Prügel für «unislamisches» Verhalten
Während des Ramadan kommt es in der Türkei vermehrt zu gewalttätigen Übergriffen.

Es soll der Monat des Friedens und der inneren Einkehr sein, doch in der Türkei rutscht konservativ gestrickten Männern mittlerweile auch im Ramadan die Hand aus. «Sie hat mich provoziert», erklärte Ercan Kizilates, dessen Rabiatheit schon seit Tagen die Öffentlichkeit im Land beschäftigt. Der hagere junge Mann mit dem Kinnbart der gläubigen Muslime ohrfeigte vor zehn Tagen eine Studentin in einem Bus in Istanbul, nur weil sie Shorts trug.
Vergangenes Jahr im Ramadan war noch Ufuk Tekel der berühmteste Schläger. Der 28-Jährige streckte mit einer rechten Gerade einen jungen Boutiqueverkäufer im konservativen Istanbuler Stadtteil Fatih nieder. Der Verkäufer hatte sich in einer Arbeitspause vor dem Laden eine Zigarette angezündet. Er blieb neun Tage im Spital.
Prügel für «unislamisches» Benehmen sind offensichtlich ok, stellen türkische Kommentatoren, die nicht dem Regierungslager angehören, empört fest. Denn die Justiz reagiert in solchen Fällen oft nachsichtig. Zweimal wurde Kizilates festgenommen und wieder freigelassen. Bilder einer Sicherheitskamera im Bus gibt es. Sie zeigen, wie Kizilates der jungen Frau beim Aussteigen eine Ohrfeige versetzt und sie im Korridor des Busses grob von sich stösst, als sie sich zu wehren versucht. Der Streit hatte schon vorher begonnen.
Proteste von Frauenrechtlerinnen
Am Donnerstag ordnete ein Richter zum dritten Mal die Verhaftung des Schlägers an. Die Proteste von Frauenrechtlerinnen waren zu vernehmlich geworden. Der Angreifer, so kam mittlerweile auch heraus, ist zuvor wegen einer Steuersache zu fast vier Jahren Haft verurteilt worden, die er noch nicht abgesessen hat.
Im konservativ gewordenen Klima der Türkei von Tayyip Erdogan sind Alkohol und westliche Kleidung in der Öffentlichkeit längst ein Problem. Der heilige Fastenmonat aber liefert rabiaten Männern noch dazu eine Entschuldigung zum Zuschlagen. Die Ersten, die dieses Jahr ihre Tracht Prügel erhielten, sollen Vater und Sohn in einem Hafenrestaurant in Mudanya am Marmarameer bei Bursa gewesen sein. «Ihr könnt hier nicht vor den Augen des Volkes essen», sagte einer der vier Angreifer laut dem Bericht einer linken türkischen Zeitung.
Musik hören kann ebenfalls gefährlich werden. Der Ramadan 2016 in Istanbul bleibt auch wegen des Sturms auf einen Plattenladen im Bohème-Viertel Cihangir in Erinnerung. Ein Mob von 20 Männern griff mit Stöcken und Flaschen die Besucher des Ladens an, der während des Ramadan laute Musik der Band Radiohead spielte und Alkohol ausschenkte. Der Bürgermeister des Stadtteils lud später den Eigentümer des bekannten Plattenladens, einen Südkoreaner, ein und entschuldigte sich für den Vorfall. Lediglich drei der Angreifer wurden von der Polizei kurzzeitig festgehalten.
Ein islamischer Theologie-Professor hatte zuvor in einer Sendung im türkischen Staatsfernsehen erklärt: «Lassen Sie es mich klar sagen: Tiere verrichten kein Gebet, und diejenigen, die kein Gebet verrichten, sind Tiere.» Das wurde dann auch der staatlichen Religionsbehörde Diyanet zu viel. Die Aussage des türkischen Gelehrten sei nicht mit dem Islam vereinbar, stellte sie klar.
«Pride Parade» im Visier
Der Angriff auf die Shorts-tragende Studentin im Bus in Pendik, im asiatischen Teil Istanbuls, zeigt allerdings einen alarmierenden Trend, wie Yalcin Dogan, ein viel gelesener Kolumnist und Veteran des türkischen Journalismus, nun feststellte. Dogan erinnerte an die Schläge, die eine Krankenschwester in Istanbul im September vergangenen Jahres ebenfalls in einem Bus wegen ihrer kurzen Hosen von einem Mann erhielt; auch er wurde zunächst dreimal von der Justiz freigelassen. Oder an die TV-Moderatorin Ipek Atcan, die in der U-Bahn geohrfeigt wurde, weil sie im kurzen Rock auf der Sitzbank sass und die Beine übereinanderschlug.
Der Ramadan endet mit diesem Sonntag. In Istanbul will die Schwulen- und Lesbenbewegung dann ihre «Pride Parade» abhalten. Der Gouverneur von Istanbul hat sie in den vergangenen zwei Jahren schon verboten. Sollte sie dieses Jahr tatsächlich stattfinden, stehen schon die Alperen Ocaklari bereit, eine rechtsgerichtete islamistische Jugendgruppe. «Wenn der Staat ihnen die Erlaubnis gibt, dann geben wir sie nicht», drohte deren Anführer Kürsat Mican der LGTB-Bewegung.
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