Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

«Plötzlich geht es nicht um Steuersätze, sondern um Respekt»

Francis Fukuyama, Jahrgang 1952, lehrt an der Stanford-Universität. (Foto: Reto Oeschger)

Herr Fukuyama, Ihre Zeitdiagnose setzt auf einen zentralen Begriff: den der Würde. Sie sagen, die Menschen sehnten sich nach Würde, aber unseren Demokratien gelinge es nicht, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Anerkannt zu werden ist allerdings ein höchst subjektives Gefühl – wie kann es sein, dass ganze Bevölkerungsgruppen ihre Würde nicht mehr genügend respektiert sehen?

Wieso das? Ist Demokratie nicht eben jener politische Prozess, der das Austarieren der Interessen unterschiedlicher Gruppen ermöglicht, das Verhandeln zwischen Mehrheit und Minderheiten?

«Die Linke hat in der Identitätspolitik zu Recht viel Potenzial erkannt. Aber sie vernachlässigte dafür sachpolitische Fragen und die soziale Gerechtigkeit.»

Überschätzen Sie Ihr Konzept der Würde nicht, wenn Sie allen Menschen das Streben nach Anerkennung als zentrales politisches Motiv unterstellen?

In einem ständigen Verlangen nach Anerkennung liegt auch etwas Narzisstisches.

Sie werfen der linken Identitätspolitik auch vor, die rechte Identitätspolitik, die Trump in den USA und die AfD hierzulande vorantreiben, mit hervorgebracht zu haben. Ist dieser Vorwurf nicht unfair?

«Für die Politik des Unmuts spielt es keine Rolle, ob ihre Zielgruppe sich zu Recht oder zu Unrecht nicht respektiert fühlt.»

Donald Trump setzt auf das, was Sie als die «Politik des Unmuts» beschreiben. Der Unmut seiner Wähler ist aber nicht immer berechtigt: Ablehnung von Migranten basiert nicht selten auf Vorurteilen, und Menschen fühlen sich bisweilen ungerecht behandelt, obwohl sie es nicht sind. Sollte Politik hier nicht mit Fakten gegensteuern?

Nehmen wir die sogenannten «alten weissen Männer», die zunehmend selbst beklagen, diskriminiert zu werden – obwohl immer noch vor allem Menschen aus dieser Bevölkerungsgruppe an den Schaltstellen in Wirtschaft, Politik und Kultur sitzen.

Das Fatale ist doch, dass die «Politik des Unmuts» ihrem Wesen nach immer noch demokratisch ist: Sie basiert auf dem Prinzip, Mehrheiten zu mobilisieren und deren Interessen zu vertreten.

Ihr Lösungsvorschlag für die Krise, in die sich die Demokratie und insbesondere die Linke Ihrer Ansicht nach manövriert haben, ist eine Besinnung auf das Konzept der Nation – ein Konzept, das die Linke auch durch den Fokus auf übernationale Identitätsgruppen überwunden zu haben glaubte.

Was ist mit der EU?

«Wenn nicht vernünftige Menschen die Nation hochhalten, überlassen wir die wirkungsvollste Kraft, um Gesellschaften zu einen, den Rechten.»

Wenn Sie der Linken empfehlen, sich auf die Nation zu besinnen, bringen Sie sie in ein Dilemma, schliesslich ist die Nation traditionell nicht gerade ein linkes Konzept.

Sie sprechen vom Konzept des Verfassungspatriotismus?