Premier Erdogan kann weiter regieren
Das türkische Verfassungsgericht hat ein Verbot der Regierungspartei AKP abgelehnt. Der Machtkampf im Land ist damit aber noch nicht ausgestanden.
Die türkische Regierungspartei AKP wird nicht verboten. Das Verfassungsgericht lehnte heute überraschend den Verbotsantrag des Generalstaatsanwaltes ab. Er hatte der Partei vorgeworfen, die Türkei in einen Gottesstaat verwandeln zu wollen. Es war eine äusserst knappe Entscheidung: Sechs der elf Verfassungsrichter stimmten für das Verbot, damit fehlte den AKP-Gegnern im Gericht genau eine Stimme zur vorgeschriebenen Mehrheit von sieben Stimmen.
EU fordert weitere Reformen
Das Gericht sprach sich jedoch mit 10:1 für eine finanzielle Bestrafung der Regierungspartei aus: Die AKP muss in Zukunft auf die Hälfte der ihr bislang zustehenden staatlichen Subventionen verzichten. Der Vorsitzende Richter Hasim Kilic nannte dies eine «ernsthafte Warnung» an die AKP. Gleichzeitig erklärte Kilic, selbst als einziger der elf Richter gegen jegliche Bestrafung der Partei gestimmt zu haben.
Parlamentspräsident Köksal Toptan begrüsste das Urteil und sagte, damit werde «die türkische Demokratie auf eine neue Ebene gehoben». EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn forderte die Türkei auf, «jetzt mit ganzer Energie die Reformen zur Modernisierung des Landes wieder aufzunehmen». Rehn und andere europäische Politiker hatten in den vergangenen Monaten das Verbotsverfahren mehrmals scharf als undemokratisch kritisiert.
Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya hatte im März das Verbot der AKP beantragt. Der Staatsanwalt hatte der Partei vorgeworfen, in der Türkei die «Konterrevolution» zu betreiben und das Land in einen «von der Scharia regierten Staat» verwandeln zu wollen. Aber nicht nur die Partei wollte der Staatsanwalt verbieten: Premier Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül sowie 69 weiteren AKP-Funktionären sollte auch als Individuen für fünf Jahre jede Betätigung in der Parteipolitik verboten werden. Auch dieses Politikverbot ist nun vom Tisch.
Unmittelbarer Auslöser für den Verbotsantrag war offenbar die Kopftuchreform im Frühjahr: Gemeinsam mit der nationalistischen Oppositionspartei MHP hatte die AKP Verfassungsänderungen verabschiedet, die türkischen Studentinnen das Tragen von Kopftüchern an Hochschulen erlaubt hätte.
Innenpolitische Krise dauert an
Beobachter waren sich einig, dass auch mit dem Urteil die Krise im Lande noch nicht vorüber ist. Der Verbotsprozess ist Teil eines Machtkampfes zwischen dem kemalistischen Lager, das die Türkei über Jahrzehnte beherrscht hat, und der anatolischen Aufsteigerpartei AKP. Der Kampf zieht sich durch alle demokratischen Institutionen. «Wir alle haben erlebt, was für eine Spannung im Land herrscht», sagte Gerichtspräsident Kilic.
Erneut wurde die Forderung nach einer neuen, demokratischeren Verfassung laut, welche solche Verbotsprozesse erschwert. «Politische Parteien sollten an der Wahlurne liquidiert werden», sagte Faruk Bal, Vizechef der oppositionellen nationalistischen MHP, «nicht im Gericht.» Der Chef der kemalisitischen Oppositionspartei CHP hingegen, Deniz Baykal kündigte an, seine Fundamentalopposition zur Regierung fortzusetzen: «Das Urteil des Gerichtes hat die Krise nicht beendet.»
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