Chaos auf Perus StrassenPräsidentin droht, doch die Menschen haben nichts zu verlieren
Seit Wochen toben im ganzen Land wütende Proteste. Während die umstrittene Präsidentin die Demonstranten kritisiert, droht die Lage zu eskalieren.

Eigentlich sind es nur ein paar Hundert Meter von der Plaza San Martin in Lima bis zum Palacio de Gobierno, dem Regierungspalast im Zentrum der peruanischen Hauptstadt. Dennoch schien es zuletzt so, als würden die beiden Orte Welten trennen. Denn während die peruanische Präsidentin Dina Boluarte in der grossen Halle des Regierungspalastes am Donnerstagabend vor die Kameras trat und erklärte, die Situation im Land sei unter Kontrolle, schossen ein paar Strassenblocks weiter am San-Martin-Platz Polizisten mit Tränengas auf wütende Demonstranten. Aus dem Dach eines Gebäudes schlugen Flammen.
Auch in anderen Vierteln Limas gab es diese Woche teils heftige Auseinandersetzungen, ebenso wie in vielen weiteren Städten des Landes. Strassen sind blockiert, Flughäfen gesperrt, in mehreren Regionen gilt der Ausnahmezustand.
Kinder auf dem Land haben Hunger
Schon seit Wochen wird Peru von schweren Protesten erschüttert. Sie richten sich vordergründig gegen die Regierung und die Präsidentin Dina Boluarte. Demonstranten fordern Neuwahlen und eine Auflösung des Kongresses. Die eigentlichen Ursachen für den Unmut liegen aber sehr viel tiefer.
Peru ist Südamerikas fünftgrösste Nation. Nach einem blutigen Bürgerkrieg und einer autoritären Regierung begann das Land Anfang der Nullerjahre mit einem beispiellosen Aufstieg. Befeuert von Rohstoffexporten boomte die Wirtschaft, gleichzeitig strömten Touristen ins Land, angelockt von einzigartiger Natur und Kulturschätzen wie der Inka-Stadt Machu Picchu.

In Lima wuchsen verspiegelte Bürotürme in den Himmel, gleichzeitig aber kam in vielen ländlichen Regionen kaum etwas an von Wohlstand und Fortschritt. Strassen blieben ungeteert, bis heute gibt es in vielen Dörfern nicht einmal fliessendes Wasser. Und während in der Hauptstadt international gefeierte Spitzenköche einer zahlungskräftigen Kundschaft Mehrgänge-Menüs servieren, leiden Kinder auf dem Land bis heute an Unterernährung.
Viele Menschen fühlen sich dort verraten von einem Staat, der in ihren Augen vor allem einer kleinen Elite dient, welche Politik und Medien kontrolliert und in die eigene Tasche wirtschaftet. Tatsächlich sind so gut wie alle Präsidenten der letzten Jahrzehnte wegen Bestechung und Korruption angeklagt worden. Die einstmals grossen Parteien des Landes haben kaum noch Rückhalt in der Bevölkerung, immer schneller wechseln sich die Regierungen ab. Manche Präsidenten blieben nur wenige Tage im Amt.
Bei den letzten Wahlen 2021 traten mehr als ein Dutzend Kandidaten an, am Ende gewann Pedro Castillo, ein ehemaliger Dorfschullehrer und Gewerkschafter, der für eine marxistische Kleinpartei angetreten war.
Anfang Dezember versuchte der Präsident, den Kongress aufzulösen und per Dekret zu regieren.
Vor allem in den ländlichen und indigenen Regionen war der Jubel gross: Castillo kommt selbst aus armen, bäuerlichen Verhältnissen. In der Hauptstadt Lima aber herrschte Entsetzen. Viele fürchteten, Peru könnte sich in ein sozialistisches Chaosland verwandeln. Im Kongress schlug Castillo erbitterter Widerstand entgegen, ebenso wie in der Presse.
Gleichzeitig verwickelte sich die neue Regierung in immer neue Skandale, im Wochenrhythmus mussten Minister ausgetauscht werden oder zurücktreten. Die Popularität des Präsidenten sank, immer wieder gab es Misstrauensanträge gegen Castillo.
Anfang Dezember versuchte das linke Staatsoberhaupt dann, den Kongress aufzulösen und per Dekret zu regieren. Verfassungsrechtler werteten das als illegale Machtübernahme. Castillo wurde verhaftet. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn der Rebellion an.
Mehr als 50 Menschen getötet
Dina Boluarte, die Vizepräsidentin, übernahm verfassungsgemäss das Amt. In einigen ländlichen Regionen brachen aber bald Proteste aus, die forderten, Castillo freizulassen und Neuwahlen durchzuführen.
Die zunächst friedlichen Demonstrationen schlugen bald in Gewalt um. Mehr als 50 Menschen sind in den letzten Wochen schon gestorben, darunter ein Polizeibeamter, der in seinem Wagen lebendig verbrannte. Menschenrechtsgruppen beschuldigen das Militär und die Polizei der übermässigen Gewaltanwendung. Opfer aufseiten der Demonstranten weisen oft Schussverletzungen an Kopf, Brust oder Rücken auf.
In ihrer Rede am Donnerstag lobte Dina Boluarte dennoch die «makellose» Arbeit der Polizei. Gleichzeitig kritisierte sie die Demonstranten: «Wieso geht ihr nicht arbeiten?», fragte die Präsidentin. Für die Zukunft kündigte Boluarte an, mit der «vollen Härte des Gesetzes» gegen die Proteste vorgehen zu wollen. Doch schon für die nächsten Tage sind abermals grosse Demonstrationen angekündigt.
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