Richter retten Cheddite-Relikte
Gegen den Bau des neuen Quartiers Weidmatt wurde eine Beschwerde des Baselbieter Heimatschutzes gutgeheissen.

Stilisierte Handgranaten verzieren die hölzerne Tür. Auf Kniehöhe gelegen und so klein wie eine Handfläche, sind sie leicht zu übersehen. Doch ihre symbolische Bedeutung ist gross: Sie zeugen von einer Zeit, als hier, am Waldrand zwischen den Gemeinden Liestal und Lausen, die Cheddite zahlreiche Arbeitnehmer beschäftigte.
Das Unternehmen stellte ab 1912 in Liestal Sprengstoff für den Tunnelbau und militärische Zwecke her und nahm dabei eine marktführende Position ein. Vor knapp 20 Jahren gab die Cheddite den Betrieb in Liestal auf. Geblieben ist ein leer stehendes oder nur zwischengenutztes Gebäudeensemble. Das im Heimatstil erbaute Verwaltungsgebäude mit den kleinen Handgranaten an der Eingangstür stellt einen auffälligen Teil davon dar.
Geht es nach der Stadt Liestal, der Kantonsregierung, der Landeigentümerin Cheddite, den Investoren und den involvierten Bauunternehmen, müssen die historischen Bauten – mit Ausnahme zweier Nebengebäude – einer Quartierüberbauung namens Weidmatt weichen. Zehn Blöcke mit mehr als 200 Wohnungen sind geplant. Ennet der Gemeindegrenze, auf Lausner Boden, sind die Rohbauten bereits erstellt.
Auf der Liestaler Seite jedoch geht vorläufig gar nichts mehr. Das Kantonsgericht hat gestern den Regierungsratsbeschluss, der den Quartierplan genehmigt, aufgehoben und damit eine Beschwerde des Baselbieter Heimatschutzes gutgeheissen. Das Urteil der insgesamt fünf Richter erfolgte einstimmig. Nun ist wieder die Stadt Liestal gefordert, die das Projekt neu aufgleisen muss.
Entscheidende Fragen offen
Das Gericht hat so entschieden, weil die Frage nach der Erhaltungswürdigkeit der Cheddite-Bauten bisher ungeklärt ist. In den Augen der Richter ist das ein Versäumnis, das nachgeholt werden muss. Oder mit den Worten der Gerichtspräsidentin Franziska Preiswerk: «Eine Auseinandersetzung mit dem Schutzwert muss stattfinden.» Dies sei nötig, um eine Abwägung zwischen den Interessen aus Sicht des Denkmalschutzes einerseits und dem Bedarf einer neuen Überbauung andererseits vornehmen zu können.
Preiswerk betont, dass eine fachliche Empfehlung zur Unterschutzstellung allein noch nicht bedeutet, dass die Gebäude am Ende stehen bleiben müssen. Wenn das Interesse am neuen Quartier überwiegt, bleibt ein Abriss immer noch möglich.
Fünffaches Stirnrunzeln
In der Vergangenheit sah sich die kantonale Denkmalpflege oft dem Vorwurf ausgesetzt, mit ihren Schutzforderungen für historische Gebäude würde sie Entwicklung verhindern. Im Falle der Cheddite-Überbauung ist die Situation speziell: Gerade weil sich die Denkmalpflege bisher noch nie verbindlich darüber ausgesprochen hat, ob die Relikte der Sprengstofffabrik schützenswert sind oder nicht, kommt es nun auf der Baustelle zu Verzögerungen.
Das Schweigen der Denkmalpflege sorgt bei den fünf Richtern für Stirnrunzeln. Die Verfechter des Quartierplans wiederum interpretieren die fehlende Auseinandersetzung mit der Bausubstanz so, dass die Gebäude schlicht nicht schützenswert sind. Ein kultur- und bauhistorisches Inventar der Kunsthistorikerin Doris Huggel deutet allerdings auf das Gegenteil hin: Die Fabrik sei eine seltene Zeugin der ersten Generation solcher Fabriken in der Schweiz und schreibe architektonisch und industriell ein besonderes Kapitel der Liestaler Geschichte im 20. Jahrhundert.
Der Ortsbildpfleger Philippe Allemann stimmte gestern am Augenschein vor Ort zu, dass die Gebäude möglicherweise erhaltungswürdig sind. Auf die Gretchenfrage der Gerichtspräsidentin Preiswerk, warum das nicht genauer untersucht worden sei, sagte er sichtlich verlegen: «Das kann ich nicht beantworten.»
Das in diesem Moment in den Köpfen der Richter entstandene Fragezeichen blieb bis an dem Schluss der Verhandlung bestehen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch