Realitäts-Check auf der angeblichen Gefängnisinsel
Die Kubaner sind viel mobiler, als man denkt. Doch durch die fehlende Möglichkeit zur Flucht in die USA wird der Druck gewaltig steigen.

Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass Kubaner nicht frei reisen dürfen. Sie durften und dürfen es schon immer – vor und nach dem Triumph der castristischen Revolution im Jahre 1959. Einige aktuelle Zahlen aus offiziellen kubanischen Quellen, die zutreffend sein dürften, weil sie sich überprüfen lassen: Insgesamt unternahmen in den letzten 57 Jahren 1,75 Millionen Kubaner legal Reisen ins Ausland. 671'000 zwischen Anfang 2013 bis Ende 2016. Davon kehrten rund 10 Prozent nicht mehr auf die letzte Insel des Sozialismus zurück.
Für eine Auslandsreise gab es zwei grosse Hürden. Zum einen musste jeder Kubaner nebst einem Pass eine Ausreisebewilligung, die sogenannte Carta blanca erlangen. Und eine Carta de Invitación vorweisen. Gesamtkosten rund 800 Franken. Und schliesslich musste er bei einem längeren Auslandsaufenthalt jeden Monat eine länderspezifische Summe für die Bewilligung dafür abdrücken. Alle diese Vorschriften sind inzwischen aufgehoben. Für einen Auslandsaufenthalt von bis zu 24 Monaten braucht der Kubaner lediglich seinen Pass, und «buen viaje», gute Reise. Zusätzliche Bewilligungen, die aber durchaus erteilt werden, braucht es lediglich für Gesundheitspersonal, Lehrer, hoch qualifizierte Wissenschaftler oder Militärs.
Exilkubaner kehren zurück
Die zweite Hürde bleibt natürlich bestehen: Wer ausreisen will, muss auch einreisen können; für fast alle Länder der Welt brauchen Kubaner ein Visum, neuerdings auch für die USA, wenn sie legal einreisen wollen. Dafür müssen die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten nachgewiesen werden, ohne Hilfe von aussen ein Ding der Unmöglichkeit, bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von rund 30 Franken.
Gleichzeitig herrscht inzwischen auch ein reger Reiseverkehr von Exilkubanern zurück in ihre Heimat. 418'000 haben alleine im Jahre 2016 die Insel besucht, sie dürfen sich neuerdings bis zu 90 Tage dort aufhalten. Damit machen sie, nach Kanadiern, die zweitgrösste Touristengruppe aus. In erster Linie kamen sie aus den USA, wo rund zwei Millionen Kubaner leben. Die einzige kleine Schikane besteht hier darin, dass alle Exilkubaner – auch wenn sie eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen – nur mit einem kubanischen Pass einreisen dürfen, und der kostet bis zu 400 Franken. Er ist zwar zehn Jahre gültig, muss aber alle zwei Jahre «erneuert» werden, und für den entsprechenden Stempel und Kleber zahlt man bis zu 150 Franken. Auslandsüberweisungen für die Lieben auf der Insel summierten sich im letzten Jahr auf mehr als 4 Milliarden Dollar, die grösste Deviseneinnahmequelle Kubas.
Früher drückte man ein Auge zu
Lediglich 6000 Kubaner wurden im Jahr 2016 wegen eines illegalen Einreiseversuchs aus dem Ausland den kubanischen Behörden überstellt. Diese Zahl dürfte aber in nächster Zeit gewaltig ansteigen, da durch die neuste Entscheidung Obamas einige Zehntausend Kubaner auf dem Landweg in die USA feststecken und an der US-Grenze nicht mehr automatisch willkommen geheissen, sondern wie alle anderen illegalen Immigranten, so man sie erwischt, zurückgewiesen werden. Denn wem der Seeweg in die USA zu gefährlich (oder zu teuer) war, der versuchte sich via Venezuela oder Ecuador über Zentralamerika und Mexiko bis in die USA durchzuschlagen. Alleine in Nicaragua, das als sozialistischer Bruderstaat seine Nordgrenze für kubanische Flüchtlinge mehr oder minder dichtmachte, stecken viele Tausend Kubaner fest. Bislang drückte man sonst überall die Augen zu. Man wusste ja, dass der Flüchtling keinesfalls bleiben, sondern einfach und unbedingt in die USA will.
Dieser Entscheid Obamas, seinem Nachfolger eine Nase zu drehen, hat destabilisierende Auswirkungen auf Kuba. Die Konsequenzen sind nicht abzuschätzen. Denn vor allem die kubanische Jugend sah die Flucht in die USA als einzige echte Alternative zu einer Karriere, die einem das Überleben, aber keinesfalls die Erfüllung vieler Wünsche versprach. In Kuba gibt es bei rund 11 Millionen Einwohnern rund 500'000 Lizenzen für «cuenta propistas» (Selbstständigerwerbende). Diese Selbstständigkeit ist nur etwas für sehr Clevere und Listige. Eine Unzahl von Vorschriften, Regeln, Steuern und absurden Gesetzen machen den Kleinunternehmern das Leben schwer. Durch den Wegfall der Möglichkeit zur Flucht in die USA wird der Druck in Kuba gewaltig ansteigen. Angesichts der anhaltend desolaten wirtschaftlichen Lage, der trüben Zukunftsaussichten wegen des Wegfalls der Bruderhilfe aus dem bankrotten Venezuela und des absehbaren Endes der Herrschaft unter Raúl Castro kommen stürmische Zeiten auf Kuba zu.
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