Ratlosigkeit über die Wahnsinnstat
Die Frau, die am St.-Galler-Ring einen Jungen niederstach, hat wohl schwerwiegende psychische Störungen.
«Du hast es nicht verdient zu sterben» oder «Viel Glück in deinem neuen Leben». Mit solchen Worten auf niedergelegten Karten gedenken Schülerinnen und Schüler, Verwandte und Passanten des am Donnerstag mutmasslich von einer Rentnerin getöteten Buben. Die unfassbare Tat ereignete sich kurz nach Mittag, als der 7-Jährige nach Schulschluss nahe dem Gotthelf-Schulhaus auf dem St.-Galler-Ring nach Hause ging.
Die Trauer und Anteilnahme am Tatort auf dem Trottoir zwischen Häuserzeilen und Bäumen ist gross. Drei Mädchen umarmen sich, eine hat Tränen in den Augen. Eine Frau mittleren Alters kommt vorbei, legt einen kleinen Engel nieder und faltet danach die Hände zum Gebet.
Immer wieder kommen Lehrer mit ihren Schülern vom nahen Schulhaus vorbei und bringen Blumen. Eine Klassenlehrerin spannt zwischen zwei Bäumen eine Schnur. Die Schüler hängen Herzen daran und fixieren ein Blatt mit dem Foto und dem Namen des getöteten Jungen. Teddybären, Rosen, Zeichnungen und Beileidsbekundungen liegen an den Randsteinen und auch eine kleine Flagge mit dem schwarzen Doppeladler auf rotem Grund ist in den Rasen gesteckt.
Cousin unterstützt Eltern
Die Wurzeln des Jungen liegen nämlich im Kosovo. Sein Cousin ist am Freitag um die Mittagszeit vor Ort. Er ist mit dem Auto aus dem Bernbiet angereist. «Wir wissen nicht, was passiert ist, sind ratlos und auch eine Polizistin, mit der wir gesprochen haben, ist sprachlos über diese Tat», sagt er mit trauriger Stimme. Seinen Namen mag er nicht nennen. Nach der Anteilnahme mit weiteren Verwandten macht er sich auf den Weg zu den Eltern des Jungen. «Die Polizei ist jetzt auch dort, um sie über den Stand der Ermittlungen zu informieren.» Auch die Opferbetreuung habe sich der Eltern angenommen.
Die Mutter sei kurz vor der Tat im Spital gewesen, weil sie sich einem Eingriff unterziehen musste, sagt der Cousin. «Der Junge hatte noch etwas Fieber und musste alleine von der Schule nach Hause laufen.» Beerdigt werde der Junge in Lipjan, dem Dorf, wo die Familie herstamme, sobald das Rechtsmedizinische Institut die Leiche freigebe. «Er wird neben seinem Grossvater nach islamischem Ritus beigesetzt.»
Notoperation half nicht mehr
Wie die Staatsanwaltschaft um die Mittagszeit informierte, hat die 75-jährige Schweizerin dem Jungen einen Stich mit einem Messer in den Hals zugefügt. Eine Passantin fand den schwer verletzten Schüler auf dem Trottoir und versuchte ihm mit weiteren Passantinnen und der zufällig mit dem Velo vorbeikommenden Lehrerin zu helfen, bis die Sanität eintraf. Die Reanimationen und eine Notoperation halfen nicht mehr, sodass der Junge im Spital verstarb.
Die mutmassliche Täterin hatte sich laut der Staatsanwaltschaft nach dem Tötungsdelikt in Richtung Schützenmattpark entfernt. Sie habe zudem mehreren Personen und Institutionen kurz nach der Tat per SMS mitgeteilt, dass sie ein Kind niedergestochen habe. Anschliessend stellte sie sich der Staatsanwaltschaft. Diese hat inzwischen eine Sonderkommission eingesetzt.
Laut Staatsanwaltschaft habe die in Basel wohnhafte Frau weder das Kind noch dessen Familie gekannt. «Aufgrund der ersten Erkenntnisse bestehen jedoch Zweifel an der Schuldfähigkeit der Beschuldigten», heisst es weiter. Die Frau werde «psychiatrisch begutachtet».
Simon Thiriet, Leiter der Kommunikation beim Erziehungsdepartement, erklärt wie an der Schule mit dem Tötungsdelikt umgegangen wird. Video: Martin Regenass
«Massive psychische Störung»
Der ehemalige Kriminalkommissär Markus Melzl spricht von einer «verrückten Tat». «Wenn bei einem Raubüberfall eine Person niedergestochen wird, ist es eine Sache. Aber dies ist ein ganz sonderbarer Fall. Ein derartig gelagertes Tötungsdelikt habe ich während meiner ganzen Karriere nie erlebt.» Dass eine alte Frau ein Kind umbringt, das ihr Enkel sein könnte, sei in der Kriminalistik eine ganz seltene Kombination.
«Mit dieser Person stimmt irgendetwas nicht. Die hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eine massive psychische Störung», sagt Melzl. Weshalb sie die Tat begangen habe, sei offen. Melzl: «Vielleicht kann sie das selber nicht einmal beantworten. Möglicherweise hat sie anstatt des Kindes ein Monster gesehen.»
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