Plötzlich allein im Kampf gegen die IS
Durch den Abzug der US-Soldaten stehen die Kurden in Syrien bald ohne Verbündeten da. Gegen eine Invasion der Türkei hätten sie wohl keine Chance.

Als die Nachricht aus dem Weissen Haus drang, US-Präsident Donald Trump habe den Abzug der amerikanischen Truppen aus Syrien befohlen, kamen die Reaktionen prompt – unter US-Politikern und bei den Verbündeten dominierten Ratlosigkeit und Bestürzung. Im Nordosten Syriens selbst, wo die Auswirkungen von Trumps Kehrtwende am ehesten zu spüren sein werden, war man hingegen sprachlos. Die Spitzen der kurdischen Selbstverwaltung wollten sich zunächst nicht äussern, erst am Donnerstag veröffentlichten sie ein dürres Statement. Der Rückzug werde sich «negativ» auf den «Kampf gegen den Terror» auswirken, hiess es darin, den man im Übrigen gerade jetzt noch in «heftigen Schlachten» führe.
Jubel in der Türkei
Zu überrumpelt waren die Kräfte in Syriens Nordosten davon, dass ihr eben noch engster Verbündeter nun seine Sachen packen will, der hier bisher rund 2000 Soldaten zur Ausbildung und Beratung von Anti-IS-Kämpfern stationiert hatte – und allein durch seine Präsenz Schutz vor einem Angriff der Türkei bot. In Kobane, wo 2014 so etwas wie der Grundstein der Anti-IS-Koalition gelegt wurde, als kurdische Milizen die Stadt mithilfe westlicher Staaten gegen den IS verteidigten, reagierten die Sicherheitskräfte auf ihre Art. Schon vor Tagen hatten sie begonnen, Schützengräben entlang der türkischen Grenze anzulegen. Bilder aus sozialen Netzwerken legen nahe, dass die Erdarbeiten seit Mittwoch intensiviert wurden; aus der diffusen Angst vor einer Invasion war nun eine ganz konkrete geworden.
Auf der anderen Seite der Grenze hingegen war der Jubel gross. Für den regierungsnahen türkischen Sender A Haber stand am Donnerstagmorgen fest, dass die überraschende Wende in Washington Folge der «Erdogan-Diplomatie» war. Der türkische Präsident habe Trump zum Truppenrückzug bewegt. Erdogan hat das Bündnis zwischen den USA und der kurdischen YPG-Miliz stets heftig kritisiert – nach Überzeugung Ankaras ist die Gruppe Teil der kurdischen PKK, die in der Türkei seit 35 Jahren einen blutigen Kampf gegen die Armee führe. In der vergangenen Woche drohte Erdogan deshalb wiederholt mit einer neuen militärischen Operation in Nordsyrien, im Gebiet östlich des Euphrat. War es also diese Drohung, die Trumps plötzlichen Sinneswandel bewirkte? Jedenfalls war die Türkei vorab vom Abzug informiert.
Video: Trump verkündet Abzug aus Syrien
Kündigt den vollständigen Rückzug seiner Truppen aus Syrien an: US-Präsident Donald Trump. Video: Reuters
Aussenminister Mevlüt Çavusoglu behauptete schon am vergangenen Sonntag, Trump plane den Rückzug aus Syrien. Nur hat dies keiner geglaubt. Am Montag sagte Erdogan dann im Fernsehen, er habe von Trump eine «positive Antwort» bekommen: «Wir können unsere Operation auf syrischem Boden jeden Moment starten, ohne amerikanischen Soldaten zu schaden.» Am Mittwoch wurde zudem bekannt, dass Washington der Türkei nun doch Patriot-Abwehrraketen für 3,5 Milliarden Dollar verkaufen will. Ankara hatte das lange gefordert, und auch begleitend eine Drohkulisse aufgebaut, einen Vertrag mit Moskau zum Kauf des russischen Abwehrsystems S 400, zum grossen Ärger Washingtons.
Das alles zusammengenommen wirkt so, als habe sich Trump dafür entschieden, die lange schwer belasteten Beziehungen zum Nato-Partner Türkei mit einem Federstrich wieder grundlegend zu verbessern.
Verteufelt und idealisiert
Mit demselben Federstrich – oder besser: mit denselben Worten auf Twitter – hat Trump jedoch aller Voraussicht nach auch ein politisches Projekt seinem Ende nahe gebracht. Manche wie Erdogan verteufelten es, andere, etwa linke Gruppen weltweit, idealisierten es: die «Demokratische Föderation Nordsyrien». So nennen sich die selbstverwalteten Gebiete östlich des Euphrat selbst. Auf fast einem Drittel des syrischen Staatsgebiets war hier ein Gebilde entstanden, das sich der Logik des Bürgerkriegs ein Stück weit entzog. Unter dem Schutz der YPG hatten die Kurden zunächst in ihren Gebieten begonnen, die Lehren des in der Türkei inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan umzusetzen. Gemeinden und Kantone sollten sich selbst verwalten, politische Entscheidungen basisdemokratisch in Räten treffen.
Dieses System installierten die Kurden auch in den mehrheitlich arabisch oder turkmenisch bewohnten Gebieten, die sie vom IS eroberten. Unterstützer der Kurden sagen, dass hier für schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen ein Gebiet entstanden sei, in dem eine säkulare Grundordnung auch Frauen ein gleichberechtigtes Leben ermögliche. Sie kämpften nicht nur Seite an Seite mit den Männern gegen den IS, sondern besetzen auch zivile Führungspositionen.
Türkische TV-Stationen senden seit Tagen vom Grenzzaun und fragen jeden Morgen: «Wann geht es los?» Dazu zeigen sie die immer gleichen Bilder von türkischen Panzern und Militärlastern, die sich positioniert haben.

Die Türkei würde vermutlich wohl auch aus der Luft bombardieren, dagegen hätten die kurdischen Milizen am Boden trotz der von den USA überlassenen Ausrüstung wohl wenig Chancen. Im Nordosten Syriens ist das Trauma noch frisch, das die türkische Armee im Januar mit ihrer Invasion der Kurdenenklave Afrin auslöste. Der YPG gelang es damals nicht, das Gebiet zu verteidigen, Berichten zufolge vertrieb die türkische Armee hier Zehntausende und siedelte arabische Familien an.
Bei einem neuen Angriff könnten sich erneut Hunderttausende auf den Weg machen – dabei bleibt ihnen nur eine Richtung: nach Süden, in die Gebiete des Regimes. Der Weg nach Norden in die Türkei ist keine Option, die kurdischen Brüder im Osten, im Irak, halten ihre Grenze bisher dicht. Um einen türkischen Angriff abzuwehren, werden die Kurden nun wohl versuchen, einen Deal mit dem Regime in Damaskus zu erreichen.
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