GlampingPorsche mit Penthouse
Dass jemand das halbe Jahr im Auto schläft, ist nichts Besonderes mehr. Doch wenn einer dafür sein Dachzelt auf einen Porsche 911 stellt, dann sorgt das für Aufsehen.

Im Rücken die Malibu Mountains, den Pazifik als Panorama und im Hintergrund das Lichtermeer von Los Angeles – das ist ein Blick, für den die Hollywoodelite jedes Jahr wahrscheinlich Milliarden an die Makler der Stadt überweist. Denn kaum irgendwo sind Immobilien teurer als am Mulholland Drive oder im Decker Canyon.
Brock Keen geniesst diesen Blick heute umsonst – schliesslich schläft er in oder besser: auf einem Mobil und hat hier kurzerhand sein Dachzelt aufgeschlagen. Das wäre an sich nichts Besonderes, aber erstens verbringt Keen sein halbes Leben auf der Strasse. Und zweitens steht sein Dachzelt statt auf einem der üblichen Vans, Pick-ups oder Allradkombis auf einem Porsche 911. Schliesslich hat er sich nicht nur mit dem Roadtrip-Bazillus infiziert, seitdem seine Eltern ihn schon in Kindertagen jeden Sonntag und in allen Ferien kreuz und quer durchs Land kutschiert haben. Seit er mit 17 zum ersten Mal einen 911er fahren durfte, hat ihn auch das Porsche-Virus fürs Leben gepackt. Deshalb musste irgendwann zusammenfinden, was für ihn zusammengehört. Selbst wenn das so natürlich nicht geplant gewesen sei, sagt der heute 42-Jährige.
150 Nächte pro Jahr auf dem Dach des Porsche
Angefangen hat die Karriere des Selfmade-Unternehmers als Glamper auf der Resterampe des Outdoorspezialisten Rei. «Dort bin ich beim Shopping über ein Dachzelt gestolpert und habe es eigentlich nur gekauft, um es gewinnbringend an ein paar Kollegen zu verscherbeln», erinnert sich Keen. Als die jedoch nicht wollten, hat er es eben aufs eigene Auto geschraubt, den Porsche 911. «Das war 2018, und seitdem habe ich es nicht mehr runtergenommen.» Zwar hat er nicht nur einen Parkplatz, sondern tatsächlich auch noch ein Haus irgendwo in der Nähe von Portland, ist aber trotzdem mindestens 150 Nächte pro Jahr auf der Strasse – oder nebendran. Denn es ist vor allem die wilde Natur, die es ihm angetan hat. Einsame Strände, weite Wüsten, raue Gebirge – und immer mutterseelenallein: «Wer braucht schon ein 5-Stern-Hotel, wenn er unter einer Million Sternen schlafen kann?», fragt Keen.
Natürlich ist Keen mit seinem Faible fürs Camping nicht allein. Doch weil in den USA niemand auf Campingplätze gezwungen wird, sind viele Hunderttausende wie er ständig auf Achse oder haben ihr Leben ganz auf die Strasse verlagert. Während die meisten dafür einen Van nehmen, fährt Keen – fast immer mit Hund Lucy und Frau Sara – im Porsche, dokumentiert die Roadtrips sehr professionell und hat als #996Roadtrip unter seinen über fünf Millionen Followern längst viele Nachahmer inspiriert. Seitdem ist das Netz voll von exotischen Autos mit Dachzelten – vom Toyota Prius über das Tesla Model S bis hin zu Oldtimern wie dem Citroën Traction Avant.
Und selbst Porsche ist auf den Trend aufmerksam geworden und hat mittlerweile auch ein Dachzelt ins Zubehörprogramm genommen. Zwar haben die Schwaben das mobile Ferienheim für Frischluftfreunde natürlich nicht selbst entwickelt, aber Porsche wäre nicht Porsche, wenn sie das Dach in Weissach nicht wenigstens optimiert hätten. Deshalb haben sie den Deckel, der das in wenigen Minuten aufgebaute Zelt während der Fahrt zu einem armdicken Päckchen auf dem Dachträger verschliesst, erst einmal in den Windkanal geholt. Dort haben die Ingenieure so lange an der Aerodynamik gefeilt, dass der Luftwiderstand und mit ihm der Verbrauch und vor allem der Lärm beim Fahren nach unten gingen – und das Tempo rauf. Zwar ist das für Porsche-Fahrer noch immer bescheiden, doch nach dem Feinschliff sind jetzt immerhin 130 km/h erlaubt. Aber irgendwie mussten die Schwaben ja auch den Preis von 4980 Euro rechtfertigen, den sie für das mit hydraulischer Aufstellhilfe, drei Quadratmeter grosser Matratze und auf Wunsch sogar mit Heizdecke ausgestattete Penthouse verlangen.
Trotz Taycan: Elfer bleibt der Liebling
Klar könne man das Zelt auch auf einen Cayenne oder Macan schrauben, räumt Keen ein. Schliesslich haben es die Schwaben für alle Autos ausser Boxster und Cayman freigegeben. Als er kürzlich in Stuttgart seinen ersten Taycan abgeholt und ihn selbst zum Containerhafen gefahren hat, wurde das natürlich wieder ein Roadtrip unterm Dachzelt. Und hier in den USA nimmt er den Stromer ebenfalls gerne, weil der Cross Turismo mit Allradantrieb und Bodenfreiheit natürlich ideal ist für ein paar Abwege.
Doch der Liebling ist und bleibt für ihn der Elfer. Nicht nur, weil das nach wie vor die meisten ungläubigen Blicke erregt. Und weil das Auto den meisten Fahrspass am Tag bietet. «Der ist nun einmal nirgends grösser als in einem Sportwagen, auch wenn jetzt ein paar Kilo mehr auf dem Dach lasten.» Dass dabei im Elfer nur wenig Platz bleibt fürs Gepäck, stört den Roadtripper wenig, und selbst Sara hat sich damit notgedrungen arrangiert, lächelt sie. «Und für eine Zahnbürste, frische Socken, einen Wasserkocher und ein paar Beutel Astronautennahrung ist selbst in einem Elfer Platz.»
Nach mehr als fünf Jahren und 175’000 Meilen, in denen er tagsüber mit seinem Elfer auf Achse war und ihm nachts aufs Dach gestiegen ist, kennt Keen in den USA bald jede Strasse – und sehnt sich nach neuen Abenteuern. Er plant einen grossen Sommerroadtrip mit seinem 996 durch Europa und träumt davon, irgendwann einmal quer durch Australien zu fahren.
Doch seit dieser Woche stehen ihm womöglich auch daheim buchstäblich neue Wege offen. Denn nur eine Stunde von seinem Nachtlager in den Malibu Mountains entfernt hat Porsche gerade den 911 Dakar enthüllt und den Sportwagen zum SUV gemacht: mit Allradantrieb, grobstolligen Reifen, mehr Bodenfreiheit – und auf Wunsch auch mit Dachzelt. «Den muss ich haben», sagt Keen und plant im Geiste schon die ersten Roadtrips, die dann nicht mal mehr Strassen brauchen. Dass er dafür erst mal raus aus den Bergen und runter in den Moloch von Los Angeles musste, hat er billigend in Kauf genommen. Denn spätestens mit Einbruch der Dunkelheit ist er ja wieder aus der Zivilisation geflüchtet. Wofür schliesslich gibts hinter Hollywood die berühmten Hügel.
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