Politik und Justiz im Machtkampf
Berner Staatsanwälte sträuben sich gegen die automatische Nennung von Nationalitäten.

Eigentlich wäre es keine grosse Sache, bei Straftaten konsequent die Nationalität der Tatverdächtigen zu nennen. Diesen Schluss lässt zumindest die Praxis der Strafverfolger in Kantonen wie Baselstadt, Baselland, Aargau oder Luzern zu. Trotzdem sorgt das Thema immer wieder für Diskussionen. So kürzlich in der Stadt Zürich, wo der linke Polizeivorsteher Richard Wolff entschied, bei Polizeimeldungen sei ab sofort auf die automatische Nennung der Nationalität von Beschuldigten zu verzichten. Journalisten können diese aber auf Anfrage in Erfahrung bringen.
Dass es sich dabei um einen ideologischen Entscheid handelte, verhehlte Wolff nicht: Die automatische Nennung von Nationalitäten in Zusammenhang mit Straftaten trage dazu bei, Vorurteile gegen gewisse Nationalitäten zu schüren, erklärte er gegenüber dem Tages-Anzeiger.
Der Entscheid widerspreche den Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKJPD), so Hans-Jürg Käser, KKJPD-Präsident und Berner Polizeidirektor umgehend in der NZZ. Man dürfe eine solche Information nicht unter den Tisch kehren, nur weil der daraus folgende Befund nicht ins Weltbild passe. Ressentiments würden dann geschürt, wenn die Leute das Gefühl hätten, ihnen werde etwas verschwiegen. Mit der Nennung der Nationalität werde nicht gesagt, dass alle Ausländer kriminell seien. «Es trifft jedoch zu, dass der Ausländeranteil in Schweizer Gefängnissen überdurchschnittlich hoch ist.»
Hickhack hinter den Kulissen
Im eigenen Kanton sieht Käser das anders. Im Herbst 2016 sprach er sich im Grossen Rat dagegen aus, bei Medienorientierungen von Polizei und Staatsanwaltschaft stets Alter und Nationalität der Tatverdächtigen zu nennen. Bei Ermittlungen obliege die Informationshoheit der Staatsanwaltschaft, so die Begründung. Aufgrund der Gewaltenteilung sollte kein Einfluss auf die Informationspraxis der Justiz genommen werden.
Das Parlament gewichtete das Bedürfnis nach Transparenz allerdings höher und überwies die SVP-Motion. Damit muss die Regierung den Auftrag bis Ende 2018 umsetzen. Laut Käsers Direktion sind die Arbeiten im Gang. Ob die Umsetzung gelingt, ist zu bezweifeln: Hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf. Unlängst giftete Käser öffentlich, im September einen Brief an die Staatsanwaltschaft geschrieben und bis jetzt keine Antwort darauf erhalten zu haben.
Bei der Justiz dagegen will man von einem Auftrag nichts wissen. «Diesen Brief gibt es nicht», sagt Sprecher Christoph Scheurer. Seit der Überweisung der Motion im Herbst 2016 habe man von der Regierung nichts gehört. Aufgrund der Gewaltentrennung sei ohnehin fraglich, ob die Politik der Justiz hier dreinreden dürfe. «Zudem schliesst das Grossratsgesetz Motionen an die Justiz ausdrücklich aus», so Scheurer.
Beim von Käser erwähnten Brief handle es sich um ein Missverständnis, heisst es bei der Polizeidirektion auf Anfrage. Das Schreiben existiert tatsächlich nicht, es hätten vielmehr erste Gespräche zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft stattgefunden, sagt die stellvertretende Generalsekretärin Andrea Blaser. Auch Blaser betont, laut Bundesrecht sei es im Ermessen der Justiz, ob die Nationalität einer prozessbeteiligten Person kommuniziert werde. Wie in Zürich, so wollen offenbar auch die Berner die Frage nicht allein der Justiz überlassen. Laut Blaser wird die Motion umgesetzt: «Wir koordinieren die laufenden Arbeiten und kommunizieren die Resultate nach deren Abschluss.»
Prüfung von Einzelfällen
Das kann angesichts der störrischen Justiz dauern. Zwar heisst es bei der Staatsanwaltschaft, man nehme die Motion ernst und wolle eine Justierung nicht ausschliessen. Im selben Atemzug betont Scheurer jedoch, dass man bei der Nennung der Nationalität immer den Einzelfall prüfe. Deshalb werde sich wohl künftig nicht viel ändern. «Wir haben der Justizkommission im April mitgeteilt, dass wir an unserer Linie festhalten.» Konkret bedeutet dies: In der Regel nennt die Staatsanwaltschaft die Nationalität nicht.
Damit halte man sich an Bundesrecht, das vorschreibe, bei der Orientierung der Öffentlichkeit seien die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu beachten. Weil nicht alle Ereignisse kommuniziert würden, bestehe die Gefahr der statistischen Verzerrung. «Wenn wir Fälle kommunizieren, bei denen die Tatverdächtigen immer derselben Nationalität angehören, kann man uns Rassimus vorwerfen.» Absurderweise fügt Scheurer an, dass man auf Anfrage die Nationalität von Beschuldigten nenne.
FDP-Grossrat Philippe Müller, der die SVP-Motion damals mitunterzeichnete, hat dafür kein Verständnis. Zwar dürfe der Persönlichkeitsschutz bei der Kommunikation nicht verletzt werden, sagt auch er. «Die Nennung der Nationalität steht dem in der Regel allerdings nicht entgegen.»
In Zürich will die SVP nun die konsequente Nennung der Nationalität mittels Volksinitiative erzwingen. Im Kanton Bern kann die Regierung dem Grossen Rat eine Gesetzesänderung unterbreiten, falls sie mit der Staatsanwaltschaft keine Lösung findet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Philippe Müller dereinst dafür verantwortlich ist: Der FDP-Politiker will bei den Regierungswahlen 2018 Hans-Jürg Käsers Nachfolge antreten.
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