas, womit niemand gerechnet hätte: Er startet einen Angriff auf SP-Regierungsrat Beat Jans und will ihm das Wohnschutz-Dossier entziehen. «Ich persönlich habe kein Vertrauen mehr in die Struktur des Präsidialdepartements und bin der Meinung, dass das Dossier in ein anderes Departement wandern muss. Prädestiniert dafür wäre das Finanzdepartement», sagt er. Die Leute im Präsidialdepartement, welche die neue Verordnung aufgrund der angenommenen Initiative ausarbeiten müssten, so Leuthardt, würden zu sehr aus der Optik der Investoren denken. Dies sei seine Meinung als Einzelperson, nicht die des Initiativkomitees, betont er.

Jans zeigt sich überrascht. «Ich weise das Misstrauensvotum an meine Angestellten in aller Klarheit zurück», sagt er. Er könne diesen Ärger kurz nach dem Sieg an der Urne nicht nachvollziehen. Man sei fünfmal mit dem Mieterverband zusammengesessen, als man diese Verordnung ausgearbeitet habe, und werde auch künftig wieder mit ihm zusammensitzen. Das Präsidialdepartement nehme den heutigen Volksentscheid ernst und werde im kommenden Halbjahr mit aller Sorgfalt eine neue Verordnung erarbeiten.
Ob in der Zwischenzeit das revidierte Wohnraumfördergesetz in Kraft tritt, muss die Regierung noch beraten. «Die alte Verordnung wurde im Übrigen auch von der gesamten Regierung beschlossen.» Eine Verschiebung des Dossiers würde also nicht viel ändern, so Jans.

Auch die SP Basel-Stadt ist ob Leuthardts Aussagen überrascht. Als wählerstärkste Partei, die in diesem Abstimmungskampf an der Seite des Mieterverbands gekämpft hat, hätte sie nicht damit gerechnet. «Dieser Angriff aufs Präsidialdepartement ist nicht mit uns abgesprochen», sagt Co-Präsidentin Jessica Brandenburger. «Ich halte das für keine sinnvolle Idee», kommentiert sie Leuthardts Vorschlag. «Es ist nicht an den Parteien, zu beurteilen, welche Verwaltungsmitarbeiter was umsetzen sollen.» Überdies sei das Präsidialdepartement «mehr als fähig, diese Initiative umzusetzen».
Das bürgerliche Gegenkomitee indes strebt bereits eine mögliche Abschwächung der Initiative an. Man werde versuchen, «die extremsten Forderungen so umzusetzen, dass der eigentlich gut funktionierende Wohnungsmarkt in der Stadt Basel nicht nachhaltig beschädigt wird.»
Darum geht es bei der Wohnschutzinitiative
Die Vorlage «Ja zum echten Wohnschutz» ist eine Art Durchsetzungsinitiative. Linke Parteien und der Basler Mieterverband versuchen, ihre ursprünglichen Ideen, mit denen sie im Grossen Rat gescheitert sind, via Urne doch noch ins Gesetz zu schreiben.
Dies, obwohl am 1. Januar 2022 ein neues Gesetz in Kraft tritt, das bereits Verschärfungen zur jetzigen Situation beinhaltet. (Worin sich das neue Gesetz und die Initiative genau unterscheiden, können Sie hier nachlesen.) Den Initianten geht das Gesetz zu wenig weit. Sie wollen langjährige Mieter noch besser vor der «Vertreibung» durch Massenkündigungen und vor der sogenannten «Vergraulung» durch hohe Mietzinsaufschläge nach Sanierungen schützen.
Das Ganze funktioniert so: Wenn ein Vermieter sanieren will, soll er neuerdings bereits im Stadium der Baubewilligung festlegen, um wie viel er anschliessend die Miete erhöhen will. Wenn der Aufschlag den folgenden Betrag
80 Franken im Monat bei einer 2-Zimmer-Wohnung
120 Franken im Monat bei einer 3-Zimmer-Wohnung
160 Franken im Monat bei einer 4-Zimmer-Wohnung
übersteigt, muss er mit seinem Vorhaben vor die sogenannte Wohnschutzkommission. Dieses Gremium, bestehend aus drei Personen, entscheidet dann, ob der Aufschlag gerechtfertigt ist oder nicht.
Die neuen Auflagen würden es für Vermieterinnen ungemein kompliziert machen, Sanierungen anzugehen, sagen bürgerliche Parteien und der Hauseigentümerverband. Während SP, Grüne und Basta die Initiative unterstützen, sind Grünliberale, LDP, FDP, Die Mitte und SVP dagegen. Die Vermieterschaft werde von den restriktiven Vorgaben derart abgeschreckt, dass sie Sanierungen einfach sein lassen würde und die Häuser – ähnlich wie in Berlin – zu verlottern drohten, sagen die Gegner. Auch befürchten sie, dass mit der Initiative Investoren vertrieben würden. Investoren haben gegenüber dieser Zeitung tatsächlich gesagt, dass sie bei einer Annahme der Initiative zurückhaltender werden könnten.
Die politische Vorgeschichte
Im Juni 2018 nahm die Basler Stimmbevölkerung die Initiative «Wohnen ohne Angst vor Vertreibung. Ja zu mehr Rücksicht auf ältere Mietparteien (Wohnschutzinitiative)» mit 61 Prozent der Stimmen an. Die Regierung wurde beauftragt, eine Vorlage für einen besseren Wohnschutz in Basel-Stadt auszuarbeiten. Das hat sie getan. Im Jahr 2020 präsentierte sie das revidierte Wohnraumfördergesetz dem Grossen Rat. Die Linken wollten es verschärfen, unterlagen aber in der Diskussion. Daher startete der Mieterverband sowohl ein Referendum wie auch eine zweite Initiative: «Ja zum echten Wohnschutz II». Bei der Referendums-Abstimmung vor einem Jahr wurde das revidierte Gesetz mit einer hauchdünnen Mehrheit angenommen.
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