Heisse Debatte um Sissachs ZentrumRekordversammlung versenkt Autofrei-Vorstoss
Die Autos werden nicht aus der Begegnungszone verbannt. Bald wird aber ein Einbahnregime getestet. Bereits zum Start der «Gmäini» gab es eine Überraschung.

Am Anfang stand ein spontaner Einfall, eine unausgegorene Schnapsidee auch: Warum nicht die Sissacher Begegnungszone vom Verkehr befreien? Nicht komplett, sondern nur ein 80 Meter langes Stück und nur samstags und auch nur für ein paar Stunden. Der Mann mit der Idee ist Urs Chrétien, ehemaliger Geschäftsführer von Pro Natura Baselland.
Was sein Vorschlag besonders beim ansässigen Gewerbe an Empörung, Existenzängsten und schliesslich Widerstand auslöste, darüber berichtete auch diese Zeitung. Der Gewerbeverein Sissach übte starke Gegenwehr: Der Lebensnerv Sissachs würde durchtrennt, 130 Arbeitsplätze seien in Gefahr und leer stehende Ladenlokale die Folge, mahnte Vereinspräsidentin Christine Tschan.
Dritte Partei im Bunde ist der Gemeinderat. Der ist zwar dezidiert gegen eine verkehrsfreie Begegnungszone, als rigide und nicht bedarfsgerecht taxierte er den Vorstoss. Aber er anerkennt den Handlungsbedarf: Eine Verkehrsberuhigung sei nötig. Denn eng ist es in der Tat in der Begegnungszone, wenn Menschen flanieren, Velofahrerinnen radeln und Autolenker dazwischen zum Slalom ansetzen. Darum formulierte er einen Gegenvorschlag, der eine Beruhigung mittels eines Einbahnverkehrsregimes vorsieht.
Gemeinderat krebst zurück
Das war die Ausgangslage für die Gemeindeversammlung am Dienstagabend. Mit 453 Stimmberechtigten war sie eine der bestbesuchten in der Geschichte Sissachs – wenn nicht die bestbesuchte überhaupt. Und sie alle kamen nicht wegen des Rechnungsabschlusses 2021 (1 Million Franken Gewinn), des Kredits zur Sanierung von Haupt- und Bahnhofstrasse (haarscharf genehmigt) oder der Teilrevision des Polizeireglements (deutlich angenommen), sondern wegen Chrétiens Antrag. Ausser vielleicht jene sieben, die sich bei der Abstimmung enthielten.
Und sie wurden nicht enttäuscht, zumindest aus einer Perspektive der Unterhaltung. Kaum waren nämlich Gemeindepräsident Peter Busers Begrüssungsworte verklungen, da sorgte er auch schon das erste Mal für Verblüffung: Der Gemeinderat ziehe seinen Gegenvorschlag zurück. Als es um die Gründe ging, druckste Buser herum, doch rechtliche Bedenken dürften den Ausschlag gegeben haben. Der Gemeinderat hatte bei einer Annahme beider Anträge einen Stichentscheid fällen lassen wollen und damit ausgeschlossen, dass beide Massnahmen umgesetzt werden. Chrétien kritisierte, das sei rechtlich und demokratisch bedenklich, weil ja beides parallel möglich wäre.
Initiant verzichtet auf Beschwerde
Apropos Recht: Eigentlich hätte Chrétiens bereits im Dezember eingereichter Antrag an der Gemeindeversammlung vom März aufs Tapet gehört, so sieht es das Gemeindegesetz vor. Einige bezeichneten das Vorgehen noch während der Debatte als «beschwerdefähig». Für Urs Chrétien ist das nicht von Bedeutung: «Dafür war das Resultat zu eindeutig; Sissach hat sich entschieden.» Darum wird er auch von einer Beschwerde absehen, wie er gegenüber dieser Zeitung bestätigt.
Denn sein Antrag wurde abgelehnt, und zwar ziemlich deutlich: 150 stimmten für eine verkehrsbefreite Begegnungszone am Samstag, 282 dagegen. «Ich hatte mir wirklich Hoffnungen gemacht», bilanziert Chrétien ernüchtert. «Ich glaube, die Bevölkerung von Sissach hat eine riesige Chance verpasst. Und das Gewerbe auch.»
Damit ist zwar ein Fahrverbot vom Tisch. Doch der Gemeinderat verfolgt seinen Gegenvorschlag weiter, den Verkehr in der Begegnungszone auf eine Fahrtrichtung zu beschränken. «Wir werden in diesem Sommer einen Versuch durchführen, im Herbst werden wir die Erfahrungen auswerten, danach schauen wir weiter», sicherte Gemeindepräsident Buser der Versammlung zu. Über die richtige Fahrtrichtung sei man sich im Rat allerdings noch nicht einig.
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