Pippileicht ist die Schulwahl nirgends
In der Schweiz ist die freie Schulwahl stark umstritten, in anderen Ländern ist sie längst Praxis. Dort zeigt sich, welche Chancen die Umsetzung bietet. Und wie problematisch sie sein kann.
Eigentlich stellt die Elternlobby eine simple Forderung: Eltern sollen im Baselbiet frei wählen können, in welche staatliche oder private Schule sie ihre Kinder schicken. Die Gegner der Initiative «Bildungsvielfalt für alle» verhalten sich im Abstimmungskampf nun aber so aufgeregt, als drohe eine Revolution, die weit über den Bildungsbereich hinausgehen könnte. Schulbehörden, Lehrer und Gemeindepräsidenten warnen vor dem Ende der Volksschule und befürchten einen schweren Schlag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eigentlich überraschend. Denn in vielen Ländern ist die freie Schulwahl seit Jahren selbstverständlich. Zum Beispiel in Schweden. Seit 1992 erhalten die Eltern dort «Skolpeng», einen Schulscheck, den sie in allen Schulen einlösen können. Dieses System führte in den 90er-Jahren zu einer Privatisierungswelle, die der damalige Premier und heutige Aussenminister Carl Bildt aktiv förderte. Es entstanden neue Schulkonzerne wie «Kunskapsskolan», auf Deutsch: die «Erkenntnisschule».
Das Unternehmen führt heute 22 Grundschulen und zehn Gymnasien, hat aber nur eine Möglichkeit, seinen Aktionären einen Gewinn zu bescheren: mit besonders attraktiven Lehrangeboten und engagierten Lehrern möglichst viele Schüler anzulocken. Denn mit wachsender Grösse steigen die Schulgeld-Einnahmen und die Bildungsangebote können effizienter erbracht werden. 600 Privatschulen gibt es inzwischen in Schweden. Die dominierende Rolle auf dem Bildungsmarkt spielt aber noch immer die Staatsschule. Elf von zwölf schwedischen Schülern geben weiterhin ihr den Vorzug.
Der hohe Anteil hängt auch damit zusammen, dass die freie Schulwahl faktisch nur in den Städten und Agglomerationen besteht. In den dünn besiedelten Gebieten sind Alternativen zum öffentlichen Grundangebot rar. Trotzdem schätzen die Schweden ihr Bildungssystem: Rund 90 Prozent sind für die freie Schulwahl.
In der Forschung ist das Thema ähnlich umstritten wie in der Politik. «Die Diskussion ist extrem polarisiert», stellt Jürgen Oelkers, Professor für Pädagogik an der Universität Zürich, fest. Im Auftrag der Berner Erziehungsdirektion hat er eine Studie über die freie Schulwahl verfasst. Aufgrund der Erfahrungen in den verschiedensten Ländern kommt er zu folgendem Schluss: «Die optimistische Annahme, mehr Wettbewerb steigere die Qualität der öffentlichen Schulen und damit die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, trifft in dieser Pauschalität nicht zu. » Schweden ist in dieser Hinsicht aber offenbar eine Ausnahme. «Im obligatorischen Bereich scheint es dort tatsächlich bessere Leistungen zu geben», hält Oelkers fest. Gleichzeitig verweist er auf erhebliche Probleme: die «grösser werdende Segregation». Mit anderen Worten: Die Reichen und gut Gebildeten sondern ihre Kinder tendenziell früher von den anderen ab.
Dabei darf die freie Schulwahl auch in Schweden laut Gesetz kein Privileg für die Reichen sein. Die Schulen müssen die Schüler strikt nach der Reihenfolge ihrer Anmeldung aufnehmen. Kinder in eine Wunsch-schule einzukaufen, ist verboten.
In der Praxis zeigt es sich aber, dass Eltern mit höherer Bildung viel eher spezielle Schulangebote nutzen. Und so steigt der Anteil der sozial Schwächeren in den Kommunalschulen. «Schwarze Schulen» mit fast ausschliesslich Schülern aus diversen Zuwanderergruppen sind in vielen Grossstadtwohnvierteln ein zunehmendes Problem. Dazu Oelkers: «Die freie Schulwahl hat Effekte, aber nicht nur positive, wie die Befürworter behaupten.»
In Deutschland harzt die Umsetzung
Die deutschen Privatschulen haben lange Wartelisten und Mühe, sich zu etablieren
Privatschulen erhalten in Deutschland deutlich höhere Staatsbeiträge als in der Schweiz. Trotzdem funktioniert die freie Schulwahl nur in der Theorie.
Die junge Mutter aus Berlin-Charlottenburg ist unzufrieden. Kersti M. wollte ihr Kind in eine evangelische Privatschule rund hundert Meter vom Wohnort schicken, «dann hätte ich den Schulweg meiner Tochter von A bis Z überwachen können». Doch auf ihren Antrag folgte nur eine knappe, unbegründete Absage. Als Kersti M. nachhakte, liess der Schulverantwortliche durchblicken, dass ja weder sie noch ihr Mann der Kirche angehörten. «Dabei wirbt die Schule doch mit dem Argument, dass die Konfession bei der Selektion keine Rolle spiele», beklagte sich die Frau. Der Fall ist typisch für die Situation in Deutschland. Eltern haben hier zwar theoretisch die freie Wahl zwischen Staats- und Privatschule. Das Gros der Privatschulen kann sich seine Kunden aber immer noch aussuchen, die Wartelisten sind lang. «In Deutschland befinden sich rund sieben Prozent aller Schulen in freier Trägerschaft», bilanziert Christiane Witek vom Verband Deutscher Privatschulverbände. Acht Prozent der Schüler und Schülerinnen würden eine Privatschule besuchen. Diversen Umfragen zufolge möchten aber rund 20 Prozent der Eltern ihre Sprösslinge in einer Privatschule unterbringen. Witek führt die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage auf «erschwerte Gründungsbedingungen» für freie Schulen zurück. Staatliche Unterstützung erhalten die Privatschulen frühestens drei Jahre nach ihrer Gründung.
Aber immerhin: Die Tendenz zeigt seit Jahren in eine Richtung, die Zahl der Privatschulen nimmt stetig zu – innerhalb des letzten Jahrzehnts um rund 30 Prozent auf 4700 Einrichtungen. «Privatschulen gehen sehr individuell auf ihre Schüler ein, sie fördern sie ihren Anlagen entsprechend und haben dabei grössere Freiräume und Möglichkeiten als ihre staatlichen Pendants», begründet Witek das grosse Interesse. Gute Ideen der Privatschulen seien teilweise von staatlichen Schulen sogar übernommen worden, fügt sie an und erinnert in diesem Zusammenhang an das Modell der Ganztagesschulen.
In welchem Ausmass der deutsche Staat bei den Privatschulen ein Wörtchen mitredet und sich finanziell an den Kosten beteiligt, hängt vom Typus ab. Keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung haben Ergänzungsschulen. Sie bieten Bildungsgänge oder Abschlüsse an, die an staatlichen Schulen weder zu haben noch vorgesehen sind. Ganz anders präsentiert sich die Situation bei sogenannten Ersatzschulen. Eine Privatschule gilt als Ersatzschule, wenn sie Bildungsgänge und Abschlüsse offeriert, die mit jenen der Staatsschulen vergleichbar sind.
Die Subventionierung durch die öffentliche Hand ist – zumindest im Vergleich zur Schweiz – grosszügig. «Ersatzschulen erhalten pro Schüler einen Finanzausgleich vom Staat, der je nach Bundesland derzeit im Schnitt bei zwei Dritteln der Kosten liegt, die der Schüler an einer staatlichen Schule verursachen würde», sagt Witek. Der Verband deutscher Privatschulen gibt sich damit aber noch nicht zufrieden. Der staatliche Finanzausgleich müsse flächendeckend auf ein «ausreichendes Niveau» gehoben werden, sodass 80 bis 85 Prozent der Schulkosten damit abgedeckt werden.
Neben den Staatsbeiträgen verfügen die Privatschulen mit dem Schulgeld nur noch über eine Einnahmequelle, die vom deutschen Grundgesetz zudem eingeschränkt wird. Das Schulgeld muss so bemessen sein, dass «eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird», lautet die Vorgabe. Die gesellschaftliche Durchmischung sei mitentscheidend für den pädagogischen Erfolg, sagt Witek. Trotzdem wird auch in Deutschland immer wieder der Vorwurf laut, dass sich nur Reiche eine Privatschule leisten könnten und so der Segmentierung der Gesellschaft Vorschub geleistet werde.
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