Verlust von über 70 ProzentRegensommer lässt Fledermausbabys sterben
Biologe Marcel Hollenstein vom Fledermausschutz der Region Basel hat alleine in Zwingen über 114 tote Jungtiere gezählt. Wie viele insgesamt dem nassen Wetter zum Opfer fielen, weiss niemand. Doch die Bilanz ist traurig.

Die Betroffenheit ist Marcel Hollenstein vom Verein für Fledermausschutz der Region Basel (Verein pro Chiroptera) anzuspüren, wenn er von den Folgen spricht, die der nasskühle Sommer mit den langen Regenperioden für Fledermäuse hat. «Es gab schon oft Ausfälle bei den Jungtieren, wenn das Wetter nicht so gut war», sagt Hollenstein. «Doch dieses Jahr verzeichnen wir bei der von uns betreuten Fledermausart Grosses Mausohr eine besonders hohe Sterblichkeit bei den Fledermausjungen.» Alleine in der sogenannten Wochenstube in einem Mehrfamilienhaus in Zwingen hat Hollenstein 114 tote Fledermausbabys von den Wänden genommen oder vom Boden aufgehoben – die Dunkelziffer aber liegt höher, denn nicht alle toten Jungen oder Aborte sind im Kot unterhalb der Fledermauskolonie auffindbar. Hollenstein geht von einem Ausfall von über 70 Prozent aus.
Dieses Bild zeigt sich in der ganzen Schweiz. Doch wie sehr die Fledermausbestände tatsächlich dezimiert wurden und vor allem wie es auch bei den häufig vorkommenden Zwergfledermausarten aussieht, weiss niemand. Denn bei vielen Arten lassen sich die Bestände nicht so gut durch ein Monitoring überwachen wie beim Grossen Mausohr.
Mütter geben ihre Jungen auf
In normalen Sommern, in denen der Frühling nicht zu kalt, nicht zu nass und die Sonnentage reichlich sind, bringen die rund 300 Weibchen von Zwingen viele ihrer Jungen durch. Dann können die Mütter in der Nacht ausfliegen und jagen. Auf dem Speiseplan von Grossen Mausohren stehen Käfer wie der Echte Laufkäfer oder der Grosslaufkäfer, die sie auch am Boden oder unter Blättern finden.
Doch dieses Jahr war vieles anders. «Wir hatten bereits einen langen Winter, auf den ein kühler Frühling folgte, was die Futtersuche für die Muttertiere erschwerte», sagt Hollenstein. «Deshalb bekamen viele Fledermausweibchen ihre Jungen geschwächt und am Rande der Auszehrung.»
Auch beim Geburtszeitpunkt wirkte sich das Wetter negativ aus: Normalerweise bringen die Fledermausmütter ihre Jungen Ende Mai zur Welt, doch dieses Jahr war es erst am 23. Juni – also rund drei Wochen später als normal. Doch die Mütter gaben ihre Jungen auf, da es oft regnete, auch in der Nacht, der Hauptjagdzeit der Fledermäuse. «Wenn die Mütter in der Nacht nicht jagen können, gelingt es ihnen nicht, die Babys ausreichend mit Milch zu versorgen. Die Folge ist, dass sie sich dann von den Jungtieren abwenden, um sich selber zu schützen.» Die so verlassenen Fledermausbabys haben keine Überlebenschance, da ihnen neben der Nahrung auch die Wärme der Mütter fehlt – in zwei bis drei Tagen sind die Jungtiere tot. Entweder bleiben die verendeten Tiere an ihrer Stelle hängen und werden von Fliegenlarven bis aufs Skelett abgenagt, oder sie fallen zu Boden.

Rückschlag, aber nicht das Ende
Zurzeit sind die Fledermausstationen in der Schweiz voll von Jungtieren, die aufgefunden oder von Spezialisten wie Hollenstein eingesammelt wurden, um sie aufzupäppeln. Auch der Biologe hat mehrere Jungtiere, die er zuerst mit Spezialmilch und dann mit Mehlwürmern füttert, bis sie die ersten Flugversuche unternehmen – bei ihm zu Hause in Röschenz. Tagsüber muss er die Jungtiere alle zwei bis drei Stunden füttern. Von Hand träufelt er ihnen mittels kleiner Spritzen lauwarme Milch ein.
Trotz der hohen Sterblichkeit und «dem Verlust einer ganzen Generation» rechnet Hollenstein zurzeit nicht mit langfristigen Auswirkungen für die Population des Grossen Mausohrs. Die Fledermausweibchen könnten bis zu 25 Jahre alt werden und deshalb jedes Jahr neue Jungen zur Welt bringen, sagt Hollenstein. Und hofft auf eine rasche Erholung des Bestands.
Mischa Hauswirth ist Journalist bei der BaslerZeitung.
Mehr InfosFehler gefunden?Jetzt melden.